»Souveränität statt Selbstoptimierung« – Im Gespräch mit Deborah Ruggieri

16. Januar 2017

Deborah Ruggieri ist Trainerin und Coach und unterstützt Menschen dabei, die eigene Souveränität zu entdecken und zu leben. Vor kurzem ist die 46-Jährige Politik- und Kulturwissenschaftlerin der SPD beigetreten. Im Interview erzählt sie, was sie dazu veranlasst hat und was sie in und mit der traditionsreichen Volkspartei bewegen und {ver}ändern will. Außerdem sprechen wir über Frauen und Macht, über falsche Ideale und richtige Stärke.

Vielen Dank, liebe Deborah, für das spannend-inspirierende Gespräch, mit dem ich allen eine weiterhin gute Woche wünsche.

Deborah-Ruggieri (c)
Foto {c} Catberry Studio

Als Trainerin unterstützt du Frauen, selbstbewusst{er} aufzutreten. Worauf kommt es dabei an und was sind die typischen »Stolpersteine«?

Es kommt vor allem darauf an, Souveränität auszubilden, also die Fähigkeit, selbstsicher und unabhängig zu handeln. Denn bei allen strukturellen Komponenten, die es auch zu verändern gilt {sich damit abzufinden, ist keine Option} stellt sich immer die Frage: Wie kann ich innerhalb der bestehenden Rahmenbedingungen souveränes Handeln entwickeln? Was passt zu mir? Darauf aufbauend kann man dann auch die Bedingungen für sich nutzen und gegebenenfalls verändern.

Eine souveräne Person, lässt sich nicht so schnell aus der Ruhe bringen; sie bleibt ruhig und gelassen und kann unterschiedlichen Anforderungen souverän begegnen. Das setzt emotionale Stabilität und ein realistisches Selbstbild voraus. Ich unterstütze Frauen darin, ihre eigene Souveränität zu entdecken und zu entwickeln. Dabei arbeite nach dem »Muster des Gelingens« {den Begriff habe ich bei Dr. Gunther Schmidt mitgenommen} und mit humorvoller Ironie: Ressourcenorientiert und liebevoll stoppe ich den alltäglichen Autopiloten meiner Kund/innen, um Selbstverständliches zu hinterfragen.

»Mit Schirm, Charme und Sortierarbeit rein in die Zonen der Entwicklung.«

Dabei tut  es gut, sich selbst nicht so ernst zu nehmen; es schafft Gelassenheit und ist ein gutes Mittel, um verborgene Muster und Strukturen aufzudecken – und das muss man, wenn man etwas verändern will. Wir sind umgeben von Idealbildern: die ideale Frau, die ideale Businessfrau, die ideale Mutter, Partnerin, Freundin etc. Stell dir vor, alle Frauen würden diesen Bildern gerecht – das wäre schrecklich langweilig! Zum Glück werden wir ihnen nicht gerecht!

Ein Idealbild suggeriert immer: »Ich bin nicht genug«. Wir sollten versuchen, unsere eigenen Bilder zu finden und ihnen zu folgen. Denn es gibt nicht den einen Weg zum Erfolg. Frage 10 erfolgreiche Frauen nach ihrem Erfolgsgeheimnis und du bekommst 10 unterschiedliche Antworten. Das versuche ich in meinen Trainings zu vermitteln.

Frauen versuchen aus verschiedenen sozial-kulturellen Gründen häufiger den Idealbildern zu entsprechen, doch auch Männer streben nach »normierter Perfektion« und auch dort lohnt es sich, die Bilder zu hinterfragen. Diese Ausrichtung am Idealbild gepaart mit dem geltenden Selbstoptimierungsmantra macht es umso schwerer, eine selbstbestimmte und gelassene Haltung zu entwickeln. Humor hilft, die normierten Bilder zu entlarven und eigene Vorstellungen erarbeiten, die dann Ressourcen freisetzen, um eigene Wege zu gehen.

Frauen und Macht – wie verhält sich das zueinander?

»Macht« ist ein komplexes und schwieriges, aber auch hochspannendes Thema. Mich interessiert vor allem der Aspekt der Wirksamkeit, also die »Macht zu«, nicht nur die »Macht über«.

