Ein Blick hinter: Bimbambuki {Part 2}

18. Januar 2016

Ich bin eine treue, aber unstete Blogleserin. Manchmal liegen Wochen zwischen meinen Besuchen. So geht die ein oder andere Entwicklung spurlos an mir vorbei und ich staune nicht schlecht beim nächsten Besuch ob all der Veränderungen. So ging es mir auch mit Bimbambuki.

Wie überrascht war ich, als ich nach längerer Abwesenheit auf Beschreibungen ihres Lebens in St. Petersburg stieß. Beim letzten Besuch wohnte sie noch in meiner unmittelbaren Nachbarschaft. Wieso war sie plötzlich dort? Wird sie für immer bleiben? Wie sieht ihr Leben in der „Fremde“ aus? Diese und noch viel mehr Fragen schossen mir durch den Kopf. Da ich sie mir nicht selbst beantworten konnte und sich andere Bimbambuki-Leser/innen vielleicht dieselben Fragen stellten, habe ich Mond gefragt, ob sie von ihrem neuen Leben, und wie es dazu kam, erzählen mag.

Ich danke dir, liebe Mond, für das spannende Gespräch und die wunderschönen Bilder und wünsche allen mit diesem zweiten Blick hinter Bimbambuki {hier geht’s zum Ersten} einen verwunschen-schönen Start in die neue Woche.

Seit wann lebst du in Petersburg und was waren/sind die Gründe für euren Umzug?
Wir sind Anfang August letzten Jahres von Berlin nach St. Petersburg gezogen. Mein Mann arbeitet für ein deutsches Ministerium und wurde hierhin versetzt. Wo wir landen würden, haben wir erst ein knappes Dreivierteljahr vor dem Versetzungstermin erfahren. Es gab also nicht unbedingt viel Zeit, um sich auf das Leben hier vorzubereiten. Für unsere Familie war es der erste Umzug ins Ausland und deswegen sehr aufregend.
Ist es ein Umzug auf Zeit oder werdet ihr – soweit man das voraussagen kann – für immer in Russland bleiben?
Wenn alles wie geplant läuft, werden wir hier vier Jahre bleiben. Auch wenn das eine begrenzte Zeit ist, mussten wir unter unser Leben in Berlin einen Schlussstrich ziehen: Wir kündigten unsere geliebte Wohnung in Friedrichshain, die das erste und bis dahin einzige Zuhause unserer Kinder war, ich verabschiedete mich von dem Büro, in dem ich 14 Jahre als Architektin gearbeitet habe, und wir packten alles ein, was wir haben, und brachten es hierher.
Wie fühlt es sich an, eine „Migrantin“ zu sein? Werdet ihr von den „Einheimischen“ willkommen geheißen oder erlebt ihr auch Ablehnung?
Ein paar Monate vor unserem Umzug habe ich – bei Null – angefangen, russisch zu lernen. Mittlerweile kann ich die kyrillische Schrift ganz gut lesen und verstehe auch einiges, aber das Sprechen fällt mir noch schwer. Die einfachsten Alltagstätigkeiten werden zur Herausforderung. In einem Geschäft um etwas zu bitten funktioniert (oft mit dem Online-Übersetzer in der Hand) – aber bei einer Rückfrage muss ich manchmal noch hilflos mit den Schultern zucken. „Извините, я непонимаю“, „Entschuldigen Sie, ich verstehe nicht“ ist der von mir am häufigsten gebrauchte Satz. Mit Englisch kommt man hier nicht sehr weit. Wenn man sich aber bemüht, russisch zu sprechen, sind die allermeisten Petersburger hilfsbereit und zuvorkommend. Oft wird man gefragt, woher man kommt und wie einem die Stadt gefällt. Ich hoffe, dass ich bald richtige Gespräche führen kann.
Ablehnung haben wir zum Glück noch nicht erfahren. Ein einziges Mal hat eine Verkäuferin in einem Supermarkt meine sprachliche Hilflosigkeit ausgenutzt, um mich auflaufen zu lassen – sie bestand darauf, meinen Pass zu sehen, als ich (neben Brot, Tomaten und Oliven) zwei Flaschen alkoholfreies Bier kaufen wollte. Weil ich keinen Ausweis dabei hatte und natürlich nicht in der Lage war, sie von der Unsinnigkeit ihrer Forderung zu überzeugen, musste ich unverrichteter Dinge wieder abziehen.
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Wie gehen deine Kinder mit der Veränderung um?
Glücklicherweise wog das Abenteuer des Neuen mehr als der Abschiedsschmerz. Meine Kinder haben schnell neue Freunde gefunden und gehen gerne in die Schule und den Kindergarten. Manchmal beschweren sie sich, dass sie kein Russisch verstehen, aber in Wirklichkeit verstehen sie schon eine Menge. Es ist schön zu sehen, wie schnell sie St. Petersburg zu ihrem gemacht haben, wie sie Orte der Stadt, an denen wir gemeinsam waren, wiedererkennen und wie sie sich in unserem neuen Viertel zurecht finden. Es stimmt, dass Kinder sehr anpassungsfähig sind.
Wie erlebst du den Alltag und das politisch-gesellschaftliche Leben in St. Petersburg?
Vom Leben der Petersburger und ihren politischen Ansichten bekommt man als Ausländerin in einer Situation wie der meinen nicht viel mit. Ein nicht unerheblicher Teil der Russen hat wohl mehrere Jobs, da man mit einem nicht genug verdient. Vom fallenden Ölpreis und den daraus resultierenden wirtschaftlichen Problemen Russlands lese ich in Nachrichtenmagazinen, aber sie zeigen sich noch nicht in unserem Alltag. Im Zentrum von St. Petersburg – wie in jeder Großstadt – sieht man weniger die Probleme der meisten Menschen, dort überwiegen die Äußerlichkeiten. Die Fassaden der prächtigen Gebäude, Museen und Theater, schöne Parks, Cafés und Restaurants, die vielen Läden. Das Leben, das dort möglich ist, repräsentiert sicher nicht den wahren Zustand des Landes.
Die Sanktionen gegen die EU merkt man, aber es herrscht kein Mangel. Das Obst- und Gemüseangebot ist manchmal nicht groß, und statt russischem Maasdammerimitat würde ich gerne mal wieder echten Schweizer Käse oder Camembert essen, aber natürlich geht es auch ohne. Die Lebenshaltungskosten (von den hohen Mieten abgesehen), sind für Ausländer durch den schwachen Rubel gerade sehr günstig. Was zeichnet dein neues Leben aus und wie soll es nach deinen Vorstellungen und Wünschen werden?

