Die Masse macht´s. Annäherungen an die Frage nach dem richtigen Konsum.

4. Dezember 2012

____Prolog
Wo fängt zuviel Konsum an und wie viel Konsum ist gut? Diese Frage stellte vor einigen Wochen eine liebe Leserin und seither lässt sie mich nicht mehr los. Endlich habe ich nun meine Gedanken in eine Textform gebracht. Doch von einer eindeutigen Antwort bin ich heute fast genauso weit entfernt wie damals. Ich nähere mich ihr in konzentrischen Kreisen und manchmal wird mir dabei ganz schwindelig. Die Frage ist groß. Eigentlich zu groß und viel zu sperrig, um sie zwischen Einrichtungsideen, neugierigen Blicken, kleinen Abenteuern, Selbstgemachtem und Gedankensplittern zu beantworten… ich wage es trotzdem, nehme die Restunsicherheit in Kauf und freue mich über Reaktionen und Feedback. 


Dear Readers from all over the world, this article deals with the question: How much consumption is good? It´s a really difficult question and I struggle with an answer and often find no words. So it´s not possible for me to translate this beef-witted text. I apologize and hope for your understanding. If you are interested in reading my thoughts I will let it translate. Please let me know. 


Bildnachweis: Alle Bilder stammen von meiner Freundin, der Künstlerin Ieva Jansone. Ich kenne niemanden, der die Beziehung zwischen Mensch und Ding so feinsinnig ausloten und ins Bild setzen kann wie sie. Danke, meine Liebe, dass ich eine kleine Auswahl deiner Arbeiten hier zeigen darf.

____Annäherungen
Meine Suche nach einer Antwort auf die Frage nach dem richtigen Maß an Konsum begann dort, wo heute wohl jede Suche beginnt: im Netz. Ein paar Schlagworte in die Suchmaschine und eine Trefferquote zum Verzweifeln. Das Stichwort „guter Konsum“ brachte mehr als 1.760.000 Ergebnisse, zum „ethischen Konsum“ erhielt ich rund 512.000 Treffer  und auf den „nachhaltigen Konsum“ mehr 697.000. Ein Überangebot mit maximalem Überforderungspotenzial. Mein unmittelbares Bedürfnis nach Orientierung stillte ich bei Wikipedia. Zu den drei Stichworten fand dort eine informative, aber letztlich doch unbefriedigende Antwort.

Eine anerkannte Definition gäbe es nicht, wohl aber eine hilfreiche. Demzufolge sei nachhaltiger, ethischer oder auch ökologischer Konsum „der Ver- bzw. Gebrauch von Gütern und Dienstleistungen, der die Bedürfnisse der Konsumenten erfüllt, Umwelt und Ressourcen schont und sowohl sozialverträglich als auch ökonomisch tragfähig ist.“ (Quelle)

Das klang bestechend logisch und einfach:

+ Bedürfnisbefriedigung 
+ Umweltfreundlichkeit 
+ Ressourcenschonung
+ Sozialverträglichkeit
+ Wirtschaftlichkeit        
= guter Konsum

Doch schon beim ersten Nachdenken setzte der Zweifel ein. Denn: Was heißt das ganz konkret? Bin ich eine gute Konsumentin, wenn ich ausschließlich fair und umweltfreundlich produzierte Dinge mit kurzen Vertriebswegen zu wirtschaftlich vernünftigen Kosten kaufe? So einfach ist die Sache nicht. Schon die Frage, was umweltfreundlich oder ressourcenschonend ist, lässt sich alles andere als leicht beantworten: „Fakt ist: Wenn der Übersee-Apfel nicht mit dem Flugzeug, sondern mit dem Schiff kommt, hat er eine bessere Ökobilanz als der heimisch konservierte.“* Außerdem hatte ich auf meine eigentliche Frage – die nach dem richtigen oder falschen Konsummaß – noch keine Antwort. Oder ist egal, wie viel ich konsumiere, wenn es nur fair, öko, bio, klimaneutral und bestenfalls noch kompostierbar ist? Mein Bauchgefühl sagte nein. Nicht nur, aber auch weil dann all jene, die sich die guten, in der Regel jedoch teureren Produkte nicht leisten können, niemals gute Konsumenten sein könnten.

____Zwiegespräche
Woran entscheidet sich die Frage nach dem richtigem Konsum? Ist es am Ende vielleicht weniger das Was als vielmehr das Wie viel? Mein Bauch sagte dieses Mal zögerlich Ja. Mein Kopf drehte Pirouetten. Ich brauchte eine/n Gesprächspartner/in. Und so begab ich mich auf die Suche nach klugen Menschen, die vielleicht Antworten auf meine Frage hatten. Auf meinem Weg begegnete ich dem  Volkswirt Niko Paech, dem Kulturwissenschaftler Harald Welzer, dem Soziologen Hartmut Rosa und dem Künstler und Aktivisten David de Rothschild. Sie alle sehen im Verzichten (ohne dieses Wort direkt auszusprechen) sowohl die Lösung der großen Weltprobleme als auch den Weg zum Lebensglück.

Konsumverzicht – sagen sie – befreie von der Fixierung aufs bloße Haben-wollen und öffne den Blick fürs Wesentliche. Doch was, meine Herren, ist wesentlich?, fragte ich sogleich. Und unisono antworteten die vier: Wirklich wichtig seien „echte“ Erfahrungen (als Gegensatz zum oberflächlichen Erlebnis) und direkte Beziehungen zu den uns umgebenden Dingen, zu den Menschen und zur Natur. Und wie gelingt mir das? Die Antwort kam prompt: Zum Beispiel indem du Dinge selber machst oder mit Menschen zusammen Zeit verbringst.

Dadurch, dass man etwas selber herstellt, beginnt man nicht nur zu verstehen, welche Materialien dazu benötigt werden, sondern auch welch aufwändiger ressourcenverbrauchender Prozess zu seiner Herstellung notwendig war. Und das kann einen zurück zum Ausgangspunkt bringen, zur Natur. […] David de Rothschild: Plastik ist der neue Diamant. Interview in: ABSTRAKT Taschenlabor für Zukunftsfragen. No. 8 2012 W.I.R.E

[…] Wir haben viele Erlebnisse, aber keine Erfahrungen. Die Erlebnisse müssen sich in uns aufbauen, sie müssen sich mit unserem Leben verknüpfen. Wir sollten uns Erfahrungen schenken. Geschenke müssen an die Identität des Menschen rühren. Hartmut Rosa im ZEIT-Interview.

Das konnte ich nachvollziehen, entspricht es doch meinen eigenen Erfahrungen: Mein Verhältnis zu Maschas selbstgenähten Adventskalender ist viel emotionaler als das zu einem Gekauftem und die geselligen Runden mit Freunden erfüllen mich mit mehr Freude als ein Abend im Web. Doch dass das Konsumieren so gar keinen Erfahrungs- und Beziehungswert haben sollte, das wollte mir nicht recht einleuchten. Ist denn Konsum keine Erfahrung und das Verhältnis zu meinem 10. Paar Schuhe keine Beziehung?

Nein, oder besser nicht mehr, würde Niko Paech wohl sagen, hätte ich ihn direkt fragen können. Er hält unser heutiges Konsumverhalten für eine reine Abwehrreaktion, nicht mehr für selbstbestimmtes Handeln: „Ich konsumiere nicht mehr, um glücklich zu sein, sondern nur, um ein noch schlimmeres Unglück zu vermeiden,“ sagte er in einem Interview auf Deutschlandfunk. Dieses schlimmere Unglück sei der soziale Ausschluss. „In einer modernen Konsumgesellschaft besteht die letzte Möglichkeit, sich mit einer ganz bestimmten Identität oder Selbstdarstellung zu versehen, darin, Konsumgüter, Mobilitätspraktiken oder auch Telekommunikationspraktiken sichtbar an den Tag zu legen. […] wenn ich als Einzelner in einer Masse von Menschen schlechter ausgestattet bin […], bin [ich] ein Outsider, ich gehöre nicht dazu. […] Das heißt, dass ich aus rein defensiven Motiven mitziehe, um in einer bestimmten sozialen Gruppe bestehen zu können oder um Anschluss zu finden an soziale Gruppen […].“  

Das klang beim ersten Hinhören recht abstrakt, doch schon beim zweiten erschreckend konkret: Könnte ich zum Beispiel hier – in dieser Blogwelt – bestehen, wenn ich mich nicht mit Dingen umgeben würde, die für guten Geschmack, Weltoffenheit und Kreativität stehen wie beispielsweise Sitzmöbel von Eames, Kerzenständer von Normann Copenhagen und ein Kissenbezug von finelittleday? Vermutlich nicht, denn ich wäre unsichtbar in der Welt der schönen Dinge und des guten Geschmacks. Doch was folgt daraus für mich?

___Fazit
Eines ist mir nach meinem kurzen Ausflug in die Theorie des Konsums klar: Der völlige Konsumverzicht ist nichts für mich (zumindest noch nicht). Ich umgebe mich einfach viel zu gerne mit schönen Dingen und freue mich daran, meine Umgebung oder mich durch einen neu erworbenen Gegenstand neu zu inszenieren. Und auch wenn ich nicht zu all den Gegenständen in unserer Wohnung ein inniges Verhältnis habe, so bedeuten mir die meisten doch soviel, dass ich sie nicht mit der nächsten Mode austauschen will.

Eine Lehre aber ziehe ich für mich: Wenn wieder einmal dieser reflexartige Kaufimpuls und dieses akute Haben-Wollen in mir aufflammt, werde ich künftig innehalten und mich zwingen, mein Verhalten zu hinterfragen. Nicht die Frage nach der Notwendigkeit werde ich mir stellen – denn notwendig brauche ich so gut wie nichts –, sondern nach meiner Motivation. Warum will ich diesen oder jenen Gegenstand jetzt haben? Die Antwort wird und muss auch gar nicht jede Kaufentscheidung aufhalten, aber ich verhindere so hoffentlich, dass ich mich selbst verliere auf der Jagd nach Dingen, die meine Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe bestätigen. Denn dieses Gefühl war es, dass ich mich nachdenklich werden ließ.

*Christiane Langrock-Kögel. Abflug nach Sauberland. enorm. Wirtschaft für den Menschen. Feb/März 2012, S. 18.

9 Comments

  • 11 Jahren ago

    Liebe Indre, um drei Blog-Ecken herum bin ich auf diesen Beitrag gestoßen, der mich sehr freut. Als ganz frische Bloggerin bin ich noch auf der Suche nach Ähnlich Gesinnten… Nachhaltigkeit ist eins meiner Lebensthemen geworden (privat und auch beruflich in der Ausbildung von Erzieher/innen) Erfrischend, wie persönlich, dicht und dennoch verständlich du deine Worte zu einem unserer Riesenprobleme findest! Lieben Gruß Ghislana

  • Wow, sehr, sehr interessant, vielen Dank fürs Schreiben.
    Du hast es sehr gut ausgedrückt, bei vielem ergeht es mir genau so und ich mache mir seit einiger Zeit immer wieder Gedanken zu diesem Thema, aber irgendwie ist es wirklich so ein Kreis-dreh-Thema…
    Es braucht wohl noch einige Gedanken, bis ich einen festen Standpunkt habe.
    Herzlichst,
    Tessa

  • 11 Jahren ago

    so viele gedanken geballt kombrimiert, in allen ansätzen erkenne ich meine wertvorstellung wieder….erlebnisse mit engen freunden verbinden für´s leben, wertvoller als jeder konsum. selber machen, so bin ich groß geworden, es fühlt sich gut an ein projekt zu vollenden, man erfreut sich noch lange im nachhinein. ethisch/ökologisches konsumieren: ein einkauf bei lpg fühlt sich ennorm gut an, man kauft bedacht, wenig aber gutes, weiß man tut gutes…der umwelt, den angestllten (betriebsklima)…aber manchmal…wenn alles schief geht, wenn man richtig gefrustet ist…oder euphorisch, wenn man extrem viel gearbeitet hat…dann schlage ich gerne mal sinnlos über die strenge, so überhaupt nicht mehr bedacht, ich will´s dann einfach haben. aber dein text läßt mein handeln überdenken, ich werde den "einen tag in der woche kein geld ausgeben tag" wieder einführen (nach weihnachten :_))

  • 11 Jahren ago

    Eine gute Anregung zum Nach- und Umdenken. Gerade jetzt in der Vorweihnachtszeit, wo noch viel weniger hinterfragt wird, wie sinnvoll man konsumiert. Und im fazit geht es mir ähnlich wie Dir, der völlige Verzicht ist auch für mich nicht denkbar und mir ist es wichtig das eigene Konsumverhalten immer wieder neu zu überdenken und zu ändern. Schöne Grüße, Wiebke

  • 11 Jahren ago

    so, das ist mir jetzt vorm schlafen gehen zu interessant (wenn ich jetzt anfange, komme ich nicht ins bett und morgen nicht gut raus und dann leidet die deutsche bildung;) ich meld mich morgen ausgeruhter zurück;)
    aber, ich mag deine debatten-das vorweg;)
    herzlichst birgit

  • Liebe Indre, du schreibst so toll!! Ich habe deinen Beitrag sehr gerne gelesen (konsumiert) und mir dabei eigene Gedanken gemacht. Auch ich komme manchmal in Gelegenheit nicht tiefer vor einem Kauf nachzudenken (wirtschaftlich vertretbar, nachhaltig, ökologisch…) aber überwiegend und vor allem in der Vorweihnachtszeit oder bei größeren Anschaffungen prüfe ich dann doch! Ich begebe mich auch nicht ins vorweihnachtliche Stadtgetümmel…(das ist der pure Stress für mich).

    Seit ich vor vielen Jahren das Feng Shui Buch "Gegen das Gerümpel im Alltag" gelesen habe, frage ich mich vor dem Kauf immer, ob ich dies wirklich brauche (Grundbedürfnis) oder welcher Kaufgrund dahintersteckt. Ich habe dadurch schon viel Geld gespart. Zudem mache ich 1x im Jahr einen Trödel. Altes raus, worüber sich andere freuen, und dann gönne ich mir Neues, was nichts mit Grundbedürfnis zu tun hat, sondern mit dem Gefühl der wirklichen Freude 🙂

    Der schönste Satz oben ist: "….wir sollten uns Erfahrungen schenken…." Ja, wäre es nicht schön, wenn die Tante mit den Kindern spielt oder malt, statt nur etwas Materielles zu schenken? Statt einen Massage- oder Wellnessgutschein, einen Gutschein selber basteln und den Partner mit einer Massage verwöhnen? Wer macht das noch? Außer frisch Verlebte 😉

    Ich teile dir/euch meinen Weihnachtswunsch an meinem Mann mit: von ihm habe ich mir dieses Jahr Zeit gewünscht. Durch seine Arbeit haben wir gerade von dem Kostbarsten am wenigsten. Er wollte mir gerne ein Smartphone schenken, weil ich keins habe. So viele haben eins, ich will es nicht. Es raubt mir meine internetfreie Zeit! Da er mir unbedingt etwas schenken möchte, habe ich lange nachgedacht, was mir fehlt. Nichts. Was mir Freude macht. Malen. Also darf er mir einen Malkurs schenken. Erfahrung! Da ist sie! Ich stimme Hartmut Rosa zu!

    Ich wünsche dir und deiner Familie eine schöne (vor)weihnachtliche Zeit mit viel guter Stimmung, leckeren Plätzchen und im Sinn bleibenden Erfahrungen!
    LG Helga

  • 11 Jahren ago

    Liebe Indre,

    ich bin schwer beeindruckt und zwar nach einmaligen Lesen des Beitrags. Das werde ich sicherlich noch mehrmals tun, denn er ist so dicht, dass einmal lesen nicht ausreicht. Es ist viel Wertvolles enthalten.
    Das heißt, auf Deine Inhalte trifft das Schlagwort "Nachhaltigkeit" voll und ganz zu.

    Vielen, vielen DANK dafür und natürlich auch ein großes Kompliment an die Fotografin

    LG
    Ines

    • 11 Jahren ago

      Ines, mir geht es genauso.

      Der Kopf schwirrt. Und ich erkenne mich wieder. Den vielen Impulsen nachgeben.
      Ich werde merhfach lesen und versuchen, mehr innezuhalten.

      Danke, liebe Indre, für diese wichtigen Gedanken.
      Vielen Dank.

      Liebe herzliche Grüße
      Katja

  • 11 Jahren ago

    "echte" erfahrunge – that´s it..man kauft und will sein wie..eine "echte" erfahrung ist was anderes..und nur dieses andere bringt und vorwärts..alles andere lässt einen stehen bleiben..und diese "echte" erfahrung muss auch nicht immer positiv behaftet sein..letztes jahr sagte mir ein kluger bekannter mensch, dass ich mich frewillig in eine krise bringen muss um weiter zu kommen und er hatte recht..danke indre..gerade zur weihnachtszeit sollten wir alle einmal inne halten..und danke auch an die wunderbare fotografin..

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