»Zuhören heißt: Raus aus der Komfortzone« Im Gespräch mit der Künstlerin Solveig van der Hoffmann

2. Oktober 2017

Solveig van der Hoffmann hört zu. Zum Beispiel in der Leipziger Fußgängerzone zwischen hassbeschrifteten Kartons. Sie hört Wut und Argwohn und Unverständnis, aber auch viele, mitunter lange Geschichten, die manchmal so traurig sind, dass es wehtut. Aber das gehöre eben dazu. Zuhören sei kein heiteres Geschäft – und auch kein schnelles. Es braucht Zeit, bis die Menschen zu erzählen beginnen, weiß Solveig, die wie die Journalistin und Autorin Carolin Emcke von der Kraft des Erzählens überzeugt ist – auch wenn es bedeute, dass man raus müsse aus der Komfortzone.

»Wenn wir wollen, dass die Demokratie einen Sinn ergibt, müssen wir miteinander sprechen.«
aus: Carolin Emcke »Weil es sagbar ist. Über Zeugenschaft und Gerechtigkeit«

Die aktuellen Verstehensbekundungen stehen für Solveig van Hoffmann denn auch eher für das Unvermögen, miteinander zu sprechen. Schon die Frage sei falsch gestellt. Die meisten demokratischen Parteien fragten mit Blick in den »blaugefärbten« Osten, wie sie die Wähler*innen für sich zurückgewinnen könnten. »Gar nicht!«, sagt die Wahlleipzigerin, denn zurückgewinnen könne man nur, was man schonmal hatte; viele Menschen im Osten Deutschlands seien aber bis heute nicht ins politische Systems der Bundesrepublik integriert. An diesem Punkt müsse man ansetzen, auf die Menschen zugehen, ihnen zuhören und ihre Erfahrungen – statt die Affekte und Abwehrmechanismen – ernst nehmen.

Um das und mehr geht es im heutigen Montagsinterview, mit dem ich euch einen schönen Brückentag wünsche. Und dir, liebe Solveig, danke ich herzlich für deine Denkanstöße – so passend zum morgigen »Tag der deutschen {Un}Einheit{lichkeit}«.

Kurzurlaub im Ferienpark Mirow

So sehr mich deine »Desintegrations-These« überzeugt, so ratlos macht sie mich. {Wie} Lässt sich damit konstruktiv umgehen?

Tja, das wird bestimmt keine leichte Aufgabe. Ich denke, als erstes bräuchte es ein gesellschaftliches Problembewusstsein. Gerade wird allerorten diskutiert, ob man »Verständnis« für die ostdeutschen AfD-Wähler*innen haben sollte. So ein Quatsch! Für Diskriminierung darf es kein Verständnis geben.

Und {fast} jede Partei »hat jetzt verstanden«. Ja, was? Und wen? – So schnell, wie die sich hier richtig verstehen, kann ich noch nicht mal zuhören. Das ist aber nötig, denn Integration funktioniert eben nicht von oben nach unten. Wenn wir uns jetzt einen tollen Plan ausdenken und mit dem ins Erzgebirge fahren, wird das ganz sicher nicht aufgehen. Zurecht. Ich denke, es braucht einen breiten Dialog.

Tatsächlich finde ich den Weg der sächsischen Integrationsministerin Petra Köpping ganz spannend und ausbauwürdig: Sie hört zu. Sie nimmt die Geschichten der Menschen ernst. Und darauf kommt es m.E. an. Das ist nicht immer leicht. Im Gegenteil. Es heißt: Raus aus der Komfortzone! Auf keinen Fall sollten wir noch weitere Zugeständnisse in der Asylpolitik machen – eher vieles zurücknehmen. Wenn zu den schlecht integrierten Deutschen in ein paar Jahren noch schlecht integrierte Asylbewerber*innen kommen, dann wird es noch schwieriger.


»Sie immer mit Ihren Flüchtlingen! Integrieren Sie doch erst mal uns!« Pegida-Demonstrant


Du lebst in Leipzig, eine Stadt, die die Autorin und Redakteurin Sophie Sumburane verlassen hat, um dem dort herrschenden {Alltags-}Rassismus zu entfliehen {siehe: hier}. Wie erlebst du Leipzig?

Dazu muss ich natürlich erstmal beschreiben, was nicht selbstverständlich ist: Meine Haut ist {wie man so schön sagt} weiß, die meines Kindes auch. Ich spreche fließend und akzentfrei deutsch und zumindest mein Nachname ist in Deutschland schrecklich normal. Meine Freund*innen und Kolleg*innen sind Kulturschaffende, Geisteswissenschaftler*innen. Und ganz allgemein ist Leipzig immer noch der Hoffnungsträger {oder wahlweise die »linksgrünversiffte Antifantenzone«} von Sachsen. Für mich ist Leipzig eine weltoffene Stadt.

Aber seit vier Jahren arbeite ich mit Geflüchteten. Durch diese Arbeit bekomme ich eine Ahnung von jenem anderen Leipzig: das der argwöhnischen Blicke, der verdrehten Augen, der »freundlichen« Hinweise. Ich habe darüber auch schonmal auf meinem Blog geschrieben. Das alles ist nicht so schlimm, wie das, was Sophie Sumburane beschrieben hat. Aber um es kurz zu machen: Ich glaube ihr jedes Wort.

