‚Ich erwarte nicht, dass andere das Unternehmen aufbauen, in dem ich gerne arbeiten würde.‘ Spätestens mit diesem Satz haben sie mich voll erwischt. Wann werde ich soweit sein zu sagen: ‚Ich fühle mich für mein Schaffen und meine Entwicklung selbst verantwortlich‘, und baue als Konsequenz mein eigenes Unternehmen auf? Werde ich jemals so weit sein? Ich weiß es nicht. Catharina Bruns und Sophie Pester sind schon lang so weit. Catharina beendete ihre ‚klassische‘ Karriere im Jahr 2009 und machte sich mit workisnotajob selbstständig. Sophie gründete 2010 hello handmade und beendete ihr Angestelltenleben ein Jahr später als kreative Partnerin von workisnotajob. Seither haben die zwei Designerinnen ein kleines Unternehmensuniversum geschaffen und revolutionieren ganz nebenbei die Arbeitswelt. Ich bin tief beeindruckt von so viel Leidenschaft und Konsequenz – und froh. Wir brauchen Menschen – vor allem auch Frauen! – wie Catharina und Sophie, die mit guten Ideen und ansteckender Zuversicht die Welt ein Stückchen besser machen.
In unserem Interview erfahrt ihr, wie und warum Arbeit und Leben für die beiden zusammenfallen, was sie antreibt, und was sie noch alles vorhaben. Ich sage Danke, Sophie und Catharina, für das inspirierende Gespräch und wünsche uns, vor allem aber den beiden ‚Pionierinnen der Arbeitswelt‘ weiterhin sprudelnde Ideen- und Energiequellen. In diesem Sinne eine beschwingten Start in die neue Woche!
‚Was Arbeit ist, entscheidest du!‘ So lautet der Untertitel eures jüngsten Projekts: dem Buch zum Unternehmen work is not a job. Wie habt ihr entschieden, was Arbeit für euch ist?
Indem wir uns von dem gängigen Karrierevorgaben gelöst und etwas eigenes ausgedacht haben. Wir beide haben das starke Bedürfnis etwas gestalten zu wollen und uns über unsere Arbeit auszudrücken. Arbeit ist ein wertvolles Gestaltungsmittel, nicht nur auf persönlicher, sondern auch auf gesellschaftlicher Ebene. Die Entscheidung Gestalter zu werden und zu lieben was man tut, kann übrigens jeder jederzeit treffen.
Ein anderer Satz aus dem Buch lautet: ‚Es gibt kein echtes Leben im falschen Job.‘ Wie sieht euer echtes Leben im richtigen Job konkret aus? Wo arbeitet und lebt ihr? Wie sieht ein typischer (Arbeits-)Tag bei euch aus?
Wir leben und arbeiten derzeit in Berlin und Chemnitz, einerseits in unserem Studio, wo wir uns unsere vielen Projekte und Unternehmen ausdenken und führen und andererseits an unserem Produktionsstandort, wo wir Räumlichkeiten in einer Textilfabrik haben und an der Produktion der supercraft Kits arbeiten. Leben und Arbeit sind nicht getrennt, einen typischen Arbeitstag gibt es eigentlich nicht. Das Schöne ist, dass man sich jeden Tag etwas ganz eigenes aufbaut, sich vollkommen verwirklichen kann und absolut selbstbestimmt ist.
Der von euch propagierte Arbeitsbegriff hebt die Trennung zwischen Arbeit und Leben auf. (Wie) Unterscheidet ihr zwischen Beruf- und Privatleben? Und gibt es ‚arbeitsfreie‘ Tage in eurer Woche?
In einem selbstbestimmten, gestalterischen Leben ergibt die Trennung einfach keinen Sinn. Man möchte Arbeit nur vom Leben trennen, weil man lieber etwas anderes tun will, oder nicht? Für uns ist Arbeit aber Lebensgestaltung – der herkömmliche Deal ‚Arbeitskraft gegen Geld‘ ließ die meisten vergessen, was Arbeit wirklich bedeutet. Wir leben einen anderen Deal. Einen, der es nicht mehr notwendig macht, das was man den ganzen Tag tut, vom Wochenende abzugrenzen. Dazu gehört auch die völlig freie Entscheidung Abstand vom Tagesgeschäft zu nehmen und sich treiben zu lassen. Jeder Kreative weiß, wie notwendig es ist, sich mal ‚raus‘ zu nehmen. Aber man sollte Freiheit nicht mit Freizeit verwechseln. Das tun in unserem Angestelltenstaat leider viele.