Mein neues Leben – ohne Arbeit – bedeutet vor allem eins: viel freie Zeit. Auch wenn das erstmal ein großartiger Zustand ist, den ich sehr genieße, weiß ich nicht, wie lange ich damit zufrieden sein werde. Ich habe immer gerne als Architektin gearbeitet und hoffe, auch hier eines Tages Arbeit zu finden. Wenn das nicht klappt, möchte ich mich auf irgendeine andere Art nützlich machen. Bis dahin lerne ich Russisch, erkunde die Stadt, gehe ins Museum, nähe, blogge und überlege, wie weiter gehen soll. Vielleicht ist die Zeit hier auch eine Chance, sich selbst neu zu erfinden…
Von vielen Bekannten und Freunden, die im Ausland gelebt haben, weiß ich, dass sie oftmals wenig mit den „Einheimischen“ zu tun hatten, sondern in einer beruflich oder kulturell ähnlich geprägten Community lebten. Ist das in eurem Falle ähnlich?
Uns geht es auch so. Mein Mann hat durch seine Arbeit vorwiegend mit Deutschen zu tun. Ich habe hier über eine internationale Community Frauen aus der ganzen Welt kennengelernt. Meine Yogagruppe beispielsweise besteht aus einer Schwedin, einer Koreanerin, zwei Deutschen, einer Bulgarin, einer Türkin, einer Tschechin und einer Japanerin. Obwohl unsere Herkunftsländer so unterschiedlich sind, haben wir etwas gemeinsam: Wir alle sind Expats, also Menschen, die außerhalb ihrer Heimat in einem anderen Land und einer anderen Kultur leben. Wir verbringen Zeit miteinander und unterstützen uns gegenseitig. Gerne würde ich auch echte Petersburger als Freunde haben, aber mir fehlen noch die Möglichkeiten. Helfen könnten vielleicht das Bloggen und das Nähen. 

