M i MAs Kladden: Einmal um die Welt bis nach Potsdam. Oder: Das Leben einer Weltenbummlerin

12. Dezember 2013

In meiner kleinen Umfrage (vielen, vielen Dank schon mal bis hier fürs viele Mitmachen!) haben einige von euch geschrieben, dass sie gerne mehr über spannende Menschen, Lebens- und Arbeitsmodelle lesen würden. Das hat mir gut gefallen. Es ist so bereichernd, andere Lebensentwürfe, -modelle und -weisen kennen zu lernen. Darum greife ich diese Anregung gerne auf, und eröffne hiermit eine neue Rubrik. Unter dem Titel ‚M i MAs Kladden‘ erzähle ich fortan über Menschen und ihre Lebenswege (hat jemand von euch Lust und Zeit ein Logo für die neue Rubrik zu entwerfen?).

Den Namen ‚Kladden‘ habe ich in Anlehnung an eine Passage aus Milan Kunderas Buch ‚Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins‘ gewählt. Darin heißt es: ‚Es ist unmöglich zu überprüfen, welche Entscheidung die richtige ist, weil es keine Vergleiche gibt. Man erlebt alles unmittelbar, zum ersten Mal und ohne Vorbereitung. Wie ein Schauspieler, der auf die Bühne kommt, ohne vorher je geprobt zu haben. … Aus diesem Grund gleicht das Leben immer einer Skizze. Auch „Skizze“ ist nicht das richtige Wort, weil Skizze immer ein Entwurf zu etwas ist, die Vorbereitung eines Bildes, während die Skizze unseres Lebens eine Skizze von nichts ist, ein Entwurf ohne Bild.‘ Eine Kladde ist ein vorläufiger Entwurf oder ein Schmierbuch, und kommt dem, was für Kundera das Leben ist, vielleicht sehr nah. Den erste bildlosen Entwurf zeichnet Laura Moustacakis.

Laura lebt seit kurzem mit ihrer Familie in Potsdam; sie ist 40 Jahre alt und in Paris aufgewachsen. Studiert hat sie Germanistik und – nach einem kurzen Intermezzo als Deutsch-Lehrerin – Modedesign an der Esmod in Paris. Im Anschluss an das Studium hat sie für verschiedene kleine Modedesigner/innen in Paris und im Ausland gearbeitet und eigene Kollektionen entworfen. Dann folgte eine lange Pause. Vor rund einem Jahr hat sie ihr eigenes Modelabel ins Leben gerufen: Colchik. Es ist französisch und bedeutet Herbstzeitlose. Die Herbstblume, findet Laura, passt einfach zu ihrem Stil und zum Konzept. ‚Meine Kollektion ist zeitlos, modern und ein bisschen nostalgisch. Zeitlos ist fast das Gegenteil von Mode und das gefällt mir: Ich will keine Mode machen, ich will Kleidungsstücke entwerfen, die man (fast) ein ganzes Leben lang tragen kann.‘ Über Colchik habe ich Laura kennen gelernt und von ihrem so ungewöhnlichen wie schönen Leben erfahren.
Lauras Mutter ist gebürtige Hamburgerin. Jedes Jahr fuhr sie mit ihren Kindern am 25. Dezember mit dem Nachtzug in die Hansestadt – ein Ritual, das sich in Lauras Erinnerung eingebrannt hat: ‚Es gehört zu den allerwichtigsten Momenten meiner Kindheit. Und bis heute habe ich eine sehr starke Beziehung zu der Stadt.‘ Ihr Nachname – Moustacakis – ist griechisch und stammt von ihrem Mann. Seine Großeltern waren Griechen aus der Türkei. Doch nicht nur ihr Name und ihre Vorfahren stammen aus aller Herren Länder; auch Lauras Lebensweg führt quer durch die Welt. Sie und ihr Mann haben zwei Jahre in Syrien und drei im Libanon gelebt. Ihr Mann unterrichtete dort als Lehrer an französischen Gymnasien, während Laura eigene Kollektionen entwarf und bei einer expandierenden Bekleidungsfirma arbeitete. ‚Für meine eigenen Kollektionen habe ich mit armenischen Frauen gearbeitet, die sehr schöne Sachen für mich gestickt haben. In Syrien habe ich u.a. bei einer Konfektionsfirma gearbeitet, die sich nach Europa wagen wollte – es war sehr interessant!‘ Nach den fünf Jahren sind die beiden nach Frankreich zurückgekehrt und lebten einige Jahre in Arles, bevor sie sich im Mai 2011 mit ihren mittlerweile drei kleinen Kindern für 18 Monate auf Weltreise begaben.

Ihr Weg führte sie von Aserbaidschan über Bulgarien, China, Estland, Finnland, Griechenland, Indien, Israel, Kasachstan, Lettland bis nach Russland, in die Ukraine und die Türkei – um nur einige ihrer Stationen aufzuzählen (auf ihrem französischsprachigen Blog bringmichwegvonhier könnt ihr ihre Route nachzeichnen). Der Auslöser war eine Weltkarte und eine Japanreise, die sie nie unternommen haben. ‚Wir hatten‘, erzählt Laura, ‚gegenüber unseres Betts eine grosse Weltkarte für die Kinder aufgeklebt. Sie hing direkt vor den Augen. Eines Abends fragte ich meinem Mann, ob wir nicht einfach nach Japan fahren wollten. Freunde von uns lebten damals dort. Wir sind am Ende nicht bis nach Japan gefahren, aber die Idee unserer großen Reise ist so entstanden! Ich war 38 als es losging und natürlich war mein Mann immer dabei! Wir sind ja unzertrennlich und ein geübtes Team!‘

Es war – so scheint es, wenn man Lauras Erzählungen lauscht oder ihren Blog liest (die ich leider kaum verstehe, da sie französisch schreibt, aber die Bilder sprechen für sich) – eine gute, intensive Zeit. 18 Monate hat die fünfköpfige Familie in einem ausgebauten Kastenwagen gelebt: ‚Unser kleines Zuhause war schön dekoriert und gemütlich, wir konnten unser eigenes Essen kochen und uns zurückziehen, wenn wir das Bedürfnis hatten.‘ Und sie waren mobil, konnten jeden Tag weiterreisen, ganz so wie sie es sich gewünscht hatten: ‚Ständig unterwegs sein, das war unser Wunsch. Nur hier und da haben wir ein paar Tage lang Pause gemacht. Gearbeitet haben wir nicht, nur an unserem Blog!‘ 
Sein vorläufiges Ende fand die Weltenbummlerei vor gut einem Jahr in Potsdam. Die Brandenburgische Hauptstadt ist für Laura gerade nah genug an und weit genug von Berlin entfernt. Nah genug, weil Laura vor langer Zeit für mehrere Jahre in der heutigen Hauptstadt gelebt hat und an Erfahrungen anknüpfen kann. Und weit genug, weil das heutige Berlin nicht der Ort ist, an dem sie mit drei kleinen Kindern leben möchte: ‚Berlin hat sich sehr verändert, nicht immer zu meinem Geschmack, es ist auch viel voller geworden. Mit Kindern fanden wir es in Potsdam schöner, vor allem wegen der Natur. Wir wohnen direkt gegenüber vom Babelsberger Park – und sind da so glücklich! Hier ist es ein bisschen wilder, im Winter ganz verlassen. Das gefällt mir!

