Ein Blick hinter Nocali

7. September 2015
Ich war mir sicher. Absolut. Es konnte gar nicht anders sein. Aber dann habe ich alle Blicke bis auf den ersten am 17. August 2011 (so lang mach‘ ich das schon. Hui!) durchgesehen. Nichts. Kein Gespräch. Kein (Ein-)Blick in ihre vier Wände. Dabei haben wir schon so viel gemeinsam gemacht. Wir waren auf der re:publica, haben so manchen Abend und ein ganzes Wochenende zusammen verbracht, haben mit und bei Familie Sitzfeldt geschlemmt und gequatscht. Und sie hat mich portraitiert. Es ist also nicht nur an, sondern über die Zeit, dass ich zum Gespräch einlade: die Frau hinter nocali.de (vormals schischi und heititei), Nicola Holtkamp.
Passend zu ihrem Blogrelaunch dreht sich das heutige Montagsinterview um Blogs und Blogosphären, um technische Möglichkeiten und netzkulturelle Veränderungen, um Social-Media-Mentalitäten, die Macht der Bilder, fiese Algorithmen und den Umgang mit Wut, Aggression und Neid. 
Hab vielen lieben Dank, Nicola, für das spannende Gespräch, mit dem ich einen angeregten Start in die neue Woche wünsche.  
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Warum hast du das Blog schischi und heititei aufgegeben und mit Nocali einen Neustart gemacht?
Das gesamte Blog habe ich gar nicht aufgegeben, nur der Name „Schischi und Heititei“ musste gehen. Alle alten Inhalte sind unter nocali.de weiterhin vorhanden. Die Struktur des Blogs hat sich etwas verändert und es gibt ein neues Design. Manchmal haben Namen und Looks ihren Dienst erfüllt und passen einfach nicht mehr in die aktuelle Situation und dann braucht’s ein neues Kleid und einen zeitgemäßeren technischen Aufbau … doch tief im Kern bleibt das Vertraute. Also kein Neustart, sondern ein klassischer Relaunch. Veränderungen ist konstanter Teil unseres Alltags. Ohne geht es nicht und so darf sich ab und an auch der Ort verändern, an dem ich meinen Alltag – teilweise – dokumentiere. Mein Blog ist mein digitales Experimentierfeld und man könnte sagen, der Wandel des „Labors“ gehört mit zum Experiment.
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Du bist eine der ersten deutschen Bloggerinnen. Welche großen Veränderungen haben seither in der (Lifestyle-)Blogosphäre stattgefunden?
Eine der Ersten? Naja… okay, vielleicht im Bereich Lifestyle*. In anderen Bereichen ist die deutsche Blogszene durchaus um einiges länger aktiv. Mein allererstes Blog startete ich 2007. Mein zweites beendete ich bereits vier Jahre später (nicoletter). Dann verlor ich die „Blogs der Schönigkeiten“ eine Weile aus den Augen. Als ich mich ihnen wieder zuwendete, war ich baff: Die Lifestyle-Blogosphäre war explosionsartig gewachsen – und sie wächst immer noch. 
*Unter den Begriff Lifestyle fasse ich – obgleich er mir widerstrebt – die Themengebiete Interior, Design, Fashion & Beauty, Hochzeit-, Reise-, Mama- und Craftingblogs.
Im Laufe der vergangenen Jahre haben sich die Nutzung der digitalen Medien und die technischen Möglichkeiten enorm verändert. Als ich anfing zu bloggen, nutzte ich parallel ausschließlich Flickr und ich hatte einen DaWanda- und einen Etsy-Shop. Recht bald nahm ich Twitter hinzu, 2010 dann Instagram usw. Heute wirkt es fast ein wenig anachronistisch, wenn ein/e Blogger/in ausschließlich bloggt. 