Grundsätzlich gilt euer Arbeitsbegriff für alle, die selbstbestimmt arbeiten und leben wollen. Aber kann auch jede/r so arbeiten und leben? Was braucht es neben Mut und Risikobereitschaft?
Natürlich kann das nicht jeder. Aber jeder der sich dazu entscheidet! Die Entscheidung für ein fremdbestimmtes, abhängiges Leben steht doch jedem offen, unser Bildungs- und Gesellschaftssystem erzieht uns geradezu dazu, nur nach der abhängigen Beschäftigung zu streben. Wir weisen mit unserer Arbeit auf die Möglichkeit hin, sich selbst auch als Gestalter zu begreifen und die Möglichkeiten zu nutzen – denn die sind heute so vielfältig, gangbar und risikolos wie noch nie. Keine von uns hatte bei der Entscheidung für die Selbstständigkeit übrigens das Gefühl besonders risikobereit gewesen zu sein. Das Risiko ist doch viel höher, wenn mein berufliches Schicksal nicht von mir selbst, sondern von einem Arbeitgeber abhängt, für den ich heute vielleicht nützlich, morgen vielleicht überflüssig bin.
Wenn ich es recht verstehe, so besteht eure Arbeit aus einer Vielzahl von Projekten bzw. ‚Geschäftsfeldern‘, die ihr allein (das Buch oder hello handmade) und/oder im Team (supercraft, Lemon Books und superwork) umsetzt. Wie habt ihr eure Arbeit konkret (rechtlich) organisiert? Und was sind die größten Herausforderungen bei der Organisation der ’neuen Arbeit‘ im deutschen Rechts- und Verwaltungssystem?
Deutschland macht es Pionieren der Arbeitswelt sicherlich nicht leicht, aber auch nicht unmöglich. Natürlich leben Behörden in einer anderen Zeit und das Steuersystem ist unnötig kompliziert, aber davon sollte sich niemand abhalten lassen. Es empfiehlt sich einen versierten Steuerberater und evtl. einen spezialisierten Anwalt im Boot zu haben, damit man im Paragrafendschungel nicht im Dunkeln tappt. Aber bitte, niemand verbietet es uns so zu leben und zu arbeiten, wie wir wollen. Und wenn wir nicht jetzt aktiv neue Modelle leben, bewegen sich weder Politik, noch existierende Unternehmen.
Wieso setzt ihr so viele Projekte um? Aus Leidenschaft, um euren Lebensunterhalt zu verdienen oder beides zusammen? Und ist das nicht verdammt viel Organisation?
Wir haben ein Motto und das ist: Schaffe die Dinge, die du selber gern im Angebot hättest. Sich selbstständig machen bedeutet auch sich zuständig zu machen. workisnotajob. ist entstanden weil Catharina sich einen neuen Deal mit der Arbeit gewünscht hat, hello handmade, weil Sophie einen ‚besseren‘ Handmade-Markt für Aussteller und Besucher haben wollte, supercraft ist entstanden weil wir Menschen den Zugang zur Handarbeit erleichtern und damit die Wertschätzung der eigenen Arbeit näherbringen wollen, superwork soll inspirieren und zeigen, ‚es geht, wir können auch anders‘ usw. …Die Leidenschaft und Überzeugung geht allem voraus, es reicht uns nicht irgendwo mitzuarbeiten, wir wollen selber etwas gestalten. Der finanzielle Aspekt ist als Antrieb zweitrangig, wenn auch selbstverständlich wichtig. Als UnternehmerIn muss man nicht nur von seinem Geschäftsmodell leben können, sondern auch in der Lage sein zu investieren. Neues zu schaffen und damit genug Geld zu verdienen geht am Besten, wenn man etwas tut, in dem man sich wiederfindet. Und dann ist die ‚Organisation‘ der eigenen Projekte auch nichts Ungeliebtes.
Im Sommer 2012 habt ihr supercraft gegründet – ein Unternehmen für Do-it-Yourself-Baukästen im Abo-Versand. Wie hat sich das Geschäft bisher entwickelt?
Sehr gut, supercraft erfreut inzwischen vieler Menschen und wir sind sehr zufrieden und haben noch viel vor.
D.I.Y. ist im Trend, und wird wie jeder Trend irgendwann abflauen. Damit wird ggf. auch die Nachfrage nach eurem supercraft-Kit abnehmen. Wie geht ihr damit um?
