„Tischler sind Gestaltungs- und Einrichtungsexperten.“ Im Gespräch mit der Edition Tischler

28. Juni 2016

Kueche, graue Kueche, Haecker, M i MA zuegeltUnser Umzug liegt mehr als ein Jahr zurück. Mittlerweile sind uns die Geräusche und Gerüche vertraut. Wir finden die Lichtschalter ohne Hinzusehen und den Weg zum Klo im Schlaf. Die Möbel haben einen festen Ort gefunden und die Angst vorm falschen gehängten Bild ist einer neuen Lust am Wandgestalten gewichen. Klingt ziemlich abgeschlossen? Ist es auch. Aber doch nur ziemlich. Hie und da gibt es noch offene Baustellen, allen voran im Bad. Hier klafft noch immer eine riesige Lücke unterm Waschtisch.

Nach den guten Erfahrungen mit unseren Einbauschränken haben wir uns entschieden, auch für den „Lückenschluss im Badezimmer“ eine Tischlerei zu rate zu ziehen. Auf der Suche nach einem passenden Betrieb bin ich über die Edition Tischler gestolpert, einer Online-Plattform für Möbeltischler/innen. Zwar habe ich dort (noch) keine Schreinerei in unserer Nähe gefunden, wohl aber Gefallen an der Initiative, die dem Handwerk mehr Sichtbarkeit in der virtuellen Welt verleihen will. Über ihre Hintergründe, Hoffnungen und Akteure, das Verhältnis von Industrie und Handwerk und anderes habe ich mit Monika Dieckmann vom Fachverband Tischler NRW  gesprochen.

Badezimmer, dunkelgraue Badfliesen, dunkles Bad

Wer steckt hinter der Edition Tischler?

Die Edition Tischler ist ein Online-Ausstellungsraum für Tischler mit einer großen Leidenschaft für den Möbelbau. Sie setzt sich aktuell aus 29 Innungstischlereien zusammen, die sich zu einem bundesweiten Netzwerk – mit Schwerpunkt in Nordrhein-Westfalen zusammengeschlossen haben. Die Edition Tischler ist mit Unterstützung von Tischler NRW entstanden, dem Innungsverband des Tischlerhandwerks in Nordrhein-Westfalen.

Alle Möbel, die im Online-Showroom angeboten werden, sind von Tischlern im Netzwerk entworfen worden und werden in den Werkstätten der Editions-Tischler mithilfe moderner Maschinen und mit größter handwerklicher Präzision gebaut. Eine Jury wählt die handverlesenen Stücke anhand hoher Qualitäts- und Designkriterien aus. Wenn sich Kunden ihr Möbelstück ausgewählt haben, können sie sich an die nächst gelegene Editions-Tischlerei wenden – oder an jeden anderen der 29 Betriebe im Netzwerk. Dieser persönliche Kontakt ist wichtig, damit die Tischlerei das Möbel nach den Vorstellungen des Kunden fertigen kann. Der Tischler liefert es selbstverständlich bis nach Hause und baut es dort auch auf. Sollten später noch Fragen aufkommen, können sich Kunden jederzeit an ihre Tischlerei wenden.

Was ist das Ziel und die Vision der Edition?

Die Edition Tischler hat zwei große Ziele: Die Online-Plattform soll den Verkauf von Tischler-Möbeln über das Internet fördern, aber auch die Tischler als Gestalter und Einrichtungsexperten bekannter machen. Der Verkauf von Möbeln über das Internet boomt – doch das Handwerk ist im Vergleich zur Industrie wenig vertreten. Tischler NRW unterstützt als Innungsverband seine Mitgliedsbetriebe beim Aufbau der Plattform, um den Online-Verkauf von Tischlermöbeln zu fördern.

Tischler NRW möchte mit der Edition Tischler aber auch dazu beitragen, das Image dieses traditionellen Handwerks zu differenzieren und zu erweitern. Das Tischlerhandwerk gehört zu den ältesten Gewerken überhaupt, und dennoch wissen die meisten Menschen nur wenig darüber, was ein Tischler oder Schreiner, wie das Gewerk in einigen Regionen auch genannt wird, eigentlich macht – das bestätigen Umfragen immer wieder. Dabei ist das Tischlerhandwerk extrem vielseitig: Tischler planen und fertigen nicht nur Möbel und Küchen, sondern auch komplette Inneneinrichtungen. Mit modernen, zum Teil computergesteuerten Maschinen verarbeiten Tischler neben massivem Holz auch Kunststoffe, Holz- und Mineralwerkstoffe, Glas, Metall und Stein. Manche Tischler bauen komplette Häuser aus oder sie gestalten die Innenräume von Läden, Arztpraxen und Yachten. Manche bauen auch Messestände, Wintergärten oder Saunen. Andere Tischlereien fertigen hauptsächlich Fenster, Türen oder Treppen. Einige Tischler planen große Bauprojekte, andere sind studierte Gestalter und entwerfen ganze Möbellinien. In jedem Fall sind Tischler die richtigen Ansprechpartner bei allen Fragen rund um die Gestaltung und Inneneinrichtung – auch das soll die Edition Tischler kommunizieren.

