Wohnen bei den Dohlen {Ein Reisebericht von Heide Waechter}

28. Oktober 2015

„Mama, wie schön!“, sagt mein Sohn, als der Weg sich öffnet und den Blick auf den Turm freigibt. Der historische Wasserturm auf dem Nesselberg in Waren an der Müritz ist für uns eine Entdeckung. In diesem Herbst habe ich das wunderbare Glück, hier mit Indre und unseren drei Kindern ein paar Tage zu verbringen. Den Turm umgibt ein kleiner lichter Wald aus nun gelbbunten Herbstbäumen, der Blick geht hinauf zu unserem Ziel, die beiden obersten Stockwerke, und in Gedanken wiederhole ich den Ausruf meines Sohnes, als wir dem Turm unters Dach gestiegen sind und die Wohnung „Pankow“ sehen.

Während ich aus manch einer Ferienwohnung fliehe ob der Einrichtung oder Enge, habe ich hier umso mehr Lust, gemeinsam den Tag beginnen und ausklingen zu lassen. Auf zwei Stockwerken laden viele Verweilplätze zum Lesen, zum Schauen und zum Ausruhen ein. Ich trete auf den umlaufenden Balkon, lasse meinen Blick über die Baumwipfel schweifen und freue mich auf ein paar Tage im herbstlichen Waren.

 

Am nächsten Morgen erwache ich in unserem runden Schlafzimmer und sehe die Müritz durch die Bäume glitzern. Die gedämpften Geräusche meiner Mitreisenden verlieren sich in der weiträumigen Maisonnettewohnung. Nach einem gemütlichen Frühstück erkunden wir die Gegend auf einem kleinen Ausflugsschiff der Blau-Weißen Flotte. Als wir in den Reeckkanal einfahren, entdecke ich einen Eisvogel. Kaum sichtbar sitzt er auf einem Baumstamm; sein farbiges Gefieder hat ihn verraten. Vorbei an herbstbunt gesäumten Ufern, hier und da eine versteckte Villa hinter den Bäumen, fahren wir zum Kölpin- und weiter zum Fleesensee. Die kurzen Ortsbeschreibungen des Kapitäns lassen uns genug Zeit zum Träumen.

 

Mit einem Tee und einem Glas Wein genießen wir später in „unserem“ Turm den Abendhimmel über der Müritz. An den Fenstern sammeln sich Marienkäfer und kündigen den Abschied vom noch warmen Herbst an. Die Kinder „retten“ die Krabbeltiere mit großem Eifer und bringen fast sommerliche Geschäftigkeit in die runden Räume. Über uns trommeln die Dohlen, die unterm Dach zu Hause sind.
Das trübe Wetter am nächsten Tag kann uns nicht schrecken: Wir leihen Fahrräder am Fuß des Nesselbergs und fahren von dort in den Müritz-Nationalpark. Der Weg führt uns am Ufer der Müritz durch lichte Wälder, immer wieder halten wir an und freuen uns am Farbenspiel der Bäume. Kleine Schilder am Wegesrand weisen auf Beobachtungsstände am Ufer hin, von denen aus sich heimische Vögel wie See- und Fischadler beobachten lassen. Nach zwei Stunden erreichen wir den Müritzhof, der vom Lebenshilfewerk Waren bewirtschaftet wird und nur ohne Auto zu erreichen ist. Im Hofgarten begrüßt uns ein alter Quittenbaum, beladen mit vielen dicken, gelben Früchten. In der hofeigenen Schänke werden regionale Gerichte sowie frisches Brot und selbstgebackener Kuchen angeboten. Die Kinder erkunden sofort das weitläufige Gelände und besuchen die Gotlandschafe, Fjällrinder und Shetlandponys auf den Weiden rund um den Hof.

 

Auf dem Rückweg machen wir einen Abstecher in die Fontanestraße und bestaunen alte Villen und skurrile Eigenheime. In der Therme des Kurzentrums unterhalb unseres Turms lassen wir den Abend entspannt ausklingen. Wasserturmgäste können sie exklusiv nutzen, wenn sie sich eine Anwendung gönnen.

Am dritten Tag steigen wir der kleinen Stadt auf das Dach. Vom Kirchturm der St.-Marien-Kirche blicken wir in alle vier Himmelsrichtungen und suchen uns unser nächstes Ziel aus: der japanische Zen-Steingarten im Schaugarten am Tiefwarensee. Kanji Nomura ordnete kleine und große Steine der Region zu einem vieldeutigen Zengarten an. Der Betrachter sieht den Kranich als Vogel der Region, vielleicht aber auch eine Insel, zu der alle streben. Leider waren wir zu früh für einen Besuch im Café des Hotels Am Tiefwarensee. Dort gibt es am Nachmittag selbstgebackenen Kuchen und am Abend eine kleine Auswahl an Speisen der mecklenburgischen Küche. Also schlendern wir zurück zum Hafen und essen zum Mittag Fischbrötchen auf dem Räucherkahn.

 

 

Ich hatte in diesen Tagen das Gefühl, der Natur und dem Herbst sehr nahe zu sein. Das nächste Mal möchte ich gern den Frühling hier entdecken, dem Zug der Kraniche zurück an die Müritz zusehen und vielleicht nur mit einer Freundin in einer der anderen drei Wohnungen im Wasserturm übernachten. Dieses Mal sind wir lieber auf eigene Faust Rad gefahren, das nächste Mal aber mache ich sicher die fünfstündige Nationalpark-Radtour mit Führung. Auch die MüritzTherme in Röbel und das Naturerlebniszentrum Müritzeum heben wir uns auf, denn wir kommen sicher wieder in den Wasserturm zurück.
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Heide Waechter-Akkus ist selbstständige Lektorin und Texterin {www.textwaechter.de} und lebt mit ihrer Familie in Berlin.
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1 Comment

  • Anonym
    8 Jahren ago

    Ich finde den Text sehr schön weil meine Mutter den geschrieben hat :0

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