Solveig van Hoffmann
© Solveig van Hoffmann

Als Künstlerin, Pädagogin und Autorin arbeitest an der Schnittstelle von Kunst und Gesellschaft. Was kann Kunst, was andere Systeme, also Wissenschaft, Medien, Politik oder Wirtschaft, so nicht können?

Kunst darf völlig unnütz sein. Was für eine Befreiung! Ich muss keine Regeln oder Erkenntnisse vermitteln. Ich muss nicht fair oder akkurat berichten. Ich darf persönlich, intuitiv und emotional vorgehen. Der Erfolg bemisst sich nicht an anvisierten Gewinnen.

All das sind Dinge, die in unserer Gesellschaft radikal zu kurz kommen. Dass Menschen mit trauriger Biographie zwei Stunden lang mit mir in der Fußgängerzone reden, das hat mit einem Setting zu tun, mit dem man weder Geld verdienen, noch repräsentative Daten erlangen oder Beschlüsse für eine größere Gemeinschaft fassen kann. Es setzt aber Impulse, und ehrlich gesagt, glaube ich einfach daran, dass wir diese Impulse brauchen – und Lust und Freude an diesen Impulsen obendrein. Das kann die Kunst besser, als irgendeine andere Disziplin.

Für die Firma Thadeus Roth {alias Alternate Reality Strategies}, deren stille Teilhaberin du bist, entwickelst transmediale Erzählungen. Was genau zeichnet diese Art der Erzählung aus?

Transmediale Erzählungen machen Menschen zu Protagonist*innen. Über verschiedene Medien {wie Briefe, Mails, SMS, Telefonanrufe} erhalten sie Botschaften, aus denen sich die Story zusammensetzt. Der Verlauf der Geschichte ist nicht genau festgelegt, sie können ihn durch ihr Handeln beeinflussen.

Bevor ich selbst aktiv an einer Geschichte mitgearbeitet hatte, durfte ich selbst einmal mitspielen. Wenn du einen handschriftlichen Brief mit ziemlich speziellem Inhalt an deine Privatadresse geschickt bekommst – ganz schön aufregend. Damals habe ich 30 Minuten gebraucht, bis mir wieder einfiel, dass ich ja gerade »dieses Spiel« spiele. Die Geschichte war plötzlich Teil meiner Realität.

Kurzurlaub im Ferienpark Mirow

2015 hast du das Kultur- und Produktionsbüro »Blühende Landschaften« gegründet – ein Zusammenschluss freier Theatermacherinnen, die – O-Ton – »Motor für eine vitale, professionelle Freie Theaterszene sein [wollen], aber gleichzeitig den Osten mit seinen Besonderheiten und Eigenarten einbeziehen und berücksichtigen.« Wie gelingt euch das? Und wie ist die Resonanz auf eure Aktivitäten und die Akzeptanz in Ostdeutschland?

Wir sind aktuell drei Kulturschaffende, die »Blühende Landschaften« betreiben. Die Gründung ging tatsächlich auf die Beobachtung zurück, dass wir hier in Sachsen und Ostdeutschland in der Kulturförderung und -organisation nicht gerade verwöhnt sind: Die großen Produktionsbüros sitzen im Westen und in Berlin. Von einer Kulturförderung wie in Niedersachsen oder NRW können wir nur träumen. Und die vielen Einzelkämpfer*innen in der Kulturbranche reiben sich auf, weil sie neben ihren Projekt noch irgendwie die Produktionsleitung mit stemmen und vielfach extrem unterbezahlt arbeiten.

Auch auf institutioneller Ebene ist es nicht einfach: In den größeren Städten wie Leipzig und Dresden gibt es natürlich tolle Häuser, aber in den ländlichen Gebieten kämpfen sich die Kulturstätten regelrecht ab.

Deshalb gibt es uns jetzt – als Produktionsbüro, das gerne Aufträge rund um die Organisation und Finanzierung von Projekten annimmt, aber auch als Zusammenschluss von Kulturschaffenden, die sich hier im Osten engagieren wollen. Da wir alle in Leipzig sitzen, haben wir auch hier angefangen und arbeiten uns langsam in die Peripherie vor. In Freiberg, Döbeln, Dessau und Umgebung haben wir inzwischen schon Projekte betreut.

Aber man sollte sich nichts vormachen; es bleibt noch viel zu tun. Deshalb haben wir uns auch »Blühende Landschaften« genannt – mit einem Hauch Ironie.

Zwischen Loddin und Ueckeritz

In Ungarn wurden gerade drei Theatermacher zu Staatsfeinden erklärt. Hältst du solche Entwicklungen auch in {Ost-}Deutschland für möglich?

Aktuell kann ich mir das nicht vorstellen. Aber das habe ich schon über so viele Dinge gesagt… faktisch leben wir in einem Land, das bestimmte Volksgruppen vom Asylrecht mehr oder weniger ausschließt. Das tausende Menschen im Mittelmeer ertrinken lässt. Und und und… Der Unterschied ist vermutlich der, dass die davon Betroffenen nicht mit so lauter Stimme protestieren können, wie wir Künstler*innen.

Wie blickst du in die Zukunft? Was bereitet dir Sorgen und was stimmt dich zuversichtlich?

Ich bin schon sehr besorgt – und ziemlich froh, dass ich mir eine richtig düstere Zukunft einfach nicht fühlbar vorstellen kann. Wahrscheinlich versetzt mich das in die Lage, einfach Dinge zu machen. Zum Beispiel endlich meine rassistischen Kartons zu entsorgen.

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