Frauen* erwarten von Autos mehr als Freundlichkeit

8. Dezember 2019

Ein philosophisches Gespräch über SUVs, Konsumbedürfnisse und feministisches Autodesign

Das Auto ist der/des Deutschen* liebstes Kind, sagt man. Zu Recht. Der Bestand an Personenkraftwagen erreichte am 1. Januar des Jahres 2019 mit rund 47 Millionen Fahrzeugen den höchsten Wert aller Zeiten (Quelle: Statista). Besonders stark ist das Segment der SUV gewachsen. Sein Anteil liegt bei 21% und ist damit das zweitstärkste Segment nach Sport- und vor Kleinwagen (Quelle: KBA). Nicht nur vor dem Hintergrund der Klimakrise ist es mir unerklärlich, warum gerade diese Autos so beliebt sind, auch unter ästhetischen Gesichtspunkten verstehe ich es nicht – und habe mich darum an eine Expertin für kritisches Design gewandt.

Mara Recklies ist Philosophin und beschäftigt sich mit zeitgenössischer Kultur, Design und Technik. Dabei interessieren sie vor allem die politischen Dimensionen von Gestaltung. Ihre Schwerpunkte sind Kritik, Protest und andere widerständige Praktiken.


 Bild: Tibor Janosi Mozes
Wenn ich mich im Straßenverkehr bewege, begegnen mir zunehmend mehr Hulk-artige Metallgehäuse (in dem i.d.R. eine einzige Person sitzt). Ist das gegenwärtige Autodesign einfach nicht mein Geschmack oder werden Autos, allen voran SUVs, tatsächlich immer häßlicher?

Die Klage, dass Autos immer hässlicher werden, ist fast so alt wie das Autodesign selbst. Schon über das Streamline-Design und den Art-déco Stil der Autos in den 1920ern und 1930er wurde gelästert – von der Entrüstung über die Hässlichkeit des Box-Design ab Anfang der 1970er ganz zu schweigen.

Wenn wir Geschmacksurteile treffen dürfen wir allerdings nie vergessen, dass sich die Vorstellung was guter Geschmack oder Stil sei, sich im Laufe der Zeit ständig verändert haben. Sie hängen mit unserer kulturelleren Prägung, mit unseren Sehgewohnheiten zusammen. Das wird in bestimmten Formen von Designkritik manchmal ausgeblendet. Dann erweckt die Kritik den Anschein, irgendwelche Personen seien in der Lage, objektive oder allgemeingültige Geschmacksurteile zu treffen. Das hat einen gewissen Unterhaltungswert und ist oft auch sehr kenntnisreich gemacht – aber trotzdem ist es alles andere als objektiv oder neutral.

Viel zu selten wird in den Debatten um die Ästhetik des SUVs bedacht, dass z.B. auch Marketing einen wahnsinnig großen Einfluss darauf hat, was wir mögen und was nicht. Man könnte es überspitzt auch so formulieren: Die Gewinnspanne für die Autokonzerne ist bei SUVs wesentlich größer als bei anderen Autos. Das nutzen sie logischerweise und bearbeiten die kauf- bzw. zahlungskräftige Zielgruppen mit entsprechendem Marketing so lang, bis diese beginnt, SUVs zu mögen und meint, von seinen Vorteilen und seinem Aussehen überzeugt zu sein.

Anmerkung: Zum Thema SUV-Marketing hatte ich kürzlich geschrieben

 Gary Scott
Autodesigner*innen sprechen von der „Mentalität eines Autos“, die sich insbesondere aus der Gestaltung von Karosserie und Front ableite. Wenn du dir die beliebtesten SUV-Modelle anschaust, welche Mentalität/en sind da auf unseren Straßen unterwegs?

Ich analysiere Autodesign nicht auf diese Art. Ich erkläre Dir gern weshalb: Der französische Philosoph Roland Barthes hat im Jahr 1957 in seinen Mythen den Alltags mal den Citroën DS als moderne Kathedrale beschrieben. Als ein „magisches Objekt, schimmernd und nahtlos, mit gleißenden Fensterscheiben, als wäre es vom Himmel gefallen“. Das klingt nicht sehr sachlich, oder? Und das mit voller Absicht. Barthes wollte auch nicht beschreiben, wie der Citroën DS ist, sondern wie wir ihn wahrnehmen.