In meinen Trainings will ich für die versteckten Mechanismen der Macht sensibilisieren, zum kritischen Hinterfragen animieren, aber auch die Chancen eines positiven, verantwortlichen Verhältnisses zur Macht aufzeigen. Frauen haben oft ein ambivalentes Verhältnis zur Macht, was ihnen häufig zum Vorwurf gemacht wird. Ich sehe das eher als Vorteil, denn Macht sollte immer wieder hinterfragt werden. Ein eigenes Verständnis von Macht und dessen regelmäßige Reflexion macht handlungsfähiger; es erlaubt, zu agieren anstatt nur zu reagieren. Das hat mehr Kraft.


»Dass die Macht Bestand hat, wird ganz einfach dadurch bewirkt, dass sie nicht bloß wie eine Macht lastet, die Nein sagt, sondern dass sie die Dinge hervorbringt, Lust verursacht, Wissen formt und einen Diskurs produziert. Man muss sie als ein produktives Netz ansehen, das weit stärker durch den ganzen Gesellschaftskörper hindurchgeht als eine negative Instanz, die die Funktion hat zu unterdrücken.«

Michel Foucault

Die Fähigkeit zur Selbstreflexion müsste meines Erachtens eine zwingend notwendige Kernkompetenz aller »Mächtigen«, also aller Menschen mit Entscheidungsbefugnissen sein – und Selbstreflexion auf jeder To-Do-Liste stehen.

Vor einigen Monaten bist du in der SPD beigetreten. Warum?

Ich bin in eine Volkspartei eingetreten, weil ich eine überzeugte Demokratin und Europäerin bin und mich die derzeitigen politischen Ereignisse nicht kalt lassen: Brexit, Trump, Rechtspopulismus…

Ich war schon immer eine politisch denkende und aktive Person {nicht zufällig habe ich Politikwissenschaften studiert}, doch den Parteien stand ich lange Zeit eher kritisch distanziert gegenüber. Nicht zuletzt das zunehmende Politiker/innen-Bashing und die neue Streit-Unkultur, haben mich umdenken lassen. Es ist viel einfacher, die Dinge von Außen zu kritisieren als von Innen zu verändern. Wer einmal innerhalb seiner Familie versucht hat, seine Überzeugung gegen die anderen durchzusetzen, weiss wie schwierig demokratische Prozesse sein können. Kritik ist gut und wichtig, aber viel zu oft ist es reines »Gemeckere«, das jede Selbst- bzw. Mitverantwortung leugnet und Andersdenkende mundtot machen will. Wir müssen dieser neuen Unkultur eine konstruktive demokratische Kultur entgegen setzen.

Mit meinem Eintritt in die Partei will ich außerdem die demokratischen Institutionen nutzen und stärken, anstatt sie weiter zerfallen zu lassen. Wer etwas verändern will, den rechtspopulistischen Tendenzen etwas entgegensetzen und das sich zunehmend verschlechternde Klima in unsere Gesellschaft verbessern möchte, sollte sich darüber auch mit anderen auseinandersetzen – in einer Demokratie darf, ja muss für Überzeugungen gestritten werden. Auch deswegen bin ich einer »Volkspartei« beigetreten: Hier gibt es weniger »Filterblasen« – es werden viele unterschiedliche Meinungen diskutiert, demokratisch gestritten, um Überzeugungen und gemeinsam um gute Lösungen gerungen. Sicher, in kleineren Organisationsformen kann man seine Gedanken und Ideen schneller und mit weniger Abstrichen durchsetzen. In einer Partei muss man Kompromisse eingehen. Aber das gehört zum Wesen der Demokratie, ist eine ihrer großen Herausforderungen und Stärken zugleich.

Warum die SPD? Weil ich glaube, dass sie durch ihre Geschichte und dem Anspruch, eine »soziale Demokratie« zu gestalten, der Ort ist, wo ökonomische Fragen ernsthaft mit sozialen und ökologischen Fragen zusammen gedacht werden. Als Unternehmerin und jemand, die sich mit Globalisierungsprozessen auseinandergesetzt hat, weiß ich, dass unsere Wirtschaft und unsere Gesellschaften nur dann dauerhaft funktionieren, wenn es uns gelingt, soziale Gerechtigkeit herzustellen. Das wurde in den letzten Jahren versäumt: Unter dem Primat des Ökonomischen wurde soziale und ökologische Aspekte nur aus Kostenperspektive betrachtet. Das halte ich für kontraproduktiv und wenig zukunftsorientiert. Als SPD-Mitglied interessieren mich vor allem die Wechselwirkungen zwischen internationaler Politik und nationalstaatlichen Prozessen. Diese Wechselwirkungen müssen wir anders gestalten, um unter den Bedingungen der Globalisierung auf nationalstaatlicher Ebene soziale und gerechte Politik zu machen.