Trends kommen und gehen, es ist eine unternehmerische Stärke sich nicht auf Trends zu verlassen, sondern Angebote zu schaffen, die bleibende Bedürfnisse befriedigen. Handarbeiten ist sicher mehr Mainstream geworden, aber auf der anderen Seite strickt die BRIGITTE seit 60 Jahren. Der Mensch ist ein tätiges Wesen, er wird nicht aufhören schöne Dinge selber machen zu wollen.
Es klingt so leicht und schön und richtig, was ihr über die ’neue Arbeit‘ schreibt. Gibt es Schattenseiten und/oder Momente, in denen ihr – vielleicht auch nur für einen kurzen Moment – ein wenig sehnsüchtig an das Angestelltendasein denkt?
Nein. Die Annehmlichkeiten des Angestelltseins haben mir (Catharina) nie etwas bedeutet. Ich glaube nicht an die Sicherheiten und ich glaube nicht daran, dass ein ewig gleichbleibender Kompetenzbereich mich als Mensch irgendwie weiterbringt. Ich fühle mich für mein Schaffen und meine Entwicklung selbst verantwortlich. Ich erwarte nicht, dass andere das Unternehmen aufbauen, in dem ich gerne arbeiten würde.
Mit eurem Arbeits- und Lebensmodell steht ihr exemplarisch für das Arbeitsverständnis der so genannten Generation Y*, also der Menschen in eurem Alter. In der Unternehmenswelt wird erwartet, dass diese neue Arbeitsgeneration die Arbeitswelt insgesamt verändern wird. Wie schätzt ihr das ein?
Tatsächlich haben wir mit der vielbesagten ‚Generation Y‘ kaum etwas gemeinsam. Man kann dabei wohl kaum von einer Gründergeneration sprechen. Das heute junge, gut ausgebildete Menschen mehr Selbstbewusstsein haben und einen anderen Lebensstil, finde ich eigentlich selbstverständlich. Sie werden die Unternehmenswelt dann verändern, wenn sie selbst Unternehmen gründen, in denen es anders läuft als bisher.
*Als Generation Y bezeichnen Personalabteilungen, Soziologen und Journalisten die Generation der nach 1980 geborenen, die allmählich ins Berufsleben eintreten und mit neuen Erwartungen und Anforderungen die Arbeitswelt verändern. Dabei stehen Sinnhaftigkeit und Selbstverwirklichung im Mittelpunkt. Weitere Informationen siehe: Zeit.de, Spiegel.de, Tagessschau.de
Zum Schluss: Wie sieht eure Zukunft aus? Und auf welche neuen Projekte und Vorhaben dürfen wir gespannt sein?
In Kürze starten wir unsere Interview-Reihe superwork in der wir Menschen vorstellen, die auch eine neue Arbeitskultur leben und wir launchen Lemon Books. Eine Design-Plattform und Manufaktur für individualisierbare Notizhefte. Uns wird es nicht langweilig 🙂
ein großartiges mutmacherbuch mit so vielen gedanken, die ich selber schon so lange mit mir herumgetragen habe. es tut gut, sie schwarz auf weiß vor mir zu haben, doppelt auch deshalb, weil mir das sagt: hier ist etwas in bewegung gekommen, das zuversicht aufkeimen lässt; und es ist nicht alles bloß naive utopie.
angesichts der kommentare wuenschte mir, catharina wuerde sich hier nochmal aeussern. sie benennt viele der genannten (gegen)argumente und haelt dem leser hier und da den spiegel vor.
ich selbst habe mich beim lesen und in der auseinandersetzung mit dem gelesenen dabei ertappt, dass ich das sicherheitsdenken meines elternhauses noch weit in die selbstaendigkeit verschleppt habe … bis heute kann ich mich noch nicht vollstaendig davon frei machen.
aber die vorstellung – oder vielmehr das "sich-bewusstmachen" – dass es 100%ige sicherheit weder im angestellten-dasein, noch in der selbstaendigkeit gibt, beruhigt und bestaetigt mich darin meinen weg weiterhin selbst gestalten zu wollen.
zumal, das moechte ich noch anmerken, es in dem buch nicht ausschließlich um selbstaendigkeit im sinne des freiberuflers geht. es spricht nicht ausschließlich selbstaendig taetige (oder gruender) an, sondern eben auch angestellte. letztere werden hierbei nicht plump aufgefordert, den job an den nagel zu haengen, sondern sich die eigenen, dem job inherenten moeglichkeiten bewusst zu machen. selbstaendigkeit ist schließlich kein gluecksversprechen.