Ich habe oft den Eindruck, dass bei der Beschreibungen von Auto-Mentalitäten oft mitbeschrieben wird, was die Kritiker*innen wahrnehmen – also etwas sehr subjektives. Etwas, das von kultureller Prägung, Bildungsstand, sozialem Staus usw. abhängt. Das sieht man daran, wie unterschiedlich sie ausfallen. Der Designkritiker Paolo Tuminelli, den ich wirklich sehr schätze, hat mal in einem Interview gesagt, dass der SUV die Illusion unbegrenzter Potenz verkörpere. Er meint, dass sie eine „pseudosportliche Form“ hätten, die besonders für Kundschaft attraktiv sei, die nicht mehr fit genug für einen 911er Porsche sei aber weiter vorgeben will, dynamisch zu sein. Andere äußern sich ganz anders. (Quelle)

Jens Tartler vom Tagesspiegel hat sich darauf versteift, dass der SUV „in Blech gepresste Rücksichtslosigkeit“ sei und beschreibt sie als automobile „Trutzburgen“. Der Designwissenschaftler Markus Caspers empfindet ganz ähnlich. In seinem (übrigens absolut empfehlenswerten) Artikel über die Geschichte des SUV’s schreibt er, dass im Design seiner „klobigen Gesamtform und der aggressiven Front“ so etwas wie „gesellschaftliche Brutalität“ gespeichert sei.

Piotrg255 

Für objektiv halte ich keine dieser Kritiken. Weil offensichtlich ist, dass die Fahrzeughalterinnen und -halter ihre SUVs anders wahrnehmen. Es gibt einen interessanten Werbeclip, der den Volvo XC60 bewirbt. Er bietet potentiellen SUV Fahrerinnen eine Interpretation an, die der von Tartler entgegengesetzt ist: Ein kleines Mädchen erzählt darin von seinen Zukunftsträumen bis es über die Straße geht, und fast überfahren wird. Fast! Denn zum Glück kann der SUV dank der seiner technologischen Ausrüstung das Mädchen rechtzeitig bemerken und die Fahrerin warnen. Die Botschaft ist ganz klar: Hätte die Frau keinen SUV gefahren, wäre das kleine Mädchen nun tot.

SUV-Fahrer*innen zu beleidigen und zu beschimpfen, ist keine Lösung. Sinnvoller scheint mir zu überlegen, inwiefern das Bedürfnis nach Sicherheit ernst genommen und bedient werden kann, ohne den Klimawandel weiter voranzutreiben.

Was sagt Autodesign über seine Besitzerinnen aus? Und was sagt die vorherrschende Autoästhetik über unsere Gesellschaft aus?

Um auf diese Frage einzugehen können wir gern bei dem schwedischen SUV von eben bleiben: Von außen betrachtet sagt ein SUV vielleicht über die Besitzerin oder den Besitzer aus, dass sie rücksichtslos, neoliberal oder völlig gleichgültig gegenüber dem Klimawandel sind. Zumindest scheint es in den deutschen Medienlandschaft eine Art stillschweigende Übereinkunft darüber zu geben, dass SUV-Halter*innen – insbesondere weibliche – egoistische Verkehrs-Rowdies seien. Eine objektive Aussage über SUV-Fahrer*innen ist das aber nicht. Sie selbst empfinden sich ja vielleicht völlig anders.

Vielleicht haben sie den SUV gekauft, weil es ihnen wichtig ist, die Familie sicher transportieren zu können. Die Kinder zu schützen. Und damit liegen nicht falsch: Seit einigen Jahren wird darüber debattiert, dass die Hälfte aller Unfallopfer Frauen sind, obwohl sie weniger als die Hälfte der Autofahrenden ausmachen. Allein vor diesem Hintergrund zeigt sich, dass es nicht völlig irrational ist, wenn Frauen aus Sicherheitsgründen SUV fahren. Was natürlich die massiven Probleme, die diese Autos verursachen, nicht eliminiert. Aber das macht es einfacher die Faszination, die von SUVs auszugehen scheint, zu verstehen. Frauen*, die SUVs fahren zu beleidigen und zu beschimpfen, wie es hier geschieht, ist keine Lösung. Sinnvoller scheint mir das Problem ernst zu nehmen und zu überlegen, inwiefern das Bedürfnis nach Sicherheit im Auto ernst genommen und bedient werden kann, ohne den Klimawandel weiter voranzutreiben.

