»Einfach mitreißen lassen«. Ein Blick hinter Sommerdiebe

5. September 2017

»Sie schwirrt durch diese heißen Monate mit Clyde und seinen Kumpels – erfüllt von einer Sehnsucht nach einer Welt mit lauter Unbekannten, wo nichts festgeschrieben ist und stets ein Rätsel zu lösen bleibt.«

Sommerdiebe von Truman Capete 

Ein Leben ohne Kultur? Für Deborah Bischofberger undenkbar. »Ich kann mich kaum an eine Woche erinnern, in der ich nicht ein gutes Buch in die Hand genommen, ein paar Lieder auf der Gitarre gespielt, ein tolles neues Gericht ausprobiert oder mir im Kino einen eindrucksvollen Film angesehen hätte.«

Das Erlebte verarbeitet sie auf ihrem Blog Sommerdiebe. Es ist einer von vielen Blogs, die Deborah ins Leben gerufen hat. Auf ihrem ersten Blog veröffentlichte sie Kurzgeschichten. Das war 2005 und das Bloggen noch ziemlich exotisch, wenngleich nicht für Deborah. Die gebürtige Berlinerin stammt nämlich aus einer »Bloggerfamilie«: Auch ihre Brüder und Mutter schreiben ein Blog.

Was Bloggen für sie ist und wie sie es nutzt, darum geht es unter anderem im heutigen Interview. Außerdem sprechen wir über ihre Liebe sowie über Wege zur Kultur, ihr Studium der Literaturwissenschaft und ihre liebsten Bücher. Hab‘ vielen lieben Dank, Deborah, für die interessanten Einblicke, mit denen ich allen eine weiterhin gute Woche wünsche.

Deborah Bischofberger Sommerdiebe

Gebürtige Berlinerin, Literaturwissenschaftlerin, Bloggerin – wer und was ist Deborah Bischofberger noch? Und was ganz klar nicht?

Was ich sonst noch bin? Auf jeden Fall eine neugierige junge Frau, die es liebt, ständig Neues zu entdecken. Ich bin in Berlin gerne mit Fahrrad und Kamera unterwegs, reise gerne in fremde Städte, liebe gutes Essen und schätze sehr den Blick über den Tellerrand. Beruflich habe ich mich nach dem Studium vorerst in Richtung Verlagswesen orientiert. In den letzten zwei Jahren habe ich in einem Potsdamer Verlag als Junior-Redakteurin im Online-Marketing gearbeitet. Bei der Konzeption und Gestaltung des Corporate-Blogs »Reisen in Deutschland« konnte ich auch meine große Leidenschaft für Social Media und das Bloggen einbringen. Derzeit bin ich auf der Suche nach einer neuen beruflichen Herausforderung – die Karten werden neu gemischt. Mal sehen, wer oder was ich dann sein werde. Ich bin selbst gespannt, wohin mich mein {kultureller} Weg noch führen wird. Und was ich ganz klar nicht bin?

Ich hoffe sehr, dass ich nicht abgehoben über Kultur schreibe, sondern eine Bloggerin bin, die ihren Lesern auf Augenhöhe begegnet. Ich finde selbst nichts schlimmer als »von oben herab« behandelt zu werden. Mein Anspruch in meinem Blog ist es definitiv, auch anspruchsvolle Literatur, Filme oder Ausstellungen auf anschauliche Weise zu präsentieren. Wichtig ist mir außerdem, sich nicht verbiegen zu lassen. Mag ja sein, dass ich wenig über vermeintliche Bestseller und Blockbuster blogge, gleichzeitig betrachte ich meinen Blog aber auch als mein persönliches Kulturtagebuch und möchte daher wirklich nur über Bücher, Filme und Ausstellungen schreiben, die mich persönlich bewegen oder zumindest zum Nachdenken angeregt haben.

Ich würde sogar soweit gehen und sagen, dass mein Blog mir hilft, meine Gedanken über kulturelle Erlebnisse und Erfahrungen zu ordnen. Wenn es da draußen dann auch noch Leute gibt, die meine Artikel gerne lesen, umso schöner!

Auf welchen Blogs hast du in den vergangenen 10 Jahren geschrieben? Und warum hast du dort jeweils aufgehört zu schreiben?

Meine Zeit als Bloggerin begann bereits an meinem 16. Geburtstag. Mein älterer Bruder schenkte mir meinen ersten WordPress-Blog – fertig eingerichtet samt Domain. Ich gehöre also wirklich fast zu den Bloggern der ersten Stunde. Wenn man bedenkt, wie viele Blogs – vor allem zum Thema Literatur – es mittlerweile gibt… 2005 war man mit einem Blog noch ein echter Exot.

Schon damals machte mir das Schreiben große Freude. In meinem ersten Blog veröffentlichte ich in erster Linie kleine Kurzgeschichten, ansonsten war er aber auch ein buntes Sammelsurium aus Alltagsfotos und einigen Artikeln, die ich für die Schülerzeitung geschrieben hatte. Diesen Blog führte ich ungefähr bis zum Abi weiter, dann versandete das Projekt.