der moegliche eindruck, dass es sich um eine weitere luxus-gluecksformel fuer kreative handelt, wird beim lesen gluecklicherweise nicht bestaetigt. zumal formel bedeuten wuerde, dass sie fuer jeden von uns funktionieren muss. ein widerspruch in sich.
und wenn ich noch etwas einschieben darf zu dem was "anonym" zuvor beschrieb: "ich liebe meinen beruf inhaltlich" ist in meinen augen schon ein großes geschenk und ich hoffe, dass die negativen seiten nicht ueberhand gewinnen.
ich bin OP-Schwester auf der chirurgie und liebe meinen beruf inhaltlich. ich leide aber unter den strukturen der kliniken, ich habe in meinem berufsleben 4 kennen lernen können in D und in österreich. mit dieser unzufriedenheit muss ich leben oder mir einen anderen beruf suchen. umschulung mit 38 ist sicher möglich aber schwer, die zukunft wäre ungewiss. da ich alleinerziehe und meine tochter noch 9 jahre schule vor sich hat, ist finanzielle sicherheit wichtige priorität. soviel zum thema jeder hat es selbst in der hand. selbstverwirklichlung ist ein luxus.
Christine M.
Liebe Christine, danke, dass du dich hier zu Wort meldest. Ich glaube auch, dass es unter den von dir beschriebenen Umständen sehr schwer ist, sich "selbst zu verwirklichen". Vielleicht gelingt es in wenigen Ausnahmen und mit viel, viel Unterstützung. Aber es ist sicher eine Ausnahme. Ich wünsche dir, dass dir dein Beruf weiterhin so viel Freude macht, dass das Leiden an den Strukturen nicht zu groß wird. LG I.
Liebe Indre, ich habe nach meinem Besuch der hello handmade viel über die beiden gelesen und recherchiert und war und bin immer noch schwer beeindruckt. So selbstbestimmt arbeiten und leben zu können ist sicher für viele ein Traum, allerdings kann man den nur leben, wenn auch entsprechend Geld damit verdient wird.
Danke für das Interview, sehr inspirierend und interessant.
Ich finde es inspirierend zu sehen, was diese Frauen da für sich umsetzen. Mit Spannung und Begeisterung verfolge ich, wenn Menschen in meinem Umfeld eigene Projekte so umsetzen, dass daraus eine Lebensgrundlage wird.
Gleichzeitig stoßen mir Sätze wie "Die Entscheidung Gestalter zu werden und zu lieben was man tut, kann übrigens jeder jederzeit treffen." sauer auf.
Ja, es gibt Bereiche in denen eine Selbstständigkeit sinnvoll, fruchtbar und gut umsetzbar ist. Das sind dann sehr oft Berufe in kreativ-gestaltenden Bereichen, wie bei diesen jungen Frauen. Aber nicht jeder kann diese Entscheidung jederzeit treffen. Das muss ich hier nicht ausführen, jeder von uns weiß, dass viele Berufe/Branchen keine Selbstständigkeit erlauben, und dass nicht jede Lebenssituation diese Art des Handelns zulässt.
Momentan sehe ich in der Berufswelt gesellschaftlich zwei Strömungen: Die eine sagt "Liebe was du tust, und du stehst morgens gerne auf. Dann macht es auch nix, wenn du pro Woche 70 Stunden arbeitest". Die andere Denkweise sagt "Finde einen Job, mit dem du ohne Bauchweh leben kannst. Und sieh zu, dass er dir genug Zeit zum Leben lässt".
Letzteres klingt erstmal etwas leidenschaftsfrei und pragmatisch. Muss es aber nicht sein. So manche bewältigt ihre 38,5 Stunden im Büro ohne große Hingabe, und lebt kleine oder große Leidenschaft nach Feierabend und am WE aus.
Respekt! Die beiden strotzen ja nur so vor Energie und Ideen! Da wird man selbst gleich zum Denken, Planen, Organisieren und Umsetzen angeregt. Schön hier mal von meiner Heimatstadt Chemnitz zu lesen, in der es oft leider schwer ist ganz innovative Ideen umzusetzen.
Viele Grüße und einen sonnigen Montag!
Mareike
spannend und total motivierend. danke! 🙂
liebe indre! vielen dank für das interview!
das war ein guter start in die neue woche!