Greg Reese
Laut Automobildesignforscher Peter Rosenthal ist der Mini aufgrund seines freundlichen und erwachsenen Gesichts bei Frauen beliebter als bei Männern (Quelle). Das könnte den (Kurz-)Schluss nahelegen, dass Männer eher auf aggressive Auto-Gesichter stehen. Das scheint mir etwas kurz gesprungen. Was denkst du, gibt es einen geschlechtsspezifischen Autodesign-Geschmack? 

Ich teile deinen Eindruck, solche Erklärungsversuche scheinen auch mir kurz gesprungen. Ich habe ein prinzipielles ethisches Problem mit dem sogenannten Rosenthal-Raster, das meint objektive Kriterien für „die attraktive Physiognomie“ von Menschen festlegen zu können und diese dann auf Automobildesign überträgt.

Erstens ist es eine völlig banale Einsicht ist, dass Menschen – das gilt ja nicht nur Frauen* – sich von freundlichen Gesichtern angesprochen fühlen. Dass sich in dem Moment, wo man Freundlichkeit auf Autodesign überträgt, plötzlich eine Art grundsätzliches Gender-Gap auftun soll, ist ein irrwitziger Gedanke. Zumal es viele Frauen* gibt, die sich von aggressiveren Autogesichtern ebenfalls angesprochen fühlen. Ebenso wie ich gar nicht kategorisch bezweifeln will, dass es auch Frauen* gibt die den Mini mögen, weil sein Design ihm einen freundlichen Ausdruck verleiht. Aber ist diese Gruppe Frauen* repräsentativ für alle Frauen?

Frauen* erwarten von Autos mehr als Freundlichkeit. Das zeigt doch auch der Hype um SUVs. Frauen* brauchen ihr Auto um Kinder zur Schule oder Kita zu fahren. Womöglich haben sie dabei schon den Hund im Kofferraum, mit dem sie eine Runde durch den Wald joggen, bevor sie noch schnell Einkäufe für das Abendessen erledigen und anschließend mit dem Auto zur Arbeit fahren. Vielleicht wollen Frauen* auch Sportgeräte, Surfbretter, ihr Rennrad oder von mir aus einen Kinderwagen transportieren. Frauen* stellen bei Autos außerdem hohe Anforderungen an die eigene Sicherheit und die der Menschen, die sich mit ihnen im Auto befinden: Familie, Freunde usw. Die Vorstellung, dass Frauen all diese Ansprüche vergessen und in irrationale Verzückung fallen, sobald sie ein freundliches „Autogesicht“ sehen, zeichnet ein eigenartiges Frauenbild. Ich denke, Frauen* sind durchaus zu komplexeren und rationaleren Kaufentscheidungen fähig.

Manche Analysen von weiblichen Konsum- und Kaufentscheidungen legen solche stereotypen weiblichen Eigenschaften selbst in den Gegenstand. Die Zuschreibungen, die dabei gemacht werden, sind die ewig gleichen langweiligen Klassiker des Sexismus: Frauen* stehen auf Machos und Muskelmänner die ihnen Sicherheit bieten (z.B. SUVs). Oder Frauen mögen alles kleine, niedliche und knuddelige wie Katzenbabys (z.B. Mini oder Twingo).

Ihre Kaufentscheidungen werden dargestellt als irrational, emotional und beflügelt vom Bedürfnis nach Schutz oder einem eigenartig mütterlichem Drang hin zu allem was niedlich und klein ist. Wenn es aber z.B. spezifisch weiblich sein soll, ein großes Fahrzeug zu mögen, weil es einem ein Gefühl von Sicherheit, Erhabenheit und Überblick verschafft, weisen dann z.B. männliche Fans von Monstertrucks dieses feminine Bedürfnis nach Überblick und Sicherheit auf?

ArtTower 
Welches Menschen- oder Männlichkeitsbild verkörpert der Hulk-artige Auto-Typ?