Witzigerweise spiegeln meine Blogs wirklich verschiedene Lebensabschnitte wider. So konnte ich auch während meines Bachelors in Marburg nicht die Finger vom Bloggen lassen und rief kurzerhand den Mein-Marburg-Blog ins Leben, in dem ich die schönen und eigenartigen Seiten des Marburger Studentenlebens unter die Lupe nahm. Ob der ganz normale Wahnsinn beim WG-Casting, skurrile Begebenheiten in der schnuckligen Unistadt Marburg oder meine Eindrücke von kulturellen Veranstaltungen – schon damals liebte ich die Abwechslung.

Auch heute blättere ich ab und zu noch in meinem »Marburg-Tagebuch« und muss angesichts der vielen witzigen und absurden Anekdoten schmunzeln. Jaja, das waren Zeiten. Der Mein-Marburg-Blog wird zwar nicht mehr weitergeführt, er stellt für mich aber nach wie vor einen Weg dar, zurück in meine wunderschöne Marburger Studentenzeit zu reisen. Ein Blog als Erinnerungsalbum also.

Wieder in Berlin angekommen, musste ich mir zwangsläufig ein neues Blogkonzept überlegen. Schon länger war mir aufgefallen, dass ich eigentlich auch ziemlich gerne über Filme, Bücher und Ausstellungen schrieb. Im Mein-Marburg-Blog war dies aufgrund des Schwerpunkts nicht immer so gut möglich gewesen. Quasi noch auf Umzugskartons sitzend meldete ich also bei WordPress meinen Kulturblog Sommerdiebe an – der bis heute noch besteht und an dem ich hoffentlich noch lange Freude haben werde. Doch wer weiß, was die Zukunft bringt?

Der nächste Lebensabschnitt kommt bestimmt – und damit wohl auch das nächste Blogprojekt. Zwischendurch gab es immer wieder kleinere zeitlich begrenzte Blogprojekte wie der Blog deborahmessina, in dem ich während meines Auslandssemesters auf Sizilien von meinen Erfahrungen und Erlebnissen berichtete. Dazu muss ich sagen, dass ich aus einer »Blogger-Familie« komme, auch meine Brüder und meine Mutter schreiben. Auch für deren Blogs trage ich ab und zu einen Gastartikel oder Fotos zu einem Beitrag bei. So bleibt es garantiert immer spannend!

Du hast Literaturwissenschaft studiert. Wie sieht so ein Studium aus? Was tut man dort? Und was hat dir daran am meisten gefallen?

In Marburg habe ich Europäische Literatur studiert, in Jena dann meinen Master im Fach Literatur, Kunst, Kultur gemacht. Beide Male hab ich mir gezielt Studienfächer gesucht, die nicht nur eine Sprache, eine Kultur abdecken, sondern auch möglichst viele Möglichkeiten bieten, andere verwandte Bereiche kennenzulernen. Gerade diesen Blick über den Tellerrand habe ich während meines Studiums sehr geschätzt.

Warum immer nur in Germanistik-Vorlesungen sitzen, wenn man auch die Möglichkeit hat, etwas über Montagetechniken in Filmen der 1920er Jahre, die Bildästhetik von André Kertész‘ Paris-Fotografien oder die Struktur von Dantes »Divina Commedia« zu erfahren?

Natürlich konzentrierte sich mein Studium größtenteils auf die deutsche und englische Literatur, dennoch war es immer wieder möglich, Ausflüge in andere Bereiche zu unternehmen. Das war sehr erfrischend und bereichernd.

Ein Literaturstudium besteht – wie man sich denken kann – aus viel Lektüre. Und damit meine ich wirklich viel Lektüre! Da ich aber schon seit meiner Kindheit immer gerne gelesen habe, stellten für mich jedoch selbst umfangreiche 1.000-Seiten-Wälzer plus zugehörige Sekundärliteratur bald kein Problem mehr dar. Dennoch muss ich dazu sagen, dass ein solches Studium in der Tat sehr theoretisch und definitiv darauf ausgerichtet ist, später in der Forschung zu arbeiten.

Auf Dauer kann ich mir eine solch theoretische Tätigkeit nicht vorstellen, auch weil man beim Schreiben sehr stark auf den wissenschaftlichen Sprachstil festgelegt ist. Ganz anders beim Bloggen: Hier kann ich mich kreativ austoben, mich nach Lust und Laune mit den Werken und Autoren beschäftigen, die mich faszinieren und dabei meine Leser hoffentlich mit meiner Begeisterung anstecken.

Welche Bücher und/oder Autor/innen haben dich besonders geprägt?