In welchem Stadtbezirk (Rajon) lebt ihr und wie wohnt ihr?
Wir wohnen im im zentralen Distrikt (dem Zentralny Rajon) zwischen der Newa und dem berühmten Boulevard Newski Prospekt, in der Nähe eines der größten Parks der Stadt, dem Taurischen Garten. Das ist ein Landschaftspark aus dem 18. Jahrhundert mit alten Bäumen und Wiesen, Spielplätzen und einem See, auf dem man im Winter, wenn er zugefroren ist, wunderbar schlittern kann. Da die Stadt sehr steinern ist, verbringen wir am Wochenende gerne Zeit dort.
Von unserer Wohnung aus sehen wir über die Dächer der Stadt und den weiten, immer wechselnden Himmel. Von draußen hört man ab und zu die Möwen. Wir haben eine Dachterrasse, die, wenn der Frühling kommt, noch begrünt und möbliert werden muss. Ich freue mich auf die weißen Nächte, wenn wir bis spät draußen sein können.
Gern würde ich einmal nach St. Petersburg reisen. Welche Unterkunft, welche Orte und Sehenswürdigkeiten würdest du mir ans Herz legen?
Du würdest wahrscheinlich nicht im Winter, sondern im Frühling oder Sommer kommen. Dann könntest du den kilometerlangen Newski Prospekt entlang laufen, vom Moskauer Bahnhof immer auf die goldene Spitze der Admiralität zu. Dabei kommst Du an prächtigen Jugendstilbauten vorbei, wie dem Haus des Buches oder dem Jelissejew-Feinkostgeschäft, an der mächtigen Kasaner Kathedrale oder am zweitgrößten Warenhaus Russlands, Gostiny Dwor.
Einer der beeindruckendsten Plätze der Stadt ist der riesige Schlossplatz mit dem Winterpalast, der ehemaligen Hauptresidenz der russischen Zaren. Um den Platz herum liegen die Gebäude der Eremitage, eines der bedeutendsten Kunstmuseen der Welt. Du könntest auch das russische Museum besuchen oder das Nabokov-Museum, Geburtshaus des Schriftstellers, Übersetzers und Schmetterlingsforschers Vladimir Nabokov. Kinder lieben das Grand Maket Russia, ein Miniaturmodell Russlands. Eine wirkliche Attraktion ist auch eine Fahrt mit der Metro. St. Petersburg hat eins der architektonisch schönsten und tiefgelegensten U-Bahn-Systeme der Welt. Man fährt mehrere Minuten mit einer scheinbar endlosen Rolltreppe, bis man den Bahnsteig erreicht hat.
Wunderschön sind die Flüsse und Kanäle und die vielen, teilweise geschwungenen Brücken, wegen derer St. Petersburg auch „Vendig des Nordens“ genannt wird. Am Gribojedow-Kanal liegt die sogenannte Bluts- oder Auferstehungskirche, die für ihre leuchtend bunten und goldschimmernden Kuppeln berühmt ist. Du könntest zwischen den Skulpturen und Wasserspielen im Sommergarten spazieren und nachts zusehen, wie die Brücken über der Newa hochgezogen werden.
In St. Petersburg gibt eine Vielzahl sehr netter Cafés, Bistros und Restaurants, in denen man wunderbar essen oder guten Kaffee trinken kann. In unserem Stadtviertel kann ich Dir das Restaurant Schengen, den belgischen Pub Trappist oder das vegetarische Restaurant Botanika empfehlen. In vielen Bistros wird ein sogenanntes Business Lunch angeboten, bei dem man schon ab 220 Rubel (momentan ca. 2,65 €) ein schnelles dreigängiges Essen inklusive Tee bekommen kann. Und zum Schluss: Gibt es etwas, dass wir, deine Netzcommunity, für dich oder mit dir tun könnten, um dir dein neues Leben in St. Petersburg (noch) leichter zu machen?

Es ist großartig, dass der Kontakt zu meiner Netzcommunity weiter besteht und die räumliche Distanz beim Bloggen überhaupt keine Rolle spielt. Ich freue mich sehr, wenn ich E-Mails und Kommentare von Euch bekomme. Ganz besonders liebe ich es, echte Post im Briefkasten zu finden – aber leider ist die russische почта nicht sehr zuverlässig…

14 Comments

  • 8 Jahren ago

    Vielen Dank für das schöne Interview! Ich mag den Blog von Mond sehr und habe mich sehr über den Blick hinter bimbambuki gefreut 🙂

    LG
    Karo

  • 8 Jahren ago

    Ein tolles Interview:)) obwohl ich doch öfter mal bei Mond vorbei stolpere hab ich es irgendwie noch gar nicht so richtig registriert das sie jetzt in St.Petersburg lebt….das finde ich wirklich extrem spannend ! Irgendwie träumt ja jeder ab und an wie wäre es mal irgendwo wieder neu anzufangen, ein neuer Wohnort der ein anderes Land…..toll wenn man diese Möglichkeit hat….Russland ist da wohl wirklich eine riesengroße Herausforderung…allein die Schrift und Sprache….Wow !
    ♥︎Kerstin

  • 8 Jahren ago

    Herzlichen Dank für den Einblick…habe es mit großem Interesse gelesen! LG Lotta.

  • Carolin
    8 Jahren ago

    Oh…mir ging es ganz genauso, schon lange den Blog gelesen und gar nichts mitbekommen – vielen Dank für dieses spannende und ausführliche Interview! Freunde von uns sind Anfang August von Berlin nach Rumänien gezogen und durch den nach wie vor engen Kontakt zu ihnen, bekomme ich ihr Leben dort relativ ausführlich mit – sehr spannend – zumal Rumänien ein mir bisher eher unbekanntes Land war, von dem ich auch so meine eigene Vorstellung hatte. Liebe Grüße, Carolin

  • 8 Jahren ago

    Kann mich Ulma nur anschließen.

  • 8 Jahren ago

    same same. als ich es kapiert hatte war es wohl schon getan.
    danke an euch beide.
    ein spiel mit der vorstellung ist angeregt. freiheit und chance von mir oft empfunden in einer art isolation.
    ich grüße euch beide*

  • 8 Jahren ago

    schön ist das, mehr von claras leben dort zu erfahren. danke euch dafür.

  • 8 Jahren ago

    Oh ganz genauso. Ich hatte mal gelesen dass Du Russisch lernst, aber für solche Veränderungen ist das ja was ganz anderes als "zum Spaß".
    Danke euch beiden für das Interview!

  • 8 Jahren ago

    Danke für dieses Interview. Russland ist für mich irgendwie so weit weg und so überhaupt nicht beachtet. Aber die Bilder sind wunderbar und der Mut dorthin zu gehen ist bewundernswert. Es sieht so groß und so ruhig aus – und kalt, sehr kalt. LG, Annette

  • 8 Jahren ago

    Das tat rundum gut zu lesen! Und erinnert mich wieder an die Faszination, die ich vor bald 40 Jahren empfand, als ich es noch als "Leningrad" besuchte… Und das mit dem Briefkastenfüllen für Mond müsste doch zu schaffen sein ;-). Los, Kätzchen, lauft. Herzliche Grüße Ghislana

  • 8 Jahren ago

    wunderbar zu lesen. vor allem wenn man gerade selbst auf der schwelle eines abenteuers steht. also darüber nachdenkt. und, russland klingt immer ein bisschen gruselig. hier nicht. danke.

  • 8 Jahren ago

    Danke für das Interview! Ich habe es mitbekommen, wusste aber nichts genaues. Sehr spannend und die Bilder von St. Petersburg sind toll. Ich freue mich auf mehr! Liebe Grüße an Euch beide, Wiebke

  • 8 Jahren ago

    sehr schönes interview!
    danke, liebe mond, dass du so ausführlich geschrieben hast!
    herzliche grüße
    die frau s.

  • 8 Jahren ago

    Mensch, da ist es mir jetzt aber so gegangen wie dir. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich den Umzug gar nicht mitbekommen habe. Aber ich danke dir für dir Mühen! Das ist total interessant, zumal ich selber schon ein paar Mal beruflich in Russland war – aber leider nicht in St. Petersburg und auch immer nur ein paar Tage.
    LG, Rike

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