KW 47 #SorglosGegenDieWand

22. November 2019

Fundstück Der Woche: Gelernte Sorglosigkeit

Venedig steht das Wasser buchstäblich bis zum Hals. Ein Hitzerekord jagt den nächsten. Stürme werden häufiger und heftiger (Beispiel Lorenzo und Dorian) und pro Jahr verschwinden an die 60.000 Tier- und Pflanzenarten für immer von diesem Planeten. All das sind keine Warnsignale. Das ist die Katastrophe, die wir nicht wahrhaben wollen. Wir machen einfach weiter wie bisher, frei nach dem Motto »Alles ist und also bleibt es gut«.

Wie kann das sein?

Diese Frage habe ich mir wieder und wieder gestellt. Nun habe ich endlich eine Antwort gefunden. Sie stammt aus der Psychologie und heißt „gelernte Sorglosigkeit“. Ich würde ja eher „bornierten Selbstbetrug“ sprechen, aber das liegt natürlich fernab jeder wissenschaftlichen Disziplin.

Warum gehen Menschen in gewissen Situationen überhöhte Risiken ein, treffen keine Vorsichtsmassnahmen und ignorieren Gefahrensignale? Dieser Frage sind die beiden Psychologen Dieter Frey und Stefan Schulz-Hardt bereits in den 1990er nachgegangen. Ihre Erkenntnis: Diese Art „Sorglosigkeit“ würde erlernt und durch positive Erfahrungen verstärkt. Sie entwickele sich, wenn (1) Menschen ohne grossen Aufwand Erfolge erzielen und (2) ihr wiederholt gefährliches Verhalten ohne negative Konsequenzen bleibt bzw. sie – im Gegenteil – durch Vorbilder und gesellschaftliche Normen in ihrem Verhalten bestärkt werden.

Typische Symptome der „gelernten Sorglosigkeit“ seien:

  • mangelnde Fähigkeit und geringe Motivation zur Gefahrenaufdeckung
  • kurzfristiges Denken
  • fehlende Bereitschaft das eigene Verhalten zu ändern
  • Neigung zu riskanten Verhaltensweisen

Selbst wenn diese Personen mit Warnsignalen konfrontiert würden, änderten sie ihr Verhalten nicht, sondern reagierten mit Defensivstrategien, wie Vermeidungs-, Verleugnungs- und Verdrängungsmechanismen sowie Überoptimismus, Kontrollillusionen oder Alibihandlungen zur Gewissensberuhigung. Quelle: PANORAMA 4/2003

Klingt irgendwie bekannt, oder? Ich finde die Beschreibung trifft nicht nur für einzelne Personen zu, sondern genauso für Kollektive wie Parteien, Verbände und Unternehmen bis hin zu ganzen Branchen oder Industriezweigen. Ja, die gesamte „westliche Welt“ scheint mir von dieser „Sorglosigkeit“ erfasst worden zu sein…

In diesem Sinne: eines sorgloses Wochenende!


Zitat Der Woche

»Wer darum bemüht ist, immer offen und ehrlich zu sein, hält vermutlich zunächst viel öfter die Klappe und grübelt stattdessen.«

Teresa Bücker: Ist es radikal, immer und offen zu sagen, was man denkt?

Bild Der Woche


Liste Der Woche


Beitragsbild: Paweł Czerwiński via Unsplash

2 Comments

  • M i MA
    4 Jahren ago

    Oh, dafür nicht. Aber ich freue sehr mich über deinen Kommentar.

  • 4 Jahren ago

    Danke dafür!
    Und wenn ich unter diesem Blick schaue, bin ich erschrocken. Auch über mein eigenes Denken und Handeln.
    Nochmals Danke!

Leave A Comment

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.