Edition Tischler, Beistelltisch Nachtschublade
Beistelltisch Nachtschublade

Handwerkliche und industrielle Produktion – wie verhalten sie sich zueinander? 

Wie die Industrie, stellen auch Tischler ihre Möbel mithilfe moderner, zum Teil computergesteuerter Maschinen her, die sie mit traditionellen Handwerkstechniken kombinieren. Dennoch gibt es nach wie vor gravierende Unterschiede: Die Möbelstücke werden nicht anonym in riesigen Produktionsstätten, sondern in einer überschaubaren Werkstatt von einem ausgebildeten Gesellen oder Meister gefertigt. Vor allem aber nehmen Tischler sich für jede Kundin und jeden Kunden die Zeit, ein persönliches, maßgeschneidertes Möbelstück zu entwickeln und das passende Material auszusuchen. Für die Industrie, die auch versucht, auf der Basis wiederkehrender, seriell gefertigter Versatzstücke ihren Kunden immer mehr Varianten anzubieten, wäre das nicht rentabel. Teurer wird es beim Tischler trotzdem nicht, da durch den Verzicht auf die Handelsebene ein wichtiger Kostenfaktor entfällt.

Warum sollte ich Möbel vom Tischler (statt von der „Stange“) kaufen?

Tischler sind Gestaltungs- und Einrichtungsexperten, die sich wirklich Zeit für ihre Kunden nehmen. Das Einrichten einer Wohnung ist schließlich eine persönliche Angelegenheit. Selbst dann, wenn die Kundin oder der Kunde noch gar nicht so genau weiß, was sie oder er eigentlich will, kann der Tischler ihnen helfen, die Idee zu konkretisieren. Er hat die Fähigkeit, vage Vorstellungen in Entwürfe zu verwandeln und (Einrichtungs-) Probleme zu lösen: Wenn Kunden beispielsweise nicht mehr wissen, wie sie ihre vielen Sachen unterbringen sollen, entwickelt der Tischler eine maßgefertigte Stauraumlösung, die zum Einrichtungsstil der Kundin oder des Kunden passt. (Interessante Tipps finden Sie dazu auf der interaktiven Internetplattform www.mehr-stauraum.de.)

Edition Tischler, Buecherregal Link
Bücherregal Link

Wer kann sich Möbel vom Tischler leisten?

Es gehört zu den Mythen, dass Möbel vom Tischler immer teurer sind als Industrieprodukte. Für eine maßgeschneiderte Küche vom Tischler beispielsweise muss ein Kunde keineswegs tiefer in die Tasche greifen als für eine hochwertige Marken-Küche. Möbel vom Tischler sind jedoch sicherlich nichts für Menschen, bei denen der günstigste Preis bei der Wahl ihrer Einrichtung Entscheidungskriterium Nummer eins ist. Möbel vom Tischler lohnen sich für all jene, die ihre Einrichtung mit Sorgfalt auswählen, Wert auf die optische und haptische Qualität ihrer Möbel legen, oder die es zu schätzen wissen, wenn ihr Möbel eine individuelle Handschrift trägt.

Wie sehen Sie die Zukunft der Möbeltischlerei?

Unsere Gesellschaft individualisiert sich immer mehr – ob Singles, klassische Familie, Patchworkfamilie oder Senioren – jeder hat eigene (Wohn-)Bedürfnisse, die sich im Laufe eines Lebens wandeln. Der Bedarf an Möbeln und Einrichtungen, die auf den einzelnen Menschen zugeschnitten sind, wird daher in Zukunft noch steigen, sodass es für Tischler immer genug zu tun geben wird.

Aber auch die Betriebe selbst wandeln sich: So bietet die digitale Kommunikationstechnik schon jetzt viele Optionen, die auch die Arbeitsweise in der Tischlerei verändern: Schon lange nutzen viele Tischlereien beispielsweise die CNC-Technik, mit der eine effiziente Fertigung jeder beliebigen Freiform möglich ist. Die stetig wachsende Vielfalt an Materialien verändert ebenfalls das Tischlerhandwerk: Ob es um den Einsatz innovativer Werkstoffe, beispielsweise mit selbstheilenden Oberflächen, den 3-D- Druck oder Licht im Möbel geht – die Vielfalt, die das Tischlerhandwerk seinen Kunden bieten kann, nimmt immer mehr zu.

Auch bei der Präsentation von Entwürfen gibt es immer ausgefeiltere Möglichkeiten, damit sich Kunden ein wirklichkeitsgetreues Bild von ihrem geplanten Möbel oder ihrer Einrichtung machen können. Immer mehr Tischlereien werden in Zukunft Apps nutzen, mit denen das neue Möbel in die bestehende Einrichtung projiziert werden kann. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis Kunden in einer virtuellen Realität ihre neu gestaltete Wohnung schon in der Planungsphase begehen und von allen Seiten ansehen können.

Edition Tischler, Beistelltisch EMIL
Beistelltisch EMIL

Leave A Comment

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.