Design made in GDR: Spielzeug zwischen Kunst und Industrie

13. April 2016
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Würfelspiel von Ursula Wünsch | Schildkröte von Renate Müller 
Der grüne Baum von Gerd Kaden



Spielmittel von Renate Müller

Mein Vater hat einen Schlaganfall bekommen und sich nicht mehr davon erholt„, antwortet Renate Müller auf die Frage, was die Enteignung für den Einzelnen bedeutete. Die Gestalterin aus der thüringischen Spielzeugstadt Sonneberg steht mit ihrer Unternehmensgeschichte exemplarisch für viele Handwerksbetriebe in der DDR – anders als mit ihrer Erfolgsgeschichte.

Müller ist die einzige DDR-Gestalterin, die nach der Wende zu einem gewissen Weltruhm gelangt ist. Ihre „Rupfentiere“ stehen seit 2010 im MoMa (New York) und wechseln auf Auktionen schon mal im vier- bis fünfstelligen Zahlenbereich ihre Besitzer/innen. Doch zurück zum Handwerk. Das Handwerk hatte einen schweren Stand in der DDR.

Ideologisch verbrämt, praktisch unumgänglich (man brauchte sowohl seine Expertise als auch die Produktionsstandorte) wurde es seit den späten 1950er Jahren zunehmend beschnitten. Am 12. März 1959 verabschiedete die Volkskammer der DDR zwei Gesetze*, die eine Vielzahl handwerklicher KMU zwangen, den Produktionsgemeinschaften des Handwerks (PGH) beizutreten. Der Verlust der unternehmerischen Selbstständigkeit ging zunächst mit einem wirtschaftlichen Aufschwung einher – ein Dorn im Auge der Parteifunktionäre, die einen neuen Kapitalismus heraufziehen sahen. Auf dem VIII. Parteitag Anfang 1972 verkündete der neue Generalsekretär des Zentralkomitees (ZK) der SED, Erich Honecker, schließlich das Ende des sogenannten „nicht-sozialistischen Sektors in Handel und Gewerbe“, woraufhin sämtliche Großbetriebe innert weniger Monate enteignet und verstaatlicht wurden – so auch Spielzeugmanufaktur H.J. Leven-KG von Renate Müllers Eltern.


Die Firma H.J.Leven Sonneberg wurde 1912 von ihrem Großvater gegründet. Nach seinem Tod übernahmen die Eltern 1962 die Spielzeugmanufaktur; Renate Müller stieg 1967 nach ihrem Studium an der Fachschule für Spielzeug bzw. Ingenieurschule für Maschinenbau und Spielzeugformgestaltung ins Geschäft ein. Auf Anregung ihrer Lehrerin Helene Haeussler begann sie mit der Fertigung der „Rupfentiere“.


Die nach dem groben Jutegewebe benannten Spielzeuge waren für therapeutische Zwecke (Kliniken und Kindergärten) konzipiert und gelangten daher nie in den normalen Handel. Die ersten Entwürfe waren Studentenarbeiten: das berühmte Nashorn stammt von Gudrun Metzel, die Ente von Elfriede Fritsche. Quelle Die im wörtlichen Sinne reizvollen Tiere fanden sofort Anklang; in enger Zusammenarbeit mit Ärzt/innen, Psycholog/innen und Therapeut/innen begann Renate Müller die Kollektion zu erweitern.

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Die unterschiedlichen Oberflächen der Müllerschen Rupfentiere regen zum Greifen, Fühlen, Tasten und Turnen an. Bild links | Bild rechts

Nach der Verstaatlichung des elterlichen Betriebs arbeitete Renate Müller zunächst weiter. Doch als 1976 sämtliche kleinen Spielzeugbetriebe zum Kombinat Sonni zusammengefasst wurden und sie ihre Arbeit nicht fortsetzen konnte, beantragte sie die Mitgliedschaft im Verband Bildender Künstler der DDR. Auch damit stand Müller nicht allein. Viele DDR-Designer/innen wählten diesen Weg, da freiberufliche Künstler/innen mehr Freiheiten genossen als angestellte Industriegestalter/innen.

Spielmittelgestalter Gerd Kaden

Auch ein weniger bekannter, aber nicht minder großartiger Spielmitteldesigner wählte diesen Weg. 1975 trat der gelernte Spielzeugmacher und studierte Holzgestalter aus dem Erzgebirge dem Künstlerverband bei. Das war – vielleicht nicht ganz zufällig – in jenem Jahr, in dem er seine kongeniale Kugelbahn entwarf, die für die nächsten Jahrzehnte in der Schublade schlummerte. 

„[…] man war ja in der DDR nicht in der Lage, in der Industrie ein Produkt zu landen von der Gestaltung her“, erzählt der im erzgebirgischen Neuhausen lebende emeritierte Professor, „Die Industrie war geprägt von der Herstellung für den Export […]. Der Gestalter hatte in seiner Anstellung eher die Aufgabe, […] die Produkte, die für den Export geeignet waren, so anzupassen, dass sie funktionierten.“ 

Bis 1978 war er noch für die Industrie tätig, dann richtete er seine eigene Werkstatt ein und arbeitete als freischaffender Gestalter sowie als Lehrbeauftragter an Fachschule für Angewandte Kunst Schneeberg. Heute widmet er sich ausschließlich seiner eigenen Firma Kaden & Kaden, die er 1992 zusammen mit seinem Sohn gründete.

Der Kugelbahn, die unabhängig zur selben Zeit auch in der Schweiz erfunden wurde, ist Gerd Kaden über all die Jahre treu geblieben. Er hat sie in diversen Größen, Farben und Formen entworfen – als Bausatz, als Spielplatz und in Weltformat. Daneben hat er Kindermöbel, einen Indoorspielplatz in Fukushima (Japan) und andere Holzspielzeuge entworfen, für die er mehrfach ausgezeichnet wurde.

Für seine schräge Kiste etwa erhielt er 2005, für den grünen Baum 2008 einen Designpreis. Matthias Kanter von der in Schwerin ansässigen Designplattform FORMOST ist überzeugt, dass Kaden – wie Müller – Weltruhm gebührt.

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Spielmittel von SINA

Fantastische Holzspielzeuge stellt auch die Firma SINA her, die zwar wie Kaden & Kadenihren Firmensitz im erzgebirgischen Neuhausen, jedoch eine recht andere Firmengeschichte hat.

Der Betrieb ist aus den Trümmern des Volkseigenen Betrieb VERO hervorgegangen, in dem sämtliche Spielzeugbetriebe der DDR 1972 zwangsvereinigt wurden. „Nach der Wende wurde VEB-Betrieb einfach liquidiert“, erzählt Geschäftsführerin Barbara Seidler. Ihr Mann habe nicht einfach zuschauen wollen, wie die damals 140-jährige Baukastentradition eingestampft wurde, also hätten sie gemeinsam die SINA Spielzeug GmbH gegründet. Einfach war das nicht. Bis das erste Täfelchen-Lege-Spiel nach Friedrich Fröbel 1995 in Produktion gehen konnte, musste das Unternehmen so manche Hürde nehmen.

Heute reicht das Sortiment des auf 21 Angestellte gewachsenen Unternehmens vom therapeutischen Kugeltisch über das Babybällchen bis zum Klassiker im Streichholzschachtelformat

Neben neuen Produkten junger Holzdesigner/innen aus dem In- und Ausland sind Klassiker von Kurt Naef und Friedrich Fröbel sowie Entwürfe der DDR-Designerin Ursula Wünsch darunter, die seit 1971 bis heute unter dem Firmennamen Wünsch‘ Dir Was Spielobjekte aus Holz für behinderte und andere Kinder entwirft. Mit ihren Kugelspielen und den Rechenmaschinen hätte sie meiner Meinung nach ebenfalls einen Platz unter den Stardesigner/innen der DDR verdient.

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Würfelspiel von Ursula Wünsch für SINA

*Am 12. März 1959 verabschiedete die Volkskammer der DDR das Gesetz zur Ergänzung des Gesetzes zur Förderung des Handwerks und Gesetz über die Besteuerung der Handwerker.

** Mit der Machtübernahme Erich Honeckers auf dem achtem Parteitag beschloss das Zentralkomitee die Zwangsverstaatlichung aller mittelständischen Betriebe und Anteilseigner. Betroffen waren rund 11.000 Betriebe mit einer halben Million Beschäftigten, darunter rund 1.700 Produktionsgenossenschaften des Handwerks, mehr als ein Drittel aller PGH. Mitte Juli konnte Erich Honecker an den sowjetischen Staatschef Leonid Breshnew Vollzug melden. Aus: Helga Schultz: Produktionsgenossenschaften des Handwerks in der DDR und in der Transformationsphase. S. 8ff

3 Comments

  • 7 Jahren ago

    Oh, welche Überraschung – da bekomme ich Lorbeeren in einem Medium, das mir nicht bekannt war bisher. Danke !
    Ich bin einer dieser drei Spielzeugdesigner, die hier genannt werden.

    Ich bin Formgestalter für Spielmittel -ich mache kein Spielzeug. Keine Abwertung – nur richtige Einschätzung.
    Meine Spielmittel sind für alle da – klein oder groß, alt oder jung – für einen allein oder für viele zusammen.
    Alle lernen dabei – üben sich im sozialen Umgang miteinander.
    Es geht nichts kaputt. Nichts fällt aus der Mode. Farbschön und handlich – nachhaltig produziert.
    Schade, alles Fakten, die nicht in unsere normale Welt passen. Heute heißt es kaufen – wegwerfen – neu kaufen und es dürfen keine Ansprüche gestellt werden.
    Meine Produkte wurden sehr zaghaft vermarktet – weil man es ungewohnt fand.
    Vielleicht bin ich der Zeit einfach nur voraus – wie schon vor Jahren ein sehr betagter Kunstprofessor aus München meinte, nachdem er sich stundenlang mit meine Sachen beschäftigt hatte.
    Ich soll mutig und gesund bleiben.
    Diesen Wunsch erfülle ich jeden Tag – bis heute.

    Ursula Wünsch Berlin 13. August 2017

    In keinem der Kataloge, die über die großen Ausstatterfirmen an fast alle Einrichtungen vertrieben werden, kann das so dargestellt werden. Ein kleines Foto muss da reichen. Schade.

  • 8 Jahren ago

    Ein toller Beitrag! Wie sich künstlerische und handwerkliche Kreativität gegen alle Widrigkeiten Bahn brach. Wie manche talentierte Designer auf keinen grünen Zweig kamen und ihr (nicht nur) DDR-Leben lang um ein Mindesteinkommen kämpfen oder ungeliebte Brotjobs annehmen mussten. In einem muss ich widersprechen: Meine Eltern haben sowohl Rupfen-Nashorn als auch -Schildkröte im normalen Handel gekauft. Ende der 70er, Anfang der 80er. Und die Kugelbahn war d a s Ablenkungs- und Beruhigungsmittel im Wartezimmer der Kinderärztin in Berlin-Biesdorf, in dem auch von den Eltern kleiner Patienten und von AiP geschaffene Wandgemälde zum Geschichten-Ausdenken ermunterten. Noch heute bin ich dieser Kinderärztin so dankbar für ihre verständnisvolle Liebe zu den Kindern und ihre sichere Diagnostik. Liebe Grüße Ghislana

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