Die Vielfalt der Social-Media-Plattformen ist größer geworden und damit auch die Publikations- und Multiplikationsmöglichkeiten: Bin ich Bloggerin und nutze Instagram oder Twitter vor allem, um dort auf mein Blog aufmerksam zu machen? Oder bin ich Instagramer ohne Blog mit Facebook-Seite und Pinterest-Account? Nutze ich Twitter, um dort auf Inhalte aufmerksam zu machen, die ich interessant finde oder ist es lediglich ein multiplizierender Kanal, der auf meine Instagram-Pics oder YouTube-Videos verlinkt?
Angesichts dieser Bandbreite frage ich mich, ob der Begriff „Blogger“ überhaupt noch zeitgemäß ist. Sind wir vielleicht eher „Social-Media-Publisher“ oder „Content Creator“? Content – was ist das überhaupt? Und wer bestimmt, was dem Label „Content Creation“ gerecht wird?
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Und wie hast du dich als Bloggerin verändert?
Ich selbst sehe mich heute eher als teilnehmende Beobachterin und weniger
als agile Bloggerin. Ich habe seit dem Start von schischi und
heititei / nocali nie viel dafür getan, mein Blog bekannt zu machen,
sondern das Medium eher als ein Lernobjekt und Experimentierfeld
angesehen. Mir geht es vor allem darum, über die verschiedenen Social Media-Tools – auch über das Blog hinaus – auszuprobieren, um
zu verstehen, wie sie funktionieren und wie sie wirkungsvoll eingesetzt
werden können. Aktuell finde ich es z.B. die Entwicklungen
auf Snapchat* interessant. Dort erstellen bekannte Publisher/innen,
die bisher nur auf anderen Kanälen aktiv waren, Accounts im
Reality-TV-Style. Da die Inhalte nur 24 Stunden abrufbar
sind, ist die Nutzung eine zeitlich begrenzt. Also recht konträr zu
anderen Social Media Tools.
*Über den Instant-Messaging-Dienst können Fotos und Videos versendet werden, die nur begrenzte Zeit verfügbar sind und sich dann selbst zerstören.
2014 haben wir auf der re:publica über Authentizität und Intimität, Natürlichkeit und schönen Schein, Verantwortung und Spaß an der Sache diskutiert. Sind diese Themen noch relevant?
Ich bin ehrlich gesagt erstaunt, welch hohen Stellenwert viele dieser Themen immer noch haben. Perfektionsdruck, Oberflächlichkeit, Narzissmus, Glaubwürdigkeit, Sponsoring – immer wieder werden diese Themen in einschlägigen Medien heiß diskutiert. Vor allem Instagram steht gerade in der Kritik. Spontan neige ich dann zu Reaktionen wie: „Echt? Immer noch? Da sind wir doch allmählich durch – oder?“ Sind wir nicht. Die Lifestyle-Publisher-Szene ist extrem visuell geprägt und die Macht der Bilder ist groß. Kaum eine/r kann sich dem entziehen und im Umgang damit sind wir noch wenig geschult. 
So hält nicht jede/r den perfekten oder schönen Schein aus, mit der Folge dass Neid und Aggressionen aufkommen. Umgekehrt tun sich viele Publisher mit Kritik schwer. Reaktionen wie „sind ja alle nur neidisch“ oder „müssen ja nicht folgen“ mögen für den Moment entlasten, sind auf lange Sicht aber keine Lösung. Die Frage ist doch, warum fühlt sich jemand, der offensichtlich über Bildung und einen klaren Verstand verfügt, von „alles schön“- oder „heile Welt“-Bilderserien angegriffen? Welcher Mechanismus hindert die Person daran, sich diesem visuellen Einfluss einfach zu entziehen, obwohl das oft nur einen „endfollow“-Button entfernt ist?
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Sicher: Die Technik forciert dieses „ungesunde“ Verhalten. Die dahinter liegenden Algorithmen schlagen uns die Bilder vor, die wir gerade betrachtet, kommentiert oder geliked haben. Nehme ich das visuelle Angebot an, werde ich immer wieder zu ähnlichen Inhalten geführt. Inhalte, die nicht nur meine Vorlieben, sondern eventuell auch meine „wunden Punkte“ treffen.