Wie mein Blogname »Sommerdiebe« schon verrät, zählt vor allem der amerikanische Autor Truman Capote zu meinen absoluten Favoriten. Capote verfügte über ein wahnsinniges Gespür für Menschen und Situationen und hat sich mit seiner poetischen, bildgewaltigen Sprache definitiv einen Platz in meinem Herzen gesichert. Darüber hinaus habe ich aber auch eine große Leidenschaft für den Iren Oscar Wilde, der mit seinen geistreichen Bonmots und natürlich auch durch seinen Roman »The Picture of Dorian Gray« einfach zu meinen All-Time-Favorites zählt. Über ihn und die Dandy-Figur in der europäischen Literatur des 19. Jahrhunderts habe ich schließlich sogar meine Bachelor-Arbeit geschrieben.

Ansonsten lese ich sehr gerne Klassiker von russischen Autoren wie Tschechow, Tolstoi, Dostojewski, Nabokov & Co., die trotz ihres Alters meiner Meinung nach sehr viel Allgemeingültiges enthalten. Werke wie »Anna Karenina« oder »Schuld und Sühne« sind einfach zeitlos und stecken voller kluger Gedanken, die sich auch heute noch zu lesen lohnen. Ich liebe es mich in solchen dicken Wälzern zu versenken und mich in die »russische Seele« einzufühlen.

Deborah Bischofberger Sommerdiebe

Neben Büchern stellst du auf deinem Blog auch Ausstellungen und Filme vor. Nach welchen Kriterien wählst du jeweils aus?

Richtige Kriterien habe ich dafür eigentlich nicht: Meistens laufe ich einfach mit offenen Augen durch Berlin, werde durch Plakate auf neue Filme oder Ausstellungen aufmerksam oder ich schaue einfach, was es gerade in beliebten Museen wie dem C/O Berlin, der Berlinischen Galerie oder dem Martin-Gropius-Bau zu sehen gibt.

Ich begeistere mich vor allem für Fotografie-Ausstellungen, bin aber auch offen für die moderne Kunst. Was meine Kinobesuche angeht, gehe ich eigentlich am liebsten in kleinere Programmkinos, einfach weil mich die dort laufenden Arthouse-Filme oft am meisten ansprechen. Ich informiere mich regelmäßig im Internet und durch Zeitungsartikel oder lasse mich ansonsten einfach von meiner kinobegeisterten Familie mitreißen.

Was bedeutet«Kultur« für dich?

Der Begriff  »Kultur« ist für mich ein sehr dehnbarer Begriff. Ob Literatur, Filme, Kunst, Fotografie, Musik, Mode, Design, Esskultur oder das Entdecken fremder Kulturen mitsamt ihren vielfältigen Sprachen und Mentalitäten: Kultur ist überall und – auch wenn viele darin einen elitären Begriff sehen – generell jedem zugänglich und im Alltag allgegenwärtig. In meinem Blog versuche ich die meisten dieser Aspekte unter den Hut zu bringen, auch wenn ich mir natürlich bewusst bin, dass man den Begriff Kultur noch viel breiter fassen könnte.

Kultur nimmt in meinem Leben ohne Frage einen sehr großen Stellenwert ein. Ein Alltag ohne kulturelle Aktivitäten – für mich unvorstellbar. Ich kann mich in letzter Zeit kaum an eine Woche erinnern, in der ich nicht ein gutes Buch in die Hand genommen, ein paar Lieder auf der Gitarre gespielt, ein tolles neues Gericht ausprobiert oder mir im Kino einen eindrucksvollen Film angesehen hätte. Meine große Liebe zu all diesen kleinen und großen Dingen verarbeite ich dann in meinem Kulturblog Sommerdiebe – und es freut mich immer sehr zu sehen, wenn ich meine Leser auf die eine oder andere Weise inspirieren und zum Nachdenken anregen kann.

Deborah Bischofberger Sommerdiebe

Was war dieses Jahr dein absolutes Kulturhighlight?

Nachhaltig beeindruckt hat mich ohne Frage das Street-Art-Projekt THE HAUS, bei dem im Frühjahr Künstler aus ganz Europa ein vom Abriss bedrohtes Bürohaus mit ihrer Kunst gestaltet. Die Schlange war lang, das Medieninteresse riesengroß – meiner Meinung nach aber völlig zu Recht. Für die Zukunft würde ich mir mehr derartige innovative und dynamische Kunst- und Kulturprojekte wünschen – nicht nur in Berlin, sondern überall in Deutschland!

Was sind deine Kulturtipps für Berlinbesucher/innen und Berliner/innen?

Der beste Tipp ist immer noch: Das touristische Zentrum oder den Heimatkiez verlassen, einfach mal auf eigene Faust losziehen und sich von der schier unendlichen kulturellen Vielfalt Berlins mitreißen lassen.

Mir ist es erst letzte Woche passiert, dass ich abends in Neukölln war und dort umsonst und draußen ein Konzert verschiedener kleiner Bands stattfand. Es war einer der letzten warmen Sommerabende, die Leute tanzten Swing – mitten auf der belebten Karl-Marx-Straße! Für solche spontane Momente und Überraschungen liebe ich Berlin. In kaum einer anderen Stadt ist die kreative Szene so lebendig und abwechslungsreich wie hier.

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