Ob sie bleiben werden? Darüber wird Lauras Bauch zu gegebener Zeit entscheiden, der ihr sehr genau anzeigt, ob es richtig ist, wie und wo sie lebt. Im Moment gefällt es ihr dort, auch wenn das Fernweh sie manchmal befällt: ‚Tief in mir drin spüre ich die Lust, wieder ganz weit weg zu sein. Ja, es ist dieses Ganz-weit-weg-sein-von-allem-bekannten-Gefühlen, was ich so mag! Auf Reisen ist alles anders, unmittelbarer. Selbst der Körper fühlt  anders an: so präsent, so da.‘ Doch es hat auch seine Kehrseiten und sie genießt viele Dinge, die sie auf Reisen vermisst hat: ein echtes Zuhause, ein Kinderzimmer, Bücher, ein Klavier, regelmäßige Besuche von Freunden, einen geregelten Alltag – und die Möglichkeit, sich hin und wieder einfach mal gehen zu lassen. Denn auf Reisen, sagt Laura, müsse man sehr stark sein. ‚Man kann sich nicht gehen lassen, denn man muss immer wachsam sein. Das braucht Kraft. Und die hat man vielleicht nur einmal im Leben.‘
In ihrem neuen, sesshaften Leben spielt Lauras kleines Modelabel eine wichtige Rolle: Noch lebt die Familie von ihren Rücklagen. Wenn die aufgezerrt sind, muss Colchik so groß geworden sein, dass es sie finanziell trägt. Ob und wie das gelingt, weiß sie nicht, doch sie vertraut auf das Leben: ‚Es ist alles so neu – eine spannende Zeit für uns, die Zukunft ist offen, wir müssen viel Vertrauen haben!‘ Einen entscheidenden Schritt ist Laura im November gegangen: Sie hat einen kleinen Laden mit Werkstatt eröffnet. Nun hofft sie, dass ‚viele neue Leute vorbeikommen und sich für meinen Stil interessieren…‘ Die Kleider sollen dabei nur eine Sparte im Portfolio sein; Laura denkt schon weiter: ‚Mein Wunsch ist es, eine Sortiment schlichter, schöner Kleidungsstücke zu entwerfen, die eine Art Basis-Garderobe bilden. Dann würde ich gern auch eine Linie von Küchensachen und sogar von Möbeln entwickeln, die dazu passen… um, die Welt ein bisschen schöner und schlichter zu machen!‘
Ich bewundere Laura für ihre Zuversicht und das Vertrauen auf das Leben – und ich wünsche ihr und ihrer Familie von ganzem Herzen, dass es sich in ihrem Sinne fügt.


12 Comments

  • 10 Jahren ago

    Schöne Rubrik. Und gleich das erste Porträt so spannend. Ich finde auch, dass wohl eine große Portion Mut und viel Zuversicht zu einem solchen Leben gehört. Ich bewundere das sehr und überlege wie es sein könnte mit drei kleinen Kindern um die Welt zu reisen.

    Viele Grüße
    Mareike

  • 10 Jahren ago

    Wie schön, dass euch die neue Rubrik gefällt! 😀

  • 10 Jahren ago

    wie sehR ein paaR woRtReihen die mimik beeinflussen können …. so sitze ich hieR stRahlend. die lebensfReude schwappt übeR. und das gute …. am bauchgefühl.
    meRci indRe …. ich fReue mich auf alles was noch kommt.
    heRzlich. käthe.

  • 10 Jahren ago

    schön, deine neue rubrik. sie macht mut!

  • 10 Jahren ago

    Super interessantes und mutiges Lebensmodell! Was für eine große Schule die Welt für Kinder sein kann… ***liebst, die lisa

  • 10 Jahren ago

    <3 so schön. Danke Indre. <3

  • 10 Jahren ago

    Liebe Indre, danke.
    Vom Kundera-Zitat angefangen aus meinem liebsten Buch (alleine dieser Titel!) bis zum Interview. So schön, so bewegend, so nachdenklich machend, so MIMA.

  • 10 Jahren ago

    Wow, wie aufregend! Habe versucht mir vorzustellen, wie man mit drei Kindern durch die Welt reist, dass muss wirklich ein sehr gutes Team sein und sie haben meine volle Bewunderung! Vielen Dank für dieses interesante Portrait. Schöne Grüße, Wiebke

  • 10 Jahren ago

    wunderschön und ich habe "bringmichvonhierweg" schon einmal vor einiger zeit entdeckt und war hin und weg von den bilder (spreche auch kaum französich)…schön sie hier wieder zu sehen. schön dass es menschen mit träumen gibt und dem mut sie zu verfolgen;)
    danke für diese tolle neue rubrik!
    sarah

  • 10 Jahren ago

    Sympathisch, mutig, schön.
    Und auf den bauch hören, mehr, das hab ich mir fest vorgenommen.

  • 10 Jahren ago

    Danke für dieses wunderbare Portrait….und die Bilder sind einfach nur zauberhaft…LG Lotta.

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