In Bowies Radspuren Teil III: Die verrufensten 300 Meter

5. November 2014
Auf den verrufensten 300 Metern der Potsdamer Straße: Die Pension Excelsior und die Bar Romantica stehen längst nicht mehr. | Foto (c) André Kircher | 1985

Zuletzt ging es – mit fast 40 Jahren Distanz – in Bowies Raleigh-Spuren am gerade erbauten Sozialpalast vorbei, über die Kreuzung Potsdamer-/Pallas- bzw. Goebenstraße. Dort setzen wir – mit etwas Verspätung  – die Fahrt nun fort. Das heutige Wegstück ist kurz; bis zur Bülowstraße sind es nur rund 300 Meter. Zu Bowies Zeiten sind es ‚die verrufensten 300 Meter der Potsdamer Straße‘. ‚Selbst langjährigen Bewohnern fällt der Dreck noch auf‘.* Heute ist es unauffällig.

Gleich hinter der Kreuzung, gegenüber dem Sozialpalast befindet sich – in direkter Nachbarschaft zum Ex´n Popdem Nachfolger der einstigen Besetzerkneipe K.O.B. – die Apotheke am Sportpalast. Sie ist schon zu Bowies Zeiten hier, wobei das Haus damals in denkbar schlechtem Zustand ist. Es steht zum Abriss frei. Dass es noch da ist, ist der ’schrägen Truppe‘ (André Kirchner) zu verdanken, die es – wie eine seltsam bieder anmutende Inschrift über dem Hauseingang erinnert – am 25. März 1981 besetzte. Zwischen all den Imbissen, Ein-Euro-Läden, Billigfriseuren, Reise- und Wettbüros wirkt es heute wie eine Reminiszenz an vergangene Zeiten – Zeiten, in denen es hier noch wild und gefährlich war.
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Als Bowie Ende der 1970er Jahre Richtung Hansa-Studios radelt, säumen Stundenhotels, Bordelle und Puffs seinen Weg. Dazwischen Frühstückskneipen, Nachtbars, Spielhöllen und Automatenkneipen, ein verwahrloster Waschsalon, die ersten Kebab-Buden und einstürzende Altbauten – davor, dicht an dicht in den Hauseingängen, die auf Freier wartenden Frauen. Die Strecke zwischen Pallas-/Goeben- und Bülowstraße ist der ‚Kiez der Nutten, Zuhälter und Spieler‘. Noch. Denn findige Hausbesitzer/innen entdecken gerade, dass es lukrativer ist, die Wohnungen monatelang an Ayslbewerber/innen zu vermieten als stundenweise an Prostituierte und funktionieren die Bordellzimmer peu á peu in sozialhilfefinanzierte Massenunterkünfte um. Das Sozialamt zahlt Miete pro Kopf und macht die Potsdamer Straße ‚multikulturell, als es dieses Wort noch gar nicht [gibt]’***. Das Rotlichtmilieu gerät unter Druck und der Drogenhandel blüht auf. Schießereien und Messerstechereien gehören zur Tagesordnung auf dem Abschnitt Goeben- bis Bülowstraße. ‚Es war knallhart‘ (André Kirchner). Heute ist es ruhig.
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Der Drogenhandel hat sich nach Kreuzberg verlagert, die Prostitution hinter die Bülowstraße,  und die verrufenen Lokalitäten von einst wurden mitsamt ihrer Gebäude entfernt. Seit 1985 Jahre machte der Berliner Senat mit seinen Sanierungsplänen Ernst und ließ ein Haus nach dem anderen abreißen. So etwa das Hotel am Sportpalast an der Ecke Potsdamer-/Winterfeldtstraße, vor dem Bowie allmorgendlich ‚eine schwankende Mischung von Alkohol-, Tabletten- und Heroinsüchtigen [sieht], demonstrativ bewacht von einer Wanne voller gelangweilter Polizisten‘.* Auch das legendäre Eichelkraut gleich gegenüber an der Ecke Potsdamer-/Alvenslebenstraße steht nicht mehr. 1995 wurde es abgerissen. Seither klafft hier eine Lücke. ‚Der Markt will nicht. … das große Geld zieht vorüber und vorbei‘ (Quelle) – eigentlich unerklärlich, wo doch gerade jede/r ein Stück Berlin haben will. Im Frühjahr hat sich Street Art-Künstler Vhils des verschmähten Ortes angenommen und ihm ein neues Gesicht verliehen.

Das Werk von Street Artist Vhils befindet sich an der Alvensleben-/Ecke Potsdamer Straße, auf den einst verufensten 300 Meter der Straße. | Fotografiert im Mai 2014

Einst stand hier übrigens das stadtbekannte Delikatessengeschäft ‚Scheurich & Patzke‘ und versorgte die feinere Gesellschaft mit ‚Geflügel, Wild, frischen Rebhühner[n], Kaviar und Karpfen‘.** In der Nacht des 30. Januars 1944 wurde das Haus von einer Brandbombe getroffen und ging in Flammen auf. Die ausgebrannte Ruine wurde später durch ein zweistöckiges Ladengebäude ersetzt, in dessen Erdgeschoss das Eichelkraut mehr als 40 Jahre residierte.

Abgerissen und durch wenig glänzende architektonische Leistungen ersetzt, wurden auch das einschlägig bekannte Hotel Potsdam (Potsdamer Straße 156), die Pension Excelsior und die Bar Romantica (beide Potsdamer Straße 148), deren Schriftzug man heute über dem gleichnamigen Café-Restaurant in der Akazienstraße findet – ‚als Relikt aus den wilden und verruchten Zeiten der Podsdamer Straße‘ (Quelle). Die Wirtsleute erhielten ihn als Geschenk, wie Sybille Nägele und Joy Markert, Autoren des Buches Potsdamer Straße. Geschichten, Mythen und Metamorphosen, wissen. Die Zeiten ändern sich.

Die nächste Etappe führt durch die ‚Geschichte der Instandbesetzung‘. Den heutigen Streckenabschnitt findet ihr auf Google-Maps und andere Radgeschichten bei Christiane.
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Hier befand sich einst das Radio Bree, ein Platten- und Rundfunkladen nahe des ehemaligen Sportpalasts, der 1976 Konkurs anmeldete.

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*aus: Benny Härlin und Michael Sontheimer: Potsdamer Straße. Sittenbilder und Geschichten. 1983, S. 11ff
**Ebd. S. 42
***Rüdiger Schaper: Tote Hosen, schwere Fälle. Ein Reim auf die geliebte Potse. In: Berlin um Mitternacht. Hg. Rüdiger Schaper, Berlin 1998. Aus: Sybille Nägele und Joy Markert: Potsdamer Straße. Geschichten, Mythen und Metamorphosen. S. 205, Berlin 2006

2 Comments

  • 9 Jahren ago

    Du stehst für mich so sehr für die Synergie von altem und neuen Berlin. Deine Artikel verschlinge ich sofort und denke noch lange darüber nach. Berlin wird leider viel zu oft als die hipsterige Neureichenmetropole dargestellt, dabei hat Berlin so viel mehr zu bieten. Vor allem die Geschichten die zeigen, was die Berliner / Berlin zu dem machte, was sie /es sind / ist, mag ich sehr gern bei dir lesen!

    • 9 Jahren ago

      Oh, das ist ja das schönste Lob, das ich mir vorstellen kann. DANKE!

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