Neulich in meinem Leben … Die Kolumne No. 4

28. Mai 2014
Bildquelle
… mehr als nur Berge
von Juliane von der Wense
Wann es damit anfing, kann ich nicht sagen. Ich glaube, es war schon immer so und ich glaube, dass ich damit auch gar keine Ausnahme darstelle. Vielleicht habe ich ein paar Antennen mehr als Andere, das mag schon sein, aber eine Sonderform menschlicher Existenz bin ich deswegen sicherlich nicht. Mir erschließen Gerüche, Klänge und Geschmäcker Universen. Seit jeher lösen sie nicht nur Bilder und Vorstellungen in mir aus, sondern konservieren auch Erinnerungen.
Umso dramatischer empfand ich es – und ich erinnere das noch zu gut – als es plötzlich kein „Dolomiti“ mehr gab. Einfach vom Markt genommen. Das fröhlich gestreifte, quietschsüße Wassereis, das in den Landesfarben Italiens und in Form eines vereinfachten Bergmassivs, dessen Namen es auch trug, daherkam und ein treuer Begleiter meiner Kindheit und unausweichlichen Adoleszenz war, war plötzlich verschwunden; zusammen mit „Brauner Bär“ hatte es sich davon geschlichen.

Und so wie es verschwand, tauchte es nun auch wieder auf. Vergangene Woche entdeckte ich es in der Tiefkühlbox eines örtlichen Supermarkts. Es war wieder da. Und es hatte an Geschmacks- und Farbstoffen zu meinem großen ungesunden Glück nichts eingebüßt. Und noch immer freute ich mich getreu der Devise „saving the best for last“ darüber, dass sich der knallgrüne Waldmeister-Streifen am unteren Ende des Eisstiels befand.
„Dolomiti“, der Inbegriff meiner Kindheit! Begleitet von einer weißen Maus, die es damals noch für einen Groschen am Kiosk gab, krönte es meine Freibadbesuche an nicht enden wollenden Sommertagen, die satter und sorgloser nicht hätten sein können und die mich schon damals mit einem Hauch Wehmut erfüllten, weil irgendetwas in mir spürte, dass auf jeden Sommer auch ein Herbst folgt und kaum etwas bleibt wie es war. Ganz abgesehen von „Dolomiti“, das auch heute noch die Hoffnung (und meine Speckpolster) nährt, dass es auch in meinem Leben Dinge von universeller und übergeordneter Bedeutung gibt, die alles, alles überdauern.
Ganz plötzlich, mitten im Supermarkt, hörte ich das Gejuchze und Gekreische übermütig tollender Kinder; ich roch das Chlorwasser und das frisch gemähte Gras. Ich sah das hellblaue Becken mit dem roten Drahtseil, das den Schwimmer- vom Nichtschwimmerbereich trennte. Um mich herum plätscherte und pütscherte es und es fühlte sich an, als liefe mir das Wasser in die Ohren. Tauchte da hinten nicht jemand nach einem gelben Gummiring?
Ich entschloss mich, das Eis zu kaufen. Nicht, dass mein Kalorienbedarf an diesem Tag nicht längst schon überstrapaziert gewesen wäre…Aber auf Einzelschicksale konnte ich in diesem Moment keine Rücksicht nehmen. Alles war wie früher. Alles war plötzlich wieder da. Der Zauber ferner Kindertage hatte mich in seinem Sog. Verklärt glotzend stand ich inzwischen mitten auf dem Parkplatz und ich stellte fest, dass „Dolomiti“ viel mehr für mich ist als nur ein Eis in Form eines Bergmassivs und viel mehr als nur ein Bergmassiv, das einem Eis Pate stand. Mir wurde plötzlich bewusst, dass es ein Synonym für die wesentlichen Etappen meines Lebens war, denn alles, was in irgend einer Weise prägend und einschneidend war, hatte mit Südtirol, hatte mit den Dolomiten zu tun. Glaubte ich, dass Licht der Welt erblicken zu müssen, fuhren meine Eltern an den Hängen der Seiser Alm Ski, die Goldene Hochzeit meiner Großeltern feierten wir in Meran; meine eigene Hochzeitsreise führte meinen Mann und mich nach Völs am Schlern. Selbst 007 fegte schon die Hänge Cortina d’Ampezzos herunter. Gut, der hat jetzt nicht so viel mit meinem Leben zu tun… Aber mit den Dolomiten.
Und jetzt stelle ich mir gerade vor, was wohl aus meinem Leben geworden wäre, wenn ich mein Herz an „Brauner Bär“ verloren hätte. Der ist schließlich immer noch in den ewigen Jagdgründen verschwunden. Nicht auszudenken…

6 Comments

  • Anonym
    9 Jahren ago

    Jetzt wird`s aber bunt hier!

  • Anonym
    10 Jahren ago

    Nach dem Schwimmen habe ich mir frueher oft ein Negerkuss-Brötchen gekauft (das war damals noch politisch korrekt) – lecker 🙂 .
    Und auch der Gedanke an Chlorgeruch vom Freibad, das Geraeusch von den Springtuermen, das Juchzen und Lachen der Kinder und als Kroenung ne Schale Pommes ohne alles (weil ich nie genug Geld fuer Ketchup hatte) laesst mein Herz hoeher schlagen. Ach, die Kindheit ist wirklich viel zu schnell vorbei.

  • 10 Jahren ago

    Oh ja. Habe eben auch eins genossen 😀 Mjam mjam. 🙂

  • 10 Jahren ago

    Liebe Indre,
    wow, tolle Geschichte.
    Bei mir was es das Dreierlei Eis -Schoko, Vanille & Erdbeer.
    Vor ein paar Jahren tauchte es ebenfalls ganz plötzlich wieder
    auf. Allerdings weiß ich nicht, ob es nur für eine kurze Zeit da
    war und nun wieder weg ist.Faszinierend, dass sich manche
    Dinge rückwärts betrachtet zusammenfügen oder gar um einen
    Punkt drehen.
    Auf die Dolomiten! 😉
    LG Naddel

  • 10 Jahren ago

    Hey,

    also ich kenne leider das Dolomiti nicht, aber Dein text dazu ist einfach Großartig! Wir haben uns im Bad oder im Getränkeladen um die Ecke früher immer BumBum oder Calippo Eis geholt. Die gibts heute noch. Und jedes Mal, wenn ich das sehe, denke ich zurück an die Kindheit. Und nach der Schule haben wir uns beim Bäcker immer einen Schlumpf für 5 Pfennig geholt. Haha …
    ach wie unschuldig und unbeschwert man damals noch war.

    Super Beitrag, Danke!

  • 10 Jahren ago

    ooh ja…ich erinnere mich auch gerade an meine Kindheit zurück…DOLOMITI ♥♥♥ Das war auch mein Lieblingseis!
    ES IST WIEDER DA ?!?!!?
    Das ist ja cool, hoffe es ist auch glutenfrei…mal schauen, meine Kinder würden sich auf jeden Fall sehr darüber freuen, wenn sie den Geschmack von Mami´s Kindheit mal probieren dürften ;o)
    Liebste Grüße Petra

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