In 17 Tagen durch Georgien Teil V: Von Adscharien nach Imeretien. Oder »Batumi kills me«.

29. Oktober 2018

Aus Batumi und mir konnte nichts werden. Unser Start war völlig verfehlt. Anders erging’s mir mit Kutaissi.

Ein Hochhaus nach dem anderen stürzte sich in den Himmel und kaum eines sah so aus, als würde es die nächste Saison überleben. Einwegarchitekturen ohne Aussicht. Ich verstehe es nicht: Warum wollen alle nach Batumi? Nichts an dieser Stadt war schön, nichts an ihr war freundlich. Von Anmut ganz zu schweigen. Ein Möchtegern, laut und kitschig und schrill und schmutzig – womit ich ihr sicher Unrecht tue. Unser Start war derart verfehlt; aus uns konnte nichts werden.

Batumi
Ein Blick aus unserer Wohnung in den Innenhof (die winzige Wellblechhütte ist bewohnt)
Die Ankunft

Nach 1.500 Kilometern hatten wir uns auf zwei ruhige Tage am Rande des botanischen Gartens gefreut – und nun das! Unsere Unterkunft hatte nicht genügend Betten! Wo sollten wir nun unterkommen?

Die Antwort ergab sich bei einer zweifelhaften Begegnung in einem räudigen Straßenrestaurant mit Flusszugang. Berto und Matthias berichteten den Inhabern von unserem Pech, woraufhin diese von ihrer wunderbaren Neubauwohnung im Zentrum von Batumi zu schwärmen begannen und uns großzügig zu einer Flossfahrt einluden, für die sie später kräftig abkassierten.

Schon an dieser Stelle war ich innerlich ausgestiegen. Als ich dann die in Stein gebaute Geschmacklosigkeit sah, war ich ganz raus. Nein, hier wollte ich nicht bleiben. Um keinen Preis. Auch der Mann und seine Schwester wollten nichts als weg. Doch es gab kein Entkommen. Mitgehangen, mitgefangen. Unsere Antwort darauf war die totale Erschöpfung. Dumpf ergoß sie sich über die verbleibenden Tage. Ohne Mariana Lekys wundervollen Roman »Was man von hier aus sehen kann« hätte ich sie vermutlich nicht depressionsfrei überlebt (Stichwort: Romantherapie).

Das »Barcelona am Schwarzen Meer« sollte Batumi nach dem Willen des Ex-Präsidenten Saakaschwillis werden. Geworden ist es »eine Mischung aus postsozialistischer Zuckerwattenarchitektur und russisch-georgischen Ballermanntourismu(Alem Grabovac).

Die anderen Momente

Gleichwohl gab es Momente, an die gern zurückdenke: der spontane Besuch in einer winzigen Bäckerei, wo ich beim traditionellen Brotbacken im Tone zusehen durfte. Das achtstündige Supra beim Patriachen (einem Freund von Berto und Besitzer zweier gehobener Restaurants in Batumi) oder auch das Baden im Schwarzen Meer, das viel wilder war, als ich erwartet hatte.

Diese Augenblicke mischen einen Hauch von Freundlichkeit in die ansonsten trübe Erinnerung. Als wir die Stadt am Morgen des dritten Tages verließen, war ich heilfroh – ganz anders als in Kutaissi.

Ganz anders Kutaissi

Kutaissi ist die drittgrößte Stadt Georgiens und liegt am Ufer des drittlängsten Flusses des Landes, dem Rioni. Seit Mai 2012 tagt das georgische Parlament hier in einem spektakulärem Gebäude. Es ist eines der vielen Neubauten, die Ex-Präsident Saakaschwilli in seiner Regierungszeit (2004 bis 2013) im ganzen Land erbauen ließ, um dem ehemaligen Sowjetstaat ein neues, ein westliches Gesicht zu geben.

»Diktaturen sind eintönig und Demokratien sind bunt, so Saakaschwillis Credo. Deshalb holte er Architekten aus dem Westen … und zeichnete die Entwürfe persönlich ab.«

Benjamin Bidder

Mit kotzendem Kind (wir tippten auf eine Lebensmittelvergiftung und hatten das Fruchtleder (Tklapi) im Verdacht) blieb nicht viel Zeit für Stadterkundungen: ein kurzer Abend und ein – von den anhänglichen Straßenhunden einmal abgesehen – einsamer Morgenspaziergang. (Die morgendliche Alleinzeit hatte ich mir zur Gewohnheit gemacht; sie half mir, das konservengleiche Gruppendasein im Minibus zu überstehen.)