Hier kann man im Grunde den Gedanken aus der hervorgehenden Frage fortführen. Den SUV als „maskulin“ zu beschreiben, sagt mehr über ein stereotypes Männerbild aus, als über das Design des SUV: die wenigsten Männer sehen aus wie Hulk oder benehmen sich so – und das ist auch völlig okay.

Ich glaube, dass solche Designanalysen gleich zwei Steorotypen auf einmal reproduzieren: dass der unsicheren, schwachen Frau, die sich nach Stärke und Sicherheit sehnt, und dass des großen, starken Mannes, der die Frau beschützen kann und ihr hilft, die komplizierte Lage zu überblicken. Ich wünsche mir in den Debatten über Automobildesign weniger haarsträubendes Genderzeug und Ressentiments, sondern mehr sachliche Analysen – die es glücklicherweise ja auch gibt.

Wie sähe ein nach feministischen Kriterien gestaltetes Auto aus?   

Damit ein Auto geschlechtergerecht gestaltet ist, braucht es mehr als Halter für Coffee Mugs, Stauraum für Shoppingtüten oder anderen Kuriositäten wie einen mit der Autofarbe korrespondierenden Nagellack, wie es z.B. zum Twingo gab. Ein Design, dass Frauen* berücksichtigt, zeigt sich nicht primär an rosa glitzerndem Klimbim oder serienmäßigen Gadgets. Sondern daran, dass es Männer* nicht als „normalen Fahrer“ und Frauen als „Sonderfall“ behandelt.

Lange Zeit wurde z.B. kaum problematisiert, dass Crash-Test Dummies an durchschnittlich männlichen Maßen orientiert waren. So boten sie optimale Sicherheit für Fahrer, nicht aber für Fahrerinnen. Hinzu kam, dass die Fahrzeuge für ein durchschnittliches Männermaß gestaltet wurden. Gaspedale, Lenkräder usw. entsprachen mitunter nicht der Ergonomie von Frauen*.

Es sind aber auch andere Kriterien für feministisches Autodesign denkbar. Zum Beispiel könnten auch Kriterien im Hinblick auf Klimagerechtigkeit formuliert werden: Viele gehen davon aus, dass weltweit Frauen* an den Folgen des Klimawandels am meisten leiden. Demnach wäre ein nach feministisch Kriterien gestaltetes Auto eines, das möglichst niedrige Emissionen hat. Bei dem SUV ist das nicht der Fall. Elsa Koester hat das ein wenig überspitzt für den Freitag so formuliert:

„Geschäftsfrauen mögen sich mit SUVs ihren Platz auf der Straße und in der Arbeitswelt erobern, sie tun dies jedoch – wie ihre männlichen Kollegen – auf Kosten der Frauen im globalen Süden, die immer weitere Wege zum Wasserholen zurücklegen müssen, zu Fuß.“

Elsa Koester: Platz da!, in: derFreitag | Ausgabe 27/2019  31
 Peter H

Beitragsbild von Kévin Langlais via Unsplash

3 Comments

  • ines
    4 Jahren ago

    Sehr guter Artikel, ganz lieben Dank!
    Was mir besonders gefällt ist, dass die Antworten nicht relativieren, sondern Mara Recklies sich sehr ernsthaft sich mit dem Thema auseinandergesetzt.

  • 4 Jahren ago

    Liebe Indre,
    was für ein guter Artikel. Ich bin mit Leib und Seele SUV-Hasserin, aber dein Gespräch mit Mara Recklies hat mir mal wieder gezeigt, dass es bequem und herablassend ist, in seiner Weltsicht zu verharren und die Gegenseite für ignorant und egoistisch zu halten. Viel wichtiger doch der permanente Austausch und kontroverse Diskurs ist, damit die Fronten nicht verhärten und damit neue Wege möglich sind.
    Merci dafür und ein schönes drittes Adventswochenende.

    • M i MA
      4 Jahren ago

      Liebe Katja,

      ich danke dir für deine Nachricht. Mir erging es ganz ähnlich wie dir als ich Maras Antworten las. Erst war ich fast ein wenig enttäuscht, dass sie mich in meinem (Vor-)Urteilen nicht bestätigte. Aber dann war ich sehr sehr froh darüber. Hab einen schönen Advent. Herzlich, I.

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