Neulich in meinem Leben… Die Kolumne No. 3

24. April 2014
Ich bin ja mehr so der analoge Typ
Juliane von der Wense
.
Ich bin ja mehr so der analoge Typ, Juliane von der Wense
Erst gestern war es wieder so weit. Schon beim bloßen Gedanken an die erbarmungslos nahende Herausforderung bekam ich Kreislaufstörungen und hektische Flecken. Und ich neige weder zum Einen, noch zum Anderen! Ehe ich es mich also versah, war ich der Situation wieder einmal völlig hilflos ausgesetzt: Ich stand vor dem Fahrkartenautomaten und musste – wer hätte es gedacht? – eine Fahrtkarte ziehen. Millionen Menschen tun es tagein tagaus (und natürlich ist keiner von denen in der Nähe, wenn man ihn braucht), nur ich stehe vor dem Ding wie die Kuh vor’m neuen Scheunentor.
Dass von den beiden an meinem Gleis vorhandenen Automaten keiner von beiden seinen Dienst zu tun bereit war, lassen wir nun mal außer Acht, schließlich stellte sich die Situation vor den Automaten am anderen Gleis ja nicht schwieriger, aber eben auch nicht leichter dar.
Angeboten wurden Zonen- und Ringe-Tickets, Tickets für kurze ebenso wie für lange Strecken, ermäßigte und reguläre Fahrkarten, Karten für (und gegen?) den HVV, Einzel-, Gruppen und Tageskarten und allerlei Ziele von A-Z, die sich dadurch auszeichneten, weder in Ringen, noch in Zonen, oder gar in Waben zu liegen.
Nun muss man wissen, dass ich einer Generation entstamme, die beim Fernsehen noch so etwas wie Testbild und Sendeschluss kannte; die es für revolutionär hielt, dass bewegte Bilder bald schon in vielen Haushalten in Farbe und nicht mehr nur in Schwarz-Weiß über die Mattscheibe flimmerten, und die drei Programme nicht nur für ein hinlängliches, sondern sogar für ein weitreichendes Angebot hielt.
Die Umstellung von LP auf CD kam für mich einem Kulturschock gleich und als mir Mitte der 90er Jahre ein Studienfreund ein AOL-E-Mail-Testpaket auf meinen Rechner aufspielen wollte, war ich nicht nur skeptisch, sondern hielt das für völlige Zeit- und Ressourcenverschwendung, da mir dieser ganze „neemoodsche Kram“ ohnehin nur eine Zeitgeisterscheinung zu sein schien. Und – das nimmt einem heute ja kein Mensch mehr ab – immer dieses Umgestöpsel an der Telefonbuchse. Glaubt doch nicht, dass man telefonieren konnte, während man gerade dabei war, eine E-Mail zu versenden, oder in diesem ominösen weltweiten Web zu surfen.
Ähnlich befremdlich fand ich übrigens einige Jahre zuvor auch die Umstellung der Banken vom Schalterbetrieb auf Automaten. Hört mir auf! Und selbst bei IKEA gönnt es einem inzwischen niemand mehr, in Kassenschlangen zu stehen, man kann seinen Plunder jetzt selbst einscannen und per Karte zahlen. Überall anonymisiert und ökonomisiert sich die Welt und ich bin mitten drin. Und für so vieles davon leider viel zu doof. Bis heute weiß ich nicht, wie man bei iTunes einkauft, wie man Lieder auf den iPod und Bücher auf den Kindle überspielt (sagt man überhaupt noch „überspielen“?), wie man Dateien zippt, Termine synchronisiert, oder auch nur doppelseitig kopiert. Manches davon will ich auch gar nicht wissen. Ehrlich gesagt mochte ich das Knistern von Schallplatten und auch das Aufwickeln vertüddelter Kassetten wurde mir nicht fad. Auch liebe ich es, mit Tinte auf Papier zu schreiben und Kalender auf herkömmliche Weise zu führen.
Dass mein Handy auch fotografieren kann, freut mich für mein Handy, aber es macht es für mich nicht interessanter. Es kann mich gern anrufen, sobald es eigenständig zu bügeln weiß – das wäre ein glatter Mehrwert, ein Zugewinn an Lebensqualität. Automaten sind das nicht. Die auf Effizienz gedrillte Automatisierung der Welt ist es für mich auch nicht. Zumal ich, stehe ich vor Fahrkartenautomaten, bekanntermaßen jeden Effizienzquotienten zu vermasseln weiß…
Einzig neulich war da so eine Situation, die mich dazu veranlasste, meine Meinung möglicherweise doch noch einmal zu überdenken. Ich bat einen Dienstleister, ein Alternativangebot zu kalkulieren. Als er mich fragte: „Sie wissen schon, dass das ein Arsch voll Arbeit für mich ist?“ schien mir das der Moment zu sein, in dem ich einen Automaten als Geschäfts-, Gesprächs- und Verhandlungspartner vorzuziehen gewusst hätte.
Ach so, und was meine Fahrtkarte angeht: Ich fuhr schwarz. Ich war völlig überfordert und meine Überforderung ließ sich leider nicht mit meiner Eile, den Zug drei Gleise weiter erwischen zu müssen, vereinbaren. Im Zug hätte ich gern beim Fahrkartenkontrolleur nachgelöst. Aber es kam keiner. Ein Automat ließ sich übrigens auch nicht blicken. Kontrolliert wird wohl noch von Mensch zu Mensch. Das finde ich eigentlich ganz schön…
.
Ich bin ja mehr so der analoge Typ Juliane von der Wense, Testbild

7 Comments

  • 10 Jahren ago

    Ich mag es einfach nicht, wenn Leute von sich sagen, sie seien zu "dumm", Technik zu bedienen.
    Denn das sind sie nicht. Die Technik ist dumm.
    Vielleicht seid ihr zu faul, neue Sachen zu lernen, vielleicht setzt ihr die Prioritäten zum Lernen von neuen Dingen anders, vielleicht habt ihr keine Geduld im Umgang mit neuer Technik. Aber darauf stolz zu sein, zu "dumm" für Technik zu sein, ist mehr als fragwürdig!

    • 10 Jahren ago

      "Die Technik ist dumm". Da gebe ich dir recht! Wobei sie auch von Menschen gemacht wird 😉

  • 10 Jahren ago

    Wieder einmal sehr schöne Zeilen, die mich nachdenken lassen, ob weniger nicht doch wieder mehr wäre..☼

  • 10 Jahren ago

    Auch sehr geschmunzelt… – "digital" gehe ich bei meinen erwachsenen Kindern "in die Schule"…, die können komischerweise mit dem ganzen Zeug "intuitiv" umgehen…, aber Fahrkarten kann ich inzwischen auch am Automaten selbst lösen ;-). Ein neues Radio "programmieren" leider nicht ;-(…, es ist schon verrückt… Heute Abend haben wir am See gesessen und den Fledermäusen zugeschaut. Abendunterhaltung von Feinsten 😉 Herzlichen Gruß Ghislana

  • 10 Jahren ago

    Oh wie fein und ich musste sofort schmunzeln.
    Hier in Dresden leben wir zwar nicht in der Welt der Ringe sondern ausschließlich noch in der Zone, aber ich gebe es zu: Ich habe ebenso zuerst dämlich, dann ängstlich in den Automaten geschaut, denn uns lief die Zeit davon, Schwarzfahren wäre wesentlich teurer und mit dem großen Mann an meiner Zeit völlig indiskutabel – es hätte meine jahrelangen Moralpredigten gebrochen.
    In der Hektik habe ich falsch gebucht und bin dann das erste Mal erste Klasse gefahren, nur aus Gaudi und auch nur zwei Stationen, weil der Schaffner so spät kam, aber immerhin – was hatte ich mit meinem Kind für einen Spaß.

    Digitalisierung mag ich nur einem Punkt: der Fotografie.

    Alles andere nervt mich zusehens!

    Liebste Grüße
    Katja

  • 10 Jahren ago

    Muss wiedermal ein völlig neidfreies Lob verteilen: Toll geschrieben! Alles Liebe von der gerne analogen Annette

  • 10 Jahren ago

    Oh ja, ich erkenne mich wieder. Manchmal frage ich mich, wie ausländische Touristen bei uns eine Fahrkarte (die richtige!) am Automaten lösen sollen, wenn ich dazu trotz Abi und abgeschlossenem Studium nicht in der Lage bin. Verkomplizierung und Entmenschlichung hat für mich nichts mit erstrebenswertem Fortschritt zu tun – zumal es die Fahrkarte auch nicht billiger macht.
    Meinen allerersten Rechner – einen Mac Perfoma konnte ich auch als Laie noch problemlos selbst installieren – inkl. Betriebssystem. Heute kann ich nicht mal ein Update oder einen neuen Router installieren, ohne an der unverständlichen Anleitung voller Fachidiotenausdrücke und 25 Fehlermeldungen zu verzweifeln und einen Computerfachmann kommen zu lassen. Ist das technischer Fortschritt? Das ist Mist.

    Herzlich, Katja

Leave A Comment

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.