Ein Blick hinter Mariengold

30. Juni 2014
Maria hat es geschafft: Sie kann von ihrem selbstdesignten Traumjob gut leben. Die studierte Kommunikations- und Wirtschaftswissenschaftlerin entwirft und fertigt Puppen: liebevoll gestaltete, qualitativ hochwertige Stoffpuppen, die sie über ihre Online-Shops auf Etsy und dawanda vertreibt. Drei Dinge seien dafür wesentlich, antwortet die gebürtige Dresdnerin auf meine Frage, wie ihr das gelungen sei: ein gutes Produkt, Mut und Kommunