Weiter scheitern, besser scheitern … | Hazel Rosenstrauch

14. Februar 2018

… rechts neben meinem Rechner liegt ein Mousepad mit dem Text des hübschen Gedichts von Samuel Beckett:

»Ever tried, Ever failed. No matter. Try again. Fail again. Fail better.«

Ich blicke mal wieder kopfschüttelnd darauf, um doch weiter zu versuchen. Obwohl ich schon aufgegeben hatte. Von meinem IT-affinen Sohn lernte ich, wir Oldies sollten uns über unverständliche Dinge im Netz nicht beschweren, sondern mitmachen. Als gelehrige Mutter entschloss mich, einen Wikipedia-Artikel zu schreiben – über einen Mann, der mich gerade beschäftigt (18. Jahrhundert), und zu dem es nichts im Netz gibt.

Nun bin ich ja nicht ganz ungeübt im Schreiben von Artikeln, als durchaus eifrige Wiki-Nutzerin weiß ich auch ungefähr, wie solche Bio-Beiträge aussehen. Aber weil ich manchmal auch bescheiden und manchmal unsicher bin, habe ich meinen Text als »Entwurf« gespeichert. Dann wartete ich, ob vielleicht irgendein BOT oder Surfer reagiert.

Als keine Reaktion kam, suchte ich meinen Artikel und fand ihn nicht. Entwürfe tauchen weder unter dem Stichwort noch unter dem zu diesem Zweck eingerichteten Kürzel auf. Zum Glück hatte ich ihn gespeichert. Da Wiki von Leuten aufgebaut wurde, die vor Erfindung dieses Lexikons andere Methoden verwendet haben müssen, recherchierte ich, ich fand Erklärungen für Leser und für potenzielle Beiträger. Nicht eine Site, nicht zwei, sondern viele. Sehr viele. Starthilfe, Tutorial, Hilfeseiten. Offenbar haben viele Experten daran gearbeitet. Ich scrolle, bis ich auf einen Absatz stoße, der Spielwiese heißt.

»Zum Ausprobieren der Quelltextbearbeitung oder der Funktionsweise des VisualEditors kannst du die Wikipedia:Spielwiese benutzen. Grundsätzlich gilt: Sei mutig – du kannst nichts zerstören, alle früheren Versionen eines Artikels lassen sich nämlich einfach wiederherstellen. Unsinnige Beiträge werden jedoch hier nicht gerne gesehen und schnell zurückgesetzt oder der betreffende Benutzer kann gesperrt werden. 

Wie du Artikelentwürfe in deinem Benutzernamensraum speicherst, damit du sie dort ungestört ausarbeiten kannst, ist unter Hilfe:Benutzernamensraum #Unterseiten beschrieben. Wenn du Fragen zur Mitarbeit hast, kannst du diese unter Fragen zur Wikipedia stellen.«

An diesem Punkt hat mich der Mut und ich die Seiten verlassen. Aber es gibt ja auch noch ein Mentorenprogramm, mein Mentor schrieb mir: »Natürlich könnte ich den Artikel jetzt soweit in Form bringen, das ist aber nicht meine Aufgabe als Mentor.« Erinnerte mich an meine Lehrer aus den 1950er Jahren. Es gibt, fast möchte ich sagen, natürlich, auch einen Unterpunkt, wie man seinen Eintrag findet, wie es überhaupt zu jeder denkbaren Frage ellenlange Erklärungen und weiterführende Links gibt.

Ermattet wollte ich zu mir sagen, ich sei zu dumm, das System ist nichts für mich, lass es. Aber dann fiel mir dieser bzw. diese Hilfsgeist/in in der Bibliothek ein (dichter Bart und Busen). Ich wollte etwas kopieren und es ging nicht, und ich sagte: »Ich kann das nicht«, woraufhin ersie lachte und erzählte: »Wenn ein Mann sich beschwert, sagt er ‚Der Kopierer ist kaputt‘, Frauen sagen, sie können das nicht.« Der Mensch kannte sich offenkundig mit beiden Geschlechtern aus. Die Beobachtung habe ich mir zu Herzen genommen. Deshalb kann ich jetzt zwar sagen, ich bin zu blöd, ich kann das nicht. Ich kann aber auch feststellen, dass die Anleitungen und das Programm nicht gut, vielleicht auch nur zu kompliziert sind.

Fähre Berlin Sonnenuntergang

Wie weiter? Ich könnte…

  1. einen Freund fragen, der Erfahrungen mit dem Schreiben von Wiki-Beiträgen hat.
  2. unter Wikipedia-Gemeinschaft, Wikipedia-Hilfe-Seiten, Wikipedia-Einmaleins die vielen seitenlange Ratschläge studieren.
  3. die Wiki-Gemeinschaft konsultieren – wie ich gesehen habe, gibt es auch einen Wiki-Frauen-Stammtisch.

Kostet alles ziemlich viel Zeit, Leidenschaft und Nerven und dünkt mir für eine nicht bezahlte Arbeit recht aufwendig. Da denke ich wieder an den/die Trans*, und frage mich, ob es tatsächlich an meiner Begriffsstutzigkeit liegt oder die Mitarbeit schwieriger gemacht wird, als nötig. Mein Sohn predigt immer, ich soll nicht meckern, sondern Vorschläge machen. Meine Wünsche orientieren sich an Verhältnissen, in denen es Lektoren, Redakteure u.ä. gab – die auch in Verlagen und Zeitungen wegrationalisiert werden: Schön wären Essentials auf einer Seite, die leichtere Auffindbarkeit von Entwürfen, an denen Dritte rumfummeln – ergänzen, Ratschläge usw. geben können. Die alte Lektorenweisheit: Weniger ist mehr.

Erschöpft bat ich meinen Sohn um Hilfe, er klickte hier, er klickte da, mir wurde beim Zuschauen schwindlig, nach kurzer Zeit stand der Eintrag »Simon Veit« im Lexikon! Er hat zwar keine Erfahrung mit Wiki-Einträgen, aber er kann coden. Das ist eine neue, für Viele, die Wichtiges und Schönes mitteilen könnten, fremde Sprache. – Wir brauchen Übersetzer! Eine Art Erasmus-Programm im Geiste des transgenerationellen Dialogs, gerne auch im virtuellen Raum. Vielleicht kann sich ja nicht nur die SPD, sondern auch Wiki erneuern?

Als ich von dieser Erfahrung bei einer Party berichtete, sagten gleich mehrere Menschen mit viel Wissen, dass sie es auch probieren wollten. Wir suchen noch Fährmänner und -frauen, um von hier nach da zu kommen.

2 Comments

  • 6 Jahren ago

    Ich suche mit!
    LG
    Astrid

    • M i MA
      6 Jahren ago

      Super! Danke.

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