In Bowies Radspuren VI: Von alten Büchern, billigem Bier, gutem Kaffee und moderner Kunst

18. Februar 2015
Vorm P103 in der Potsdamer Straße 103

Die letzte Etappe meiner Radtour auf bzw. in Bowies Spuren liegt schon eine Weile zurück. Irgendwann bin ich irgendwo zwischen Leben 1.0 und Leben 2.0, Besetzergeschichte und Lustkaufhaus steckengeblieben, und manchmal habe ich schon gedacht: Ich lass es einfach. Aber so eine unabgeschlossene Serie ist nicht schön. Und außerdem ist sie Teil meines Abschieds von Schöneberg – nur noch wenige Wochen werde die Strecke vom Kleistpark von bis zum Potsdamer Platz fahren. Also habe ich mich aufgerafft, und dann hat es  sogar wieder Spaß gemacht. Ich hoffe, der ein oder die andere von euch hat (noch) Lust, mich den letzten Kilometer zu begleiten.

Die heutige Tour beginnt an der Bülowstraße und endet an der Pohlstraße. Das sind gerade Mal 350 Meter. Doch die haben es in sich – kulturell wie kulinarisch.
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Musik und Literatur, Kunst und Kaffee haben wie das Vergnügen, die Kriminalität und der Straßenstrich seit jeher ihren festen Platz  in der Potsdamer Straße, auch wenn sie im Lärm der Polizeisirenen, der Häuser- und der Bandenkämpfe zuweilen untergingen. So etwa zu Bowies Berlinzeiten als Prostitution und Drogenhandel die Straße dominierten. Doch zwischen und hinter den Puffs, den Stripp- und Rotlicht-Bars, den Absteigen und Stundenhotels wurden damals wie heute Bücher verkauft und gemacht, Ausstellungen und Konzerte organisiert oder bei Bier, Kaffee und Wein heftig debattiert.
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Wolfgang Staschen in seinem gleichnamigen Antiquariat | Bildquelle

Eine der festen ‚Kulturinstitutionen‘ der Potsdamer Straße war das Antiquariat Staschen. 35 Jahre war es in der Nummer 138 beheimatet, gleich hinter dem Finanzamt Ecke Bülowstraße in unmittelbarer Nachbarschaft zum ‚Berliner Bratwunder‘. 1978 war der gelernte Buchhändler und erfolgreiche Imbissbesitzer Wolfgang Staschen aus der Bülowstraße in die großzügigen Ladenräume gezogen, wo er – allen Widrigkeiten zum Trotz (Ladensterben, Gewalt, Umsatzeinbußen etc.) – bis zu seinem Tod im Jahr 2013 blieb.

Ob Bowie den Laden je betreten hat, ist nicht überliefert. Wohl aber dass der politische Querkopf Staschen ein Berliner Original und ein passionierter Redner war. Mit seinen nicht-enden wollenden Monologen hat schon mal den einen oder die andere Besucher/in in die Flucht geschlagen, wie es seinem Nachruf heißt: ‚Mancher Antiquariatsbesucher, der eigentlich nur mal kurz was fragen wollte, wird langsam unruhig, schaut heimlich auf die Uhr, wartet auf eine Lücke im Gedankenstrom, breit genug für ein „Ich muss dann mal …“. Oder bis die Türklingel den nächsten Kunden ankündigt, auf den nun der Monolog des Antiquars umgelenkt wird.‘ Heute findet man hier weder Bücher noch muss man sich vor hereinbrechenden Gedankenfluten fürchten. Ein Reisebüro hat sich hier 2014 niedergelassen. Vorerst.

Die nächsten Straßenmeter erzählen eher von Alltags- denn von Hochkultur. Bis zur Kurfürstenstraße säumen gesichtslose Wohn- und Geschäftshäuser aus den 1960er bis 80er Jahren den Weg. Allein die Ladengeschäfte verleihen dem Abschnitt ein wenig Glanz: Glitzer-Mode ab 5 Euro, Fernreisen in exotische Länder, Gesichtsbehandlungen in schillernder Reklameschrift, Bling-Bling-Läden und bunte Gemüsestände. Doch hinterm U-Bahnhof Kurfürstenstraße wandelt sich schlagartig das Bild. Bis zur Pohlstraße zeigt sich die Potsdamer Straße in altem Glanz: herrschaftliche Altbauten statt neugebauter Tristesse. In den 1970er Jahren sahen viele von ihnen freilich eher elend aus – Berlin war noch im Abrisswahn und überließ die Gründerzeitbauten ihrem Schicksal, der Witterung oder dem Vorschlaghammer. Ihre einstige Schönheit aber konnte dem wachsamen Blick auch damals nicht verborgen bleiben. Wie etwa die der Nummer 116.

Architekt Rudolph Zahn entwarf das noble Wohn- und Geschäftshauses 1905/1906 im palladianischen Stil eines niederländischen Stadtpalais und zog selbst mit seinem Atelier in die obere Etage – fast zeitgleich mit der damals sechsjährigen Marlene Dietrich, die hier ein Jahr (1907) mit ihrer Familie lebte. In das Erdgeschoss samt Seitenflügeln, Quergebäude und zwei Gartenhöfen hatte sich das Großraumrestaurant ‚Zum Fürsten Bülow‚ eingemietet. Wie lang es dort blieb und was ihm folgte, ist (mir) nicht bekannt. Anfang der 1980er Jahre zog die Fleischerei Storaske ein, deren Geschichte bis weit ins Kaiserreich zurückreicht. 1862 wurde das Berliner Traditionsunternehmen erstmals urkundlich erwähnt und machte zunächst als Kaiserlicher und Königlicher Hoflieferant Karriere bis Fleischermeister Otto Storaske das Geschäft 1973 nach verschiedenen Inhaberwechseln übernahm.