Neben all den kritischen Themen (Bildermacht, Oberflächlichkeit, Anfeindungen etc.) darf nicht aber übersehen werden, dass sich Social-Media-Publisher auch im Kollektiv füreinander und für andere stark machen, Gesellschaftskritisches thematisieren und sich sozial engagieren. Das ist großartig! Allerdings erscheint es mir auch hier wichtig, sich selbst zu hinterfragen: Bin ich das noch oder renne ich einer Mode oder Gruppe hinterher? Sich nicht instrumentalisieren lassen und mit Überzeugung hinter dem stehen, was man nach Außen trägt – darauf kommt es wie überall im Leben auch im Netz an.

Du bist eine feinsinnige und genaue Beobachterin: Hast du eine Idee, wie es weitergeht mit dem Bloggen, wie unsere Blogwelt in fünf bis acht Jahren aussehen könnte?
Fünf, acht Jahre, das ist in der digitalen und der damit verbundenen gesellschaftlichen Entwicklung eine lange Zeit, in der gravierende Veränderungen stattfinden können. Da möchte ich mich mit Prognosen gar nicht weit aus dem Fenster lehnen.
Mit Blick auf meine eigene Blogosphäre kann ich mir vorstellen, dass sich die Spaltung noch vertieft: auf der einen Seite komplett kommerzialisierte Blogs, die als Business angelegt sind und auch so funktionierenund auf der anderen Seite die kleineren Special-Interest- oder Corporate-Blogs. Ein bisschen so, wie man das in der Vergangenheit im Printmagazin-Bereich beobachten konnte oder auch bei Werbekooperationen: Viele Indie-Magazine arbeiten ohne Werbung.
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Welche Blogs besuchst du noch regelmäßig und warum?
Ich bin eine sehr undisziplinierte Blogleserin, wenn es um Regelmäßigkeit geht. In meinen Reader schaue ich eher sporadisch. Ist zuviel aufgelaufen, leere ich nicht selten das Depot und klicke auf „alles gelesen“. Am kontinuierlichsten schaue ich wahrscheinlich auf den Blogs vorbei, deren Publizierende zu meinem engerem Netzwerk gehören.
Ansonsten nehme ich gerne die Link-Empfehlungen anderer wahr, zum Beispiel über Facebook, Twitter oder aus Blogbeiträgen. Dann genieße ich es, mich für gewisse Zeit in den „unendlichen Weiten“ des Internets zu verlieren und auf mir bisher Unbekanntes zu stossen. So zum Beispiel das Odenwälder Landlebenblog von Friederike oder das Architektur und Design Blog yesterdayyousaidtomorrow (kurz YYST) und ihre beiden Instagram-Accounts @juandmeandju und @ofeneck.
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Alle Bilder (c) Nicola Holtkamp

4 Comments

  • 9 Jahren ago

    Ach, Nicoletter war einer der ersten Blogs, die ich regelmäßig gelesen habe, als ich die Blogszene für mich entdeckt hatte ( und noch kein eigenes Blog hatte ). Dann habe ich Nicola aus den Augen verloren und stoße hier auf einmal wieder auf sie, eher zufällig, weil ich Zeit habe, bei MiMA Verpasstes nachzuverfolgen. Und dann noch eine Empfehlung für einen Blog zu erhalten, den ich sehr schätze ( und zu dem ich eine besondere Beziehung habe ), den von Friederike.
    Das Netz ist schon ein Wunderding und hat so seine ganz besonderen, eigene Wege. Und oft gibt es ganz beglückende Begegnungen, wie gestern, als ich "a daily perfect moment" als Person in realitas traf.
    Wir waren uns übrigens einig, dass uns das Bloggen glücklich macht.
    LG
    Astrid

  • 9 Jahren ago

    Sehr schönes Interview! Danke Indre! Danke Nicola! Und auch schön, dass ich hier kleine Teile von mir wiederfinde ^__^

  • Ihr beiden… was für ein spannender Beitrag! Vielen Dank für dieses lesenswerte Interview.

  • 9 Jahren ago

    Das ist das Tolle im Netz: Ich lande hier auf völlig unbekanntem Terrain und sehe plötzlich: da gibt es schon Verbindungen, ja sowas. Und ich hab jetzt zwei neue Blogs im Feedreader. Danke dafür!

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