Ein Morgenspaziergang

Um sechs Uhr früh schlich ich mich aus dem Hotel und machte mich auf zur streitbaren Rekonstruktion der Bagrati-Kathedrale, wo die Straßenhunde ein Nachtquartier hatten. Mit großen treuen Augen und nach Zuneigung/Essen  heischendem Winseln kamen sie auf mich zu und folgten mir bis hinunter ins Stadtzentrum, in dem bereits geschäftiges Treiben herrschte.

Bagrati-Kathedrale (georg. ბაგრატი; ბაგრატის ტაძარი)

Die Bagrati-Kathedrale wurde Anfang des 11. Jahrhunderts unter König Bagrat III. (reg. 978–1014) erbaut und 1692 von den Osmanen verwüstet und gesprengt. Über drei Jahrhunderte blieb das zerstörte Gotteshaus als Ruine bestehen. 1952 begannen erste Restaurierungsarbeiten, 1994 wurde die Kathedrale Unesco-Weltkulturerbe und von 2001 bis 2012 rekonstruiert, wodurch sie den Welterbe-Status wieder verlor. Quelle

Kleinlaster, Karren und allerlei andere mit Waren bepackte Vehikel wuselten durch die engen Straßen. Ihr Ziel, was auch das meine wurde: die große, gleichwohl kaum erkennbare Markthalle. Sie liegt versteckt hinter einer imposanten Reliefwand aus den 1930er Jahren, teils unter einem Haus und war zu dieser frühen Morgenstunde noch beinah ruhig. Es gab kein lärmendes Marktgeschrei, kein Handeln und Tratschen und Feilschen, nur  hier und dort ein Zuruf, ein Schnappen von Türen und Truhen und das Rauschen der Hülsenfrüchte, wenn sie in die Blechschalen fielen. Allein die Hühner durchbrachen mit ihrem aufgeregten Gegacker die arbeitsame Stille.

Was auf den ersten Blick chaotisch aussah, entpuppte sich auf den zweiten als wohlsortiert: Es gab einen Bereich für Obst, einen für Kräuter und Gewürze, einen für Gemüse, einen für Getreide, einen für Fisch, einen für Geflügel, einen für Fleisch, einen für Plastik-, einen für Metallschüsseln und so fort. Der Kräuter-Gewürz-Bereich wurde von Frauen dominiert, die – wie wohl die allermeisten hier – keiner Fremdsprache mächtig waren. Wie sollte ich herausfinden, obზაფრანა kaukasischer Safran, სოლინჯი Bockshornklee und აჯიკა Adschika (scharfe Würze) bedeutet? Ich kaufte auf gut Glück.

»Mit georgischen Gewürzen kann man kein Gericht verderben!«
Tinatin Lominadze

Mit meinem Duftpaket unterm Arm schlenderte ich noch ein Weilchen durch die Altstadt und beschloss, meine nächste Städtereise würde nach Kutaissi führen.

Tipp: Einen schönen Reisebericht über Kutaissi findet ihr auf Wanderfolk

Fast wie zuhause

Für heute stand Ateni auf dem Plan, eine Kleinstadt im malerischen Tana-Tal. Daraus wurde nichts.

Die Nachricht ereilte uns – Déjà-Vu – in einem räudigen Straßenrestaurant: Es gäbe, teilte man uns telefonisch mit, nicht genug Betten. Was nun? Wir diskutierten allerlei Alternativen, doch unsere Abenteuerlust war versiegt und entschieden wir uns mehr oder weniger einstimmig für die Rückkehr nach Tblissi.

Als wir nach einem Zwischenstopp im Kloster Gelati und der St. Georg Kirche in Ubisa am Hotel Central ankamen, war es beinah wie Nachhause-Kommen: ein vertrauter Ort, der ein wenig Beständigkeit versprach.

Die letzten Tage unserer Reise verbrachten wir am liebsten im Garten des Schriftstellerhauses – dem europäischsten Ort in der ganzen Stadt. Unser Bedürfnis nach Vertrautem und Gewohnten war groß. Als wir nach 17 Tagen in Berlin ankamen, konnten wir uns erstmals eine Pauschalreise mit Vollpension vorstellen und allein der Gedanke an Chatschapuri löste Übelkeit aus. Seither gab es drei Gerichte aus dem neu erworbenen georgischen Kochbuch und in Gedanken plane ich bereits die nächste Reise nach Georgien.

2 Comments

  • 5 Jahren ago

    Liebe Indre!
    Ich habe immer wieder die Luft angehalten, bei deinem Reisebericht. Puh. (das wäre ja nix für mich gewesen…)
    Ich finde ihn deshalb so toll, weil du schonungslos ehrlich berichtest, fernab von all diesen Wow-Erlebnisurlauben, die man sonst so zu lesen bekommt.
    Und doch hört man heraus, dass es eine gute, eine „echte“ Reise war.
    Danke dafür!

    • M i MA
      5 Jahren ago

      Danke!

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