Foto (c) David Bank via Flickr |
Im Mittelpunkt des heutigen Tourenabschnitts steht nur ein Haus, das aber pars pro toto für die ganze Entwicklung der Potsdamer Straße seit den 1960er Jahren steht: das Wegert-Haus. Ich mag es sehr, dieses verschachtelte hellblaue Exemplar der späten Aufbruchsarchitektur. Es steht in der Potsdamer Straße 124-126/Ecke Kurfürstenstraße, mitten im heutigen Zentrum der Prostitution und bietet im heruntergekommenen Ambiente Diverses für ‚Liebe, Sex und Träume‘.
Als Bowie auf seinem Raleigh an dem Gebäude vorbei radelt, sitzt hier noch stolz die 1930 gegründete Firma Wegert. Das Berliner Traditionsunternehmen hat sich in den Nachkriegsjahren zum Marktführer für Elektronik- und Fotografie-Bedarf gemausert: 1968 besitzt es 20 Filialen in der halben Stadt. Das zur selben Zeit erbaute Firmengebäude soll die regionale Vormachtstellung und den Wachstumswillen des Unternehmens widerspiegeln. Das tut es damals auch. Zwischen großen Baulücken verfallenden Altbauten strahlt es Modernität und aufwärtsstrebende Größe aus. Heute hingegen, wo die Baulücken geschlossen und die Altbauten schäbigen Wohnanlagen, hässlichen Parkplätzen, Billig- und Gemüseläden gewichen sind, erzählt das Haus vom Abstieg einer Geschäftsstraße und die Umwälzungen einer ganzen Branche.
Entwurf des Wegert-Hauses von 1965 | Foto via V Like Vintage |
Die Firma Wegert steht wie keine zweite für den Wandel der Foto- und Elektronikbranche. Seit Ende der 1960er Jahre baut das Unternehmen seine Marktführerschaft in der halben Stadt durch Zu- und Ankäufe immer weiter aus. 1988 erwirbt Wegert die Namensrechte an der ProMarkt-Kette – der ein oder die andere erinnert sich vielleicht an das schwarzgelbe Logo – und unternimmt in Berlin, was Saturn und MediaMarkt bereits Ende der 1970er Jahre in Westdeutschland begonnen haben: dem Ausbau großflächiger Elektromärkte, die heute aus keinem Stadtbild mehr wegzudenken sind. Der Expansionskurs der Wegert-Brüder bleibt auch nach dem Mauerfall ungebrochen: 1991 kaufen sie 44 HO-Läden im Berliner Osten auf, um ihr Discount-Imperium weiter auszubauen. Im Erfolgsrausch wollen sie das alte Wegert-Haus in der Potsdamer Straße abreißen und an seiner Stelle einen 16-stöckigen Neubau errichten lassen. Die Pläne existieren seit 1993, doch für die grüne Baustadträtin Sybille Richter ‚geht das auf gar keinen Fall‚. Die wirtschaftliche Entwicklung des Unternehmen tangiert das zunächst wenig: 1997 gehören über 100 Foto-Radio-Wegert-Filialen und 22 ProMärkte zur Wegert-Gruppe. 1999 findet die deutschlandweite Expansion unter dem neuen Namen MarkoMarkt statt. Im Jubiläumsjahr 2000 feiert sich das Unternehmen noch als Arbeitgeber von 3.000 Angestellten und einem der größten Foto-Technikanbieter. Doch das Ende naht.
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Gegenüber der übermächtigen Media-Saturn-Konkurrenz kann sich die Wegert-Gruppe nicht behaupten. Nach weiteren Übernahmen, An- und Verkäufen von Firmenanteilen meldet Wegert 2005 Insolvenz an und versucht mit einem stark minimierten ProMarkt den Neustart. Doch alle Versuche, das Unternehmen neu aufzustellen, scheitern. 2009 steht das Berliner Unternehmen endgültig vor dem Aus.
Das Technik-Center in Potsdamer-/Ecke Kurfürstendamm wurde bereits am 15. Dezember 2002 geschlossen, nachdem der Bezirk das von 16 auf acht Stockwerke reduzierte Bauvorhaben vereitelte. Damit reiht sich Wegert in die Geschichte des großen Ladensterbens in der Potsdamer Straße.
Seit ich in Schöneberg lebe, befindet sich im ehemaligen Wegert-Haus das Erotikkaufhaus ‘LSD – Love, Sex and Dreams’. 2007 sollte es zum Laufbordell mit 40 Zimmern umgestaltet werden. Ich erinnere mich noch gut an die Schlagzeilen und das große Unbehagen. Die Nachbarschaft hat sich vehement zur Wehr gesetzt – und schließlich einen Sieg errungen: Das ‘Laufhaus‘ wurde nicht gebaut. So wirbt das ehemalige Fotografie- und Technik-Center bis heute in lila Lettern für ‘Liebe, Sex und Träume‘ und sieht dabei immer schäbiger aus. Vielleicht erlebt es noch einmal bessere Zeiten in den wiedererblühenden Kulturlandschaften der Potsdamer Straße, um die es nächstes Mal geht.
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Danke für den schöne Artikel. Ich bin mit Foto Radio Wegert aufgewachsen in den 80ern. Als dann noch irgendwann CityMusic einzog, war das schon unglaublich cool. Meine Freunde in Charlottenburg beneideten mich auf einmal um unsere Wohnung in der Nähe der Kurfürstenstraße. Dort war auch der Döner am billigsten. Auf 100 Meter gab es drei Dönerstände. Zur 750 Jahrfeier machte einer von Ihnen Werbung wie folgt: 750 Jahre Berlin, wir feiern mit. Döner nur 1,79 DM. Das war Rekord in Berlin.