Vier Häuser weiter, in der schmuck- und dekorationsbefreiten Nummer 112, trotzt seit 1989 Puschels Pub nicht nur dem Zeitgeist, sondern auch der Wertentwicklung des Geldes. Die Preise in der Fan-Schal-verzierten Fußball- und Tresenbar scheinen seit Gründung kaum gestiegen. Für einen Pastis und ein Bier habe ich nicht mehr als 5,50 Euro bezahlt – Trinkgeld inklusive. Es ist verraucht hier, und so ganz und gar nicht ‚hipp‘. Das könnte ein Grund dafür sein, dass Fred Eichhorns (genannt Puschel) Lokal –  anders als Preise, Name und Ambiente vielleicht vermuten lassen – nicht nur von Fußballfans und einsamen Wölfen frequentiert wird. Auch die kultur- und medienschaffende Nachbarschaft, der ein oder die andere Kunstkenner/in und so manche/r Tourist/in genießen den herzlich-rauen Charme, den Puschel seinem Pub seit mehr als 25 Jahren verleiht. Auch ich kann einen Besuch empfehlen. Wem der Rauch irgendwann zu sehr in den Augen brennt, wechselt einfach die Straßenseite.
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Direkt gegenüber, im Haus Nummer 103, befindet sich der P103 Mischkonzern, eine Mischung aus Kaffeehaus, Galerie und Veranstaltungsort (daher der Name ‚Mischkonzern‘). Zu Bowies Zeiten saß hier noch die traditionsreiche Fachbuchhandlung für Wirtschaft, Recht und Steuern Struppe & Winckler. 1890 gegründet bezog sie 1904 bezog die herrschaftlichen Räume in der Potsdamer Straße, den sie exakt 100 Jahre verließ. Das so kostbare wie schöne denkmalgeschützte Inventar hinterließ sie dem Zufall, der nichts Besseres zu tun wusste, als ihn zu plündern. Ein Glück, haben sich Engür Sastimdur und seine zwei Freunde Mohsen und Mehran des Ladengeschäfts angenommen, um hier ihren Traum zu realisieren. Nach intensiver Konzeptions- und Sanierungsphase eröffneten sie am 20. September 2013 das Galeriecafé. In den originalgetreu renovierten Räumen mit liebevoll zusammengetragenen Einzelstücken wollen die drei Freunde an die Berliner Kaffeehauskultur der 1920er Jahre anknüpfen und sie in die Jetztzeit transferieren. Das ist ihnen gelungen. Nach nicht mal zwei Jahren hat sich das P103 als Kulturinstitution der Potsdamer Straße etabliert. Im März 2014 habe ich übrigens ausführlich über das P103 und seinen Initiator Engür Stastimur geschrieben.

Die letzte Station heute liegt an der Ecke Potsdamer/Pohlstraße hinter Puschels Pub, der Eisdiele Dolche Fredo und einem der zahlreichen Tele-Internet-Cafés: Das Queen of Muffins (Nr. 112) ist klein und lädt – im Unterschied zum gegenüberliegenden P103 – eher zum schnellen Genuss als zum dauerhaften Verweilen ein. Schon am frühen Morgen trifft man hier Tourist/innen aus den umliegenden Hotels und Leute aus der Nachbarschaft, die sich mit Kaffee und Muffins für den Tag wappnen.
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Im ‚Queen of Muffin‘

Statt die heutige Route im Queen of Muffins ausklingen zu lassen, will ich noch einen Abstecher in die Pohlstraße machen. Die Straße, in der Samuel Fischer 1886 seinen gleichnamigen Verlag gründete (damals hieß sie noch Steglitzer Straße) und die über viele Jahre eine Art Dornröschenschlaf hielt, ist in den letzten Jahren zur Galerien-Meile mutiert: cubus-m zeigt Kunst, die in die Wahrnehmung gräbt. Die international ausgerichtete Galerie Gilla Lörcher präsentiert Konzeptkunst aus den Bereichen Installation, neue Medien und Malerei. Die Galerie Kuhn und Partner will ihre Besucher/innen ohne viel Vorwissen zum Staunen und Nachdenken anregen, während die Galerie Tanja Wagner junge Künstler/innen mit starken Positionen zeigt.

Zum Verdauen der künstlerisch-ästhetisch anspruchsvollen ‚Kost‘ kann ich abschließend einen Besuch ins Les Climats (Pohlstraße 75) empfehlen. Dort wo einst die Kneipe Lila Eule und die Spielhölle No Limit die Lizenz zum Absturz vergaben, lädt seit 2011 der ausgebildete Radiosprecher und passionierte Weinhändler Roland Kretschmer zu Burgundwein und Bœuf Bourguignon ein. In diesem Sinne: Guten Appetit!
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Ort und Bild: Les Climats 

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