Und nicht zuletzt waren es auch die Menschen, die mich von der SPD überzeugt haben, vor allem die kritisch-klugen, inspirierenden und veränderungswilligen Frauen, mit denen ich arbeite und gearbeitet habe!

Menschen am Bahnhof Bern fotografiert von Timon Studler via Unsplash
Foto {c} Timon Studler via Unsplash

Ab Januar 2017 wird Donald Trump Präsident der größten Militär- und Wirtschaftsmacht der Welt sein. Viele befürchten, dass der Westen damit in vormoderne Zeiten zurückfällt. Wie blickst du ins kommende Jahr?

Mit sehr gemischten Gefühlen. Ich denke, der Mensch, der Donald Trump am besten kennen sollte, nämlich er selbst – kennt sich nicht. Er handelt impulsiv, scheinbar wenig durchdacht in Bezug auf politische und gesellschaftliche Konsequenzen seines Tuns. Ihn würde ich gern einmal ein Jahr lang in eine Meditation über Macht schicken! Ich halte ihn für unberechenbar, er hat von politischen Vorgängen scheinbar oft wenig Ahnung. Zudem repräsentiert er einen Typus Mann, der meiner Meinung nach längst ins Museumsarchiv gehörte. Das Erschreckende daran ist, dass er unter anderem genau deswegen gewählt wurde. Das zeigt einmal mehr, dass Sexismus als »nicht so schlimm« oder gar wieder als »salonfähig« angesehen wird – übrigens auch von sehr vielen Frauen, die ihn gewählt haben.

Trump ist in meinen Augen das Produkt einer Politik, die die Menschheit in Globalisierungsgewinner/innen und -verlierer/innen geteilt hat. Er ist Teil des Establishments und gehört zu den Gewinnern, aber es gelingt ihm, sich als Vertreter der »Verlierer/innen« und des »Anti-Establishments« zu behaupten – vor allem bei denen, die den Verlust ihrer Privilegien {als »Weiße«, als Männer etc.} befürchten. Das ist fast zynisch und als hätte sich die Büchse der Pandora geöffnet: Ein paar rassistische Äußerungen und das Klima in den USA verändert sich – genauso wie nach dem Brexit in UK. Worte haben Macht, wie 140 Zeichen eines designierten US-Präsidenten exemplarisch zeigen…

Wer in einer gerechten, offenen, mitmenschlichen Welt leben möchte, sollte jetzt politisch aktiv werden. Bernie Sanders fordert in den USA gerade dazu auf, massenhaft in die Partei der Demokrat/innen einzutreten oder sich anders politisch zu organisieren. Wir sollten es ihm nachtun!

Welchen »Lehren« ziehst du aus den US-amerikanischen Wahlen?

Politik kann nicht national gedacht werden. In Zeiten der Globalisierung ist sie immer international, alles ist miteinander verwoben und vernetzt. Für viele Menschen ist allein diese Tatsache schon zu viel, was ich zwar verstehen kann, aber trotzdem sind einfache Antworten selten richtig. Umso wichtiger ist es, die Errungenschaften und Möglichkeiten der Demokratie hochzuhalten und Politik verständlicher, sozialer und nachhaltiger zu machen. Wir müssen die Globalisierung aktiv gestalten, statt nur auf sie zu reagieren. Das ist nicht einfach. Denn auf der internationalen Handels- und Wirtschaftsebene wird in einer Schnelligkeit agiert, hinter der die nationalstaatliche Politik mit ihren teils langwierigen demokratischen Prozessen oft hinterherhinkt. Hier brauchen wir viel mehr internationale Absprachen, die nicht nur die ökonomischen Belange im Blick haben, sondern auch die sozialen und ökologischen.

Ich verstehe mich als Europäerin und Weltbürgerin und ich wünsche mir eine identitätsstiftende europäische Politik, die die Vielfalt der europäischen Länder anerkennt. Das Primat des Ökonomischen hat die Zustimmung für eine europäische Identität bröckeln lassen, auch weil es die sozialen Fragen ignoriert hat. Die Verunsicherung ist groß und das macht den Nationalismus mit seiner einfachen Freund-Feind-Logik wieder attraktiv. Hier muss schnell etwas passieren: Wir müssen Europa als Werte- und Solidargemeinschaft stärken und denjenigen, die sich der starken Frau oder dem starken Mann sehnen, deutlich machen, dass ein autoritärer exklusiver Nationalstaat immer auf Kosten der Freiheit, der normativen Gleichheit und individuellen Vielfalt geht. Was das bedeutet, erzählt die Geschichte Europas, von wo bis Mitte des vergangenen Jahrhunderts die grausamsten Kriege und Verbrechen an der Menschlichkeit ausgegangen sind.

Es gab und gibt die vermeintlich »gute alte Zeit« nicht. Sie ist ein fiktiver Sehnsuchtsort. Blickt man zurück, so findet man – ganz im Gegenteil – wenig Gutes: »Eiserner Vorhang«, ein geteiltes Deutschland, nukleares Wettrüsten etc. pp. Wir können aus der Geschichte lernen; sie zeigt, dass es wichtig ist, sich den sozialen Fragen zuzuwenden und Verteilungsgerechtigkeit in den Blick zu nehmen. Dass in Deutschland, einem der reichsten Länder der Welt, rund 15 % aller Kinder unter Armut leiden, ist eine Schande und die immer größere Schere zwischen Arm und Reich sowohl gesellschaftlich als auch wirtschaftlich unsinnig. Wir müssen uns dieses Themas annehmen, bevor sie von den Rechtspopulist/innen mit falschen Zuschreibenden unterfüttert werden. Hierzu braucht es viele Menschen und Akteur/innen, die an einem Strang ziehen – partei- und positionsübergreifend.

Trump Tower fotografiert von delfi de la Rua via Unsplash
Foto {c} delfi de la Rua via Unsplash

2017 stehen die Bundestagswahlen an. Worauf kommt es deiner Meinung nach an?

  • Das Thema soziale Gerechtigkeit muss ganz weit oben auf die politische Agenda.
  • Wir brauchen Ideen und Visionen, wie wir internationalen Krisen begegnet wollen und
  • Ideen, wie wir die Globalisierung gerechter gestalten können.
  • Die Wechselwirkungen zwischen Lokalem und Internationalem müssen bewusster und verständlicher gemacht werden.
  • Wir müssen für die Rechtspopularisierung der Sprache sensiblisieren,
  • nicht müde werden, die Vorzüge der offenen, liberalen Gesellschaft hochzuhalten und
  • politische Lösungen bieten statt auf Geschrei und Angstmacherei zu reagieren {Ich habe bisweilen den Eindruck, dass alle wie hypnotisiert auf den Rechtspopulismus starren und sich nicht mehr bewegen können. Aber: Rechtspopulismus ist keine Naturkatastrophe, sondern menschengemacht – also können Menschen können auch etwas dagegen machen!}.

Wenn du einen Wunsch frei hättest, was würdest du dir wünschen?

Dass alle Menschen über all das verfügen, was sie brauchen, um ein gutes Leben zu führen, so dass sie andere nicht mehr bekriegen, unterwerfen, ausbeuten etc. Und dann wünsche ich mir noch, dass ich morgen aus einen Alptraum aufwache, in dem Donald Trump Präsident der Vereinigten Staaten war.

Alptraum fotografiert von Jeremy Thomas via Unsplash
Foto {c} Jeremy Thomas via Unsplash

Foto Header: Frau im roten Kleid {c} Quentin Keller 

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7 Comments

  • Beatrix
    6 Jahren ago

    Ich würde sagen, diese Frau sollte in der SPD ab sofort einen vorderen und bedeutsamen Posten begleiten! Super!!!

    • M i MA
      6 Jahren ago

      Find ich auch.

  • 7 Jahren ago

    Tolles Interview und inspirierende Frau – da wünscht man sich mehr von! Respekt!

  • Manuela
    7 Jahren ago

    Es tut gut mit seinen Gedanken nicht alleine zu sein.

  • Britta
    7 Jahren ago

    Eine schöne Analyse der aktuellen Situation, ich finde mich da komplett wieder. Treffend auch der Hinweis auf die Vermeintlich „gute alte Zeit“. Also: Packen wir’s an!

  • 7 Jahren ago

    Ich sags mal simpel: „Hammerinterview!“ Danke.

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