Ein Blick hinter arsprototo

31. März 2014
ars pro toto, wien, sonja eggers, Mein Traum ist, noch in eine Reihe alter Handwerkstechniken reinzuschnuppern, bevor sie endgültig verloren gehen, z.B. Stuckieren, Blaufärberei, Prozellanmalerei oder Posamentenherstellung.

Sie war auf der falschen Spur und hat das Lenkrad im rechten Moment rumgerissen: raus aus dem faden Bürojob, rein in die pralle Profession. Ein Besuch auf ihrem Blog macht auf den ersten Blick klar: Sonja Egger hat´s richtig gemacht. Alles andere wäre gemein. Denn dann wären all ihre wundervollen Ideen niemals Wirklichkeit geworden, ihr vielseitigen Können nicht zum Einsatz gekommen. Das reicht von B wie Backen, Betonguss, Blaufärben über S wie Sägen, Scherenschnitt, Stuckieren bis hin zu Z wie Zeichnen. Auf ihrem Blog ars pro toto teilt sie all das – mit großem ästhetischen Feingefühl und stets einer Prise Humor. In unserem Montagsplausch geht es unter anderem um schiefe und gerade Bahnen, um handwerkliche Talente, um Kunst für alles und für alle und um Wien, wo Sonja gut und gerne lebt. 
Danke, Sonja, für das heitere Gespräch, mit dem ich euch allen einen gelungenen Start in die neue Woche wünsche.
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Du schreibst, du seist Illustratorin und Handwerkerin. Welches Handwerk hast du erlernt?
In meinen Zwanzigern habe ich autodidaktisch und in Workshops die Grundlagen der Möbelrestaurierung erlernt, später mir das Filzen in Nass- und Trockentechnik angeeignet, und gerade übe ich mich in der alten Technik des Scherenschnittes. Eigentlich wollte ich nach der Matura Restaurierung studieren, aber heute bin ich froh mich nicht so schnell festgelegt und meine kindliche Freude am Entdecken erhalten zu haben.
Mein Traum ist, noch in eine Reihe alter Handwerkstechniken reinzuschnuppern, bevor sie endgültig verloren gehen, z.B. Stuckieren, Blaufärberei, Prozellanmalerei oder Posamentenherstellung.
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ars pro toto, wien, sonja eggers, Mein Traum ist, noch in eine Reihe alter Handwerkstechniken reinzuschnuppern, bevor sie endgültig verloren gehen, z.B. Stuckieren, Blaufärberei, Prozellanmalerei oder Posamentenherstellung.
Auf welche ’schiefe Bahn‘ bist du gekommen? Und was hat sie schief gemacht?
Das ist eine Frage der Perspektive. Die pragmatische Entscheidung für einen Bürojob, einen reinen Brotberuf, hatte sich für mich als der falsche Weg, also die schiefe Bahn herausgestellt. Vielen Menschen ist finanzielle und soziale Absicherung so wichtig, dass es ihnen auf berufliche Erfüllung nicht ankommt, und daran ist auch nichts verkehrt. Mir war das aber schon nach 3 oder 4 Jahren zu wenig: Ich wollte mich verwirklichen… und mich auch nicht in Hierarchien einordnen.
Wie hast du auf die oder deine ‚richtige‘ Bahn gefunden? Und kannst du sagen, worauf es dabei ankam und für andere ankommen könnte?
Den Absprung zu wagen, hat noch ganze zwei Jahre gedauert. Ich konnte mir ein Schlupfloch eröffnen, indem ich begonnen habe mein erstes Bilderbuch zu schreiben und zu illustrieren. Gleichzeitig habe ich eine berufsbegleitende Mulitmedia-Ausbildung absolviert. Das Buch wurde recht bald veröffentlicht und mit Grafikjobs habe ich mich eine gefühlte Ewigkeit über Wasser gehalten, bis ich als selbständige Illustratorin in der Verlagsbranche Fuß gefasst hatte. Rückblickend ging das alles sehr schnell, aber die ersten beiden Jahre in einem völlig neuen Metier waren wirklich hart, und nur dank der moralischen Unterstützung von lieben Menschen konnte ich durchhalten. Die Entscheidung, meine „schiefe Bahn“ zu verlassen, habe ich aber keine Sekunde bereut!
Ob sich aus dieser sehr persönlichen Biografie etwas allgemein Gültiges ableiten lässt? Wohl kaum. Es ist sicher immens wichtig, auf seine innere Stimme zu hören, sich aber auch zu überlegen, wie viel Prekariat man aushalten kann, wenn man wie ich in einer Branche wie der Verlagswelt unterkommen will, wo „Verteilungsgerechtigkeit“ nicht unbedingt groß geschrieben wird.
Welche Kinderbücher von wem und für wen hast du illustriert?
Da muss ich selbst nachschauen, weil ich nach Abschluss eines Projekts immer sofort auf Neues fokussiert bin. Das erste Buch habe ich selbst geschrieben, danach habe ich mich ganz auf die Illustration verlegt. Es sind jetzt um die 50 Bücher; einen Teil davon findet man auf amazon (da schaue ich meistens nach, wenn ich schnell einen Überblick brauche). Es waren AutorInnen darunter wie Isabell Abedi, Frauke Nahrgang oder Friederun Reichenstetter, aber auch Klassiker von Hans-Christian Andersen oder Theodor Storm.
Was findet man bei ‚ars pro toto‘?
Der Name ist Programm. Zusammengesetzt aus dem lateinischen Wort Ars für Kunst und der rhetorischen Figur Pars pro toto bedeutet ars pro toto sehr frei übersetzt Kunst für alle und alles. Ich möchte hier meinen Interessen Raum geben, mir einen Rückzugsort schaffen und ein Feld des Experimentierens und Vorankommens. Hier muss ich mich nicht auf eine einzige Form des Gestaltens beschränken. Mein Blog erlaubt mir mich in einer Vielfältigkeit auszuleben, die mir kein anderes Forum bietet. So findet sich dort ein Sammelsurium an analoger und digitaler Illustration, Handgedrucktem und Selbstgemachtem aus unterschiedlichsten Materialien wie Wolle, Papier, Modelliermasse, Seife. Allesamt basierend auf eigenen Entwürfen… und versehen mit einem kleinen Augenzwinkern.
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ars pro toto, wien, sonja eggers, Mein Traum ist, noch in eine Reihe alter Handwerkstechniken reinzuschnuppern, bevor sie endgültig verloren gehen, z.B. Stuckieren, Blaufärberei, Prozellanmalerei oder Posamentenherstellung.
Wie und wo lebst du in Wien?
Wir wohnen in einer Vier-Zimmer-Dachterrassenwohnung am östlichen Rand von Wien, nur wenige Straßenbahn-Minuten vom Zentralfriedhof entfernt, dem heimlichen Wahrzeichen Wiens. Als wir hier vor knapp neun Jahren eingezogen sind, waren zwei Kriterien für die Wahl der Wohnung ausschlaggebend: Der freie Blick auf die umliegenden Gärten und die Ost-/Westausrichtung, die es ermöglicht, dass die Sonne im Laufe des Tages alle Zimmer durchflutet. Auch wenn das bedeutet, dass die Sommerhitze manchmal kaum zu ertragen ist.
Mein großes und doch viel zu kleines Arbeitszimmer wird mindestens einmal im Jahr umgeräumt, in der Hoffnung ein wohnliches Ambiente und die Zweckmäßigkeit eines Ateliers in ein gefälliges Gleichgewicht zu bringen. Bisher bin ich damit stets gescheitert, aber ich gebe nicht auf: Die nächste Räumaktion steht schon wieder an. 😉
Wie stehst du zu Wien (ich hege ein heimliche Liebe zu der Stadt, die sich allerdings ein wenig so gestaltet wie die der zwei Königskinder)?
Geboren im steirischen Graz und aufgewachsen im stadtnahen Umland, lebe ich seit zwanzig Jahren in Wien und Wien ist nicht grundlos eine der lebenswertesten Städte der Welt. Ich mag die gute Melange aus Urbanität mit vielfältigem (Kultur-)Angebot und groß(artig)en Naherholungsgebieten, die durch eine perfekte Infrastruktur harmonisch koexistieren können und ein Auto obsolet machen. Wo sonst kann man mit der U-Bahn direkt von der City aus in eine naturnahe Auenlandschaft fahren?
Womit ich noch immer nicht ganz klar komme, ist die Wiener Mentalität. Was als Wiener Schmäh bezeichnet wird, könnte man auch weniger wohlmeinend auslegen, und die berühmt-berüchtigte Grantelei muss man erst aushalten lernen. Trotzdem: In Wien habe ich all meine Freunde und auch wenn ich davon träume wieder auf dem Land zu leben, habe ich hier mein Zuhause gefunden. Ich erkenne immer mehr dass dieser Zwiespalt keine Entweder/Oder-Entscheidung fordert, sondern eine die die Sehnsucht nach Land und die Möglichkeiten der Stadt vereint.
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Was sind deine liebsten Orte in Wien? Und wen oder was muss ich bei meinem nächsten Wienbesuch (abgesehen von dir;)) unbedingt be- oder aufsuchen?
Du sagst es schon ganz richtig: Unbedingt und zu allererst bei mir vorbei schauen! 😉 Und von dort aus musst Du natürlich auch gleich den Zentralfriedhof besichtigen. Wenn Du die Wiener verstehen willst, ist das der richtige Ort: Nichts wirft einen treffenderen Blick auf die Wiener Seele als ihre Liebe zu „aner schenen Leich“. Ein absoluter Geheimtipp das Café Concordia am 1. Tor, skurril und mit dem typisch morbiden Wiener Charme. Man sitzt dort im Sommer gut behütet von einer riesigen Jesus-Statue unter alten Kastanienbäumen und im Winter genießt man Mehlspeisen im pittoresk-verfallenen Barock-Pavillon.
Zum Ausgleich für diese sehr spezielle Besichtigungstour empfehle ich einen Besuch im lebendigen und kultigen Museumsquartier und am angrenzenden Spittelberg. Hier ist die junge und kreative Szene zu Hause. Frühstücken lässt es sich vorzüglich im Café des Leopold-Museums, es gibt auf dem MQ-Gelände eine ausgezeichnete Kunst-Fachbuchhandlung, und am und um den Spittelberg gibt es viele Beisel (Altwiener Gasthäuser), alternative Geschäfte, kleine Galerien und Ateliers.
Im Sommer bringt die Donau Abkühlung in die schwüle Hitze der Großstadt. Am City-nahen Donaukanal kann man laue Abende am künstlichen Strand verbringen. Wer es ein bisschen natürlicher mag, fährt zur alten Donau. Dort kann man nicht nur wunderbar spazieren gehen, sondern auch ein Boot mieten und im Restaurant La Crêperie einen Picknick-Korb für ein Mondscheinpicknick abholen. Lustig oder romantisch, auf alle Fälle unvergesslich.
Was ist dein allergrößter und/oder wichtigster Wunsch?
Am Ende meines Lebens zurück zu schauen und nichts bereuen zu müssen.
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ars pro toto, wien, sonja eggers, Mein Traum ist, noch in eine Reihe alter Handwerkstechniken reinzuschnuppern, bevor sie endgültig verloren gehen, z.B. Stuckieren, Blaufärberei, Prozellanmalerei oder Posamentenherstellung.

20 Comments

  • 10 Jahren ago

    Liebe Indre Deine besondere Themenreihe, den Blick gewähren auf ganz besondere Frauen und ihre Einstellung zum Leben und zur Arbeit lese ich sehr gern. Sonja ´s Blog ist immer eine Überraschung.
    Lieben Gruß zu Dir Iris

    • 10 Jahren ago

      Danke für das Feedback. Es freut mich sehr, dass dir die Reihe gefällt.

  • 10 Jahren ago

    Hallo Sonja,
    danke für deinen Besuch auf meinem Blog und deinen lieben Kommentar! Das hat mich riesig gefreut.
    Apropos Blaufärberei!!! War letzten Sommer ganz im Süden von Ungarn unterwegs, und besuchte dort ein Blaufärber- Fest! Das war höchst interessant und hat mich total fasziniert! Werde bei Gelegenheit mal einen Post darüber machen, denn ich habe auch noch viele tolle Fotos von diesem wunderbaren Anlass. Einfach genial diese alte Technik, die wunderbaren Holzstempel, und die uralten Maschinen, die zauberhaften blauen Stoffe,,, ach ich war hin und her gerissen! Leider waren wir mit dem Motorrad unterwegs und so konnte ich nur Fotos mit in die Schweiz nehmen und musste die Stoffe mit einem tränenden Auge zurück lassen!
    Dein Blog gefällt mir sehr gut, abwechslungsreich und spannend und deshalb trage ich mich gerne als Mitglied bei dir ein.
    as lieabs Grüassli
    Yvonne

  • 10 Jahren ago

    Sonja ist ein absolutes Multitalent – ich bewundere ihr Werke sehr! So schön hier von ihr zu lesen!
    Liebe Grüße von Steffi

  • 10 Jahren ago

    sonja ist einfach süperb (um mal ein anderes superlativisches adjektiv zu bemühen)!
    je mehr von ihr zu sehen und zu wissen ist, desto besser.

  • 10 Jahren ago

    Vielen lieben Dank ihr beiden für das wunderschöne Interview! Danke, dass wir dich etwas besser kennenlernen durften, liebe Sonja, und du deine Gedanken mit uns geteilt hast. Ich kann dich sehr gut verstehen und vieles nachfühlen. Eure beiden Blogs und eure Arbeiten sind großartig! Schön, dass es euch gibt!!!
    Ganz, ganz liebe Grüße und bis morgen… Michaela

  • 10 Jahren ago

    Vielen Dank euch beiden !!! Es war mir ein Vergnügen :))
    Liebe Grüße
    Ursula

  • 10 Jahren ago

    Liebe Indre, danke dafür, dass du der liebenswürdigen Sonja hier eine Plattform geboten hast!
    GLG
    Astrid

  • 10 Jahren ago

    Liebe Indre,
    wie schön Deine einleitenden Worte sind. Hab vielen vielen Dank. Auch fürs hiersein Dürfen, die schönen Fragen, die Gelegenheit.
    Liebe Grüße!
    Sonja
    P.S. Wien ruft! :-)))

    • 10 Jahren ago

      Ich danke dir! Und – ja! – Wien… hach, das wäre was. Jetzt vor allem im Frühling…

  • 10 Jahren ago

    Danke für die schönen Rückmeldungen, die mich ganz froh machen.

  • 10 Jahren ago

    Liebe Sonja,

    ich dachte, ich weiß schon so einiges von dir, aber heute habe ich so viel Neues erfahren, was dich mir noch sympathischer macht. Irgendwann in Berlin, Wien oder Edinburgh, gell?!

    Danke, Indre, für dieses großartige Interview.

    LG
    Rebekka

  • 10 Jahren ago

    Schöne Einblicke und ein wunderbarer Blick hinter die Kulissen.

    LG
    Susanne

  • 10 Jahren ago

    Wie schön, mal richtig viel von dir zu lesen! Blaufärberei würde mich ja auch rasend interessieren!
    Mima, dein Blog ist toll!

  • 10 Jahren ago

    ein feines interview! ein blick "dahinter" ist immer wieder spannend!
    herzliche grüße
    die frau s.

  • 10 Jahren ago

    Wie schön, mehr zu erfahren über die grandiose Sonja!
    So nett!
    Liebe Grüsse an euch beide!

  • 10 Jahren ago

    Alle lieben Sonja o/
    Ein wirklich schönes 'Interview': tolle Fragen, informative Antworten und viel versteckte und offene Kreativität.
    Einen migränefreien Frühling wünscht Kerstin

  • 10 Jahren ago

    Liebe Indre,
    wie schön, dass Du uns ein wenig tiefer in Sonja's Leben und Schaffen hineinschauen lässt, vielen Dank dafür.
    Ich wünsche Dir einen guten Start in die Woche,
    Kebo

  • 10 Jahren ago

    Liebe Sonja,
    nun lese ich Deinen Blog ja schon einige Zeit, aber so ein Interview gibt noch mal so viele neue Eindrücke und -blicke! Danke Dir – und natürlich auch MiMa- dafür1
    Liebe Grüße Barbara

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