Von Übermenschen und Alpha-Männern. Das Menschen- und Weltbild in der SUV-Werbung

15. November 2019

Ganz egal welche Marke, ihr Versprechen lautet mehr oder weniger gleich:

Mit diesem Auto bist du über jeden Zweifel erhaben. Dir gehört die Welt. Du kannst alles erreichen. Nichts und niemand steht dir im Weg.

Autowerbung richtet sich an die tiefe menschliche Sehnsucht nach Unabhängigkeit und Autonomie und wird meist in Form uralter Heldenmythen erzählt. Das spricht an – zumindest auf den ersten Blick. Doch spätestens beim vierten Blick zerbricht die Harmonie und Unbehagen macht sich breit. Denn was hier erzählt wird, ist ein Abgesang auf zivilisatorische Errungenschaften, schreibt M i MA.

Eine Kurzanalyse ausgewählter SUV-Spots

Lob der Tyrannei

Eines der drastischsten Beispiele liefert BMW. In seinem Kampagnen-Spot inszeniert das Münchener Unternehmen die neuen X-Modelle im Modus der Superlative, garniert mit Motiven aus der Unterwelt: Glücksspiel, Boxring, Mafiosi-Typen, Schlangen-Frauen, Tanzekstase. Bilder, die für Hedonismus, Gesetzlosigkeit und Gewalt stehen. Dazwischen Aufnahmen eines Raketenstarts, sportliche Extremsituationen, karge Landschaften und Vorstädte. Die musikalische Untermalung – dunkle Klängen und starke Beats – und die kühl-gedeckte Farbwelt kreieren zusammen eine latent bedrohliche Atmosphäre.

»Atmosphäre spricht die emotionale Wahrnehmung an, das ist die Wahrnehmung, die unglaublich rasch funktioniert, die wir Menschen offenbar haben, um zu überleben.«

Peter Zumthor in: Atmosphären. Basel 2006, S. 13

Aufgelockert wird der atmosphärische Kältemix durch Natur- und Unschuldsmomente: ein Kind, ein Frosch, ein Baum, ein Lagerfeuer, eine Tasse heißer Tee. Man möchte sich an ihnen wärmen, doch sie bleiben in der Nahaufnahme seltsam fern.

Die schnell geschnittene Bildcollage wird durch ein wiederkehrendes „X“ zusammengehalten. Das sei – so der Kampagnenmacher – „das ultimative Symbol einer freien Entscheidung“. Und die Moral von dieser Geschicht‘ ist so simple wie brutal:

»Wer sich meinem Willen nicht untergeordnet, wird platt gemacht.«


Leistung als Weg zum gelungenen Leben

Nicht alle Kampagnen sprechen eine so unmissverständliche Sprache. Mercedes beschwört in seinem GLS-Spot den Individualismus und das Leistungsprinzip. Im Mittelpunkt seiner klassischen Held*innengeschichte steht – ausnahmsweise – eine Frau.

Susan ist Leistungssportlerin, verheiratet und Mutter zweier Kinder. Nach einem folgenschweren Unfall trainiert sie mit geradezu übermenschlicher Härte und Disziplin für den Wiedereinstieg in den Spitzensport. Erst ganz am Ende erfährt die/der Zuschauer*in, dass sie eine Beinprothese trägt. Ihre Tochter weigert sich, bei ihrem ersten Wettkampf zuzuschauen. Im letzten Moment revidiert sie ihre Meinung. Dank des Mercedes GLE – so will es die Story – gelingt es dem Vater, das Mädchen rechtzeitig zum Finale abzuholen. Mutter und Tochter fallen sich in die Arme – alles gut dank SUV.

Die Botschaft hier: Allein die Leistung zählt. Das gilt fürs Individuum wie fürs Automobil. Nicht nur der berufliche Erfolg, auch die soziale Teilhabe und das vollkommene Glück (= Erfolg + Anerkennung + Geborgenheit) hängen von der Willensstärke und Leistungsbereitschaft der/des Einzelnen ab.

Die/der leistungswillige SUV-Besitzer*in hat alles im Griff – selbst den Zu- und Glücksfall.

»Das Leistungsdenken ist zu einer Mentalität geworden. Der Urlaub wird durch Fernreisen […], die Freizeit durch Extremsportarten […] zur Tätigkeit, durch die man glaubt, Leistungen erbringen zu müssen. Schließlich werden durch den Mythos der Herstellbarkeit auch Schönheit und Sexualität zu Leistungen […].«

Gernot Böhme, in: Kritik der Leistungsgesellschaft. S. 11


Perfektion um der Perfektion willen

Extrem-Sport und Höchstleistung stehen auch beim Sportwagenbauer Porsche im Zentrum. Seinen Cayenne Coupé lässt er in Analogie zur Muskelkraft und im Modus des Actionsfilms bildgewaltig in Szene setzen: schnelle Schnitte, düstere Farben, harter Metallsound. Unter dem Motto „How to shape a muscle“ werden der stahltrainierte menschliche und der stählerne Körper des Automobils in Beziehung gesetzt. Beide verbindet ihre extreme Kraft und formale Perfektion.

Der perfekte Körper ist – so die unterkomplexe Aussage des aufwendigen Clips – ein Wert an sich und das Ergebnis harter Arbeit und eisernen Willens.


Die Maschine als Krone der Schöpfung

Noch einen Schritt weiter geht Audi. Der Ingolstädter Premium-Hersteller verzichtet aufs allzu Menschliche und feiert sein Produkt selbst als Überheld. Der Mensch ist Zuschauer*in bzw. wage Vermutung: Man nimmt an, dass er hinterm Steuer sitzt. Zu sehen ist er nicht. Das Auto könnte ebensogut alleine fahren.

Mit schnellen Schnitten, spektakulären Fahrten, dynamischem Sound und hitzigen Farben wird das „Überauto“ in Szene gesetzt. Die Maschine als Krone der Schöpfung. Hararis „Homo Deus“ lässt grüßen.

Überautos für Übermenschen

SUV-Werbung sei ein Abgesang auf zivilisatorische Errungenschaften hatte ich eingangs unterstellt. Die kursorische Betrachtung der Clips sollte gezeigt haben warum. Die offene Gesellschaft im Sinne eines durch Normen, Konventionen und Gesetze friedlichen Zusammenleben unterschiedlicher Menschen, Gruppen und Gruppierungen kommt in den Werbe-Spots nicht vor. An ihrer Stelle steht entweder der idealisierte Übermensch oder die geschlossene Gesellschaft der Clans und (Klein-)Familien, die bekanntermaßen wenig Abweichung und Vielfalt dulden.

Foto: Steven Binotto via Unsplash

(1) Die Teilnahme am Straßenverkehr erfordert ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht.
(2) Wer am Verkehr teilnimmt hat sich so zu verhalten, dass kein*e Andere*r geschädigt, gefährdet oder mehr, als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird.

Straßenverkehrs-Ordnung I. – Allgemeine Verkehrsregeln (§§ 1 – 35) § 1 Grundregeln

Selbst die Grundregeln gesellschaftlichen Miteinanders werden aufgekündigt. Vor- und Rücksichtnahme? Nichts dergleichen. Die SUV-Storys huldigen dem Leistungsprinzip oder feiern das „Recht des Stärkeren“. Etwas anderes passt auch kaum zu einem Auto panzergleicher Ausmaße mit bis zu 500 PS.

Auch die Figuren fallen weit hinter den Status Quo zurück. Bevorzugt wird das überkommene Bild des starken Mannes als Kämpfer und Anführer in Szene gesetzt. Spielt doch eine Frau die Hauptrolle, dann als Verkörperung des Übermenschen oder als Projektionsfläche à la „unnahbare Schöne“. Dabei erinnert die Bildsprache nicht selten an die Ästhetik Leni Riefenstahls: aseptische Landschaften und Städte; Menschen von jeder Unvollkommenheit gereinigt, von jeder Spur der Vergänglichkeit und des Verfalls befreit.

Die vielen Reminiszenzen ans Faschistische lösen Befremden aus – gerade in Zeiten, da völkisch-nationalistische Ideologien wieder en vogue und klimaleugnende Führertypen weltweit auf dem Vormarsch sind. Nicht nur das Auto, auch die Werbung wirkt wie für sie gemacht.


Kein SUV ist auch eine Lösung. Ein paar Fakten

Der Anteil von SUVs liegt allein in Deutschland bei 21% und ist damit das zweitstärkste Segment nach Sport- und vor Kleinwagen. KBA

Der Größenvergleich von SUV und Mini veranschaulicht die Unverhältnismäßigkeit der Riesenautos.

Die CO2-Emissionen der weltweiten SUV-Flotte sind seit 2010 um 0,55 Gigatonnen auf rund 0,7 Gigatonnen gestiegen. Damit leisteten SUVs den zweitgrößten Beitrag zum Anstieg der weltweiten CO2-Emissionen seit 2010. IEA

Der CO2-Ausstoß in Deutschland liegt seit seit 10 Jahren unverändert bei 900 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr. Ein wesentlicher Grund dafür ist der Verkehrssektor. Tagesschau

Der PKW-Verkehr hat in der Zeit von 1995 bis 2017 weltweit um knapp 18% zugenommen. UBA

Rund 18 % der weltweiten Emissionen von Kohlenstoffdioxid wurden im Jahr 2015 durch Straßenfahrzeuge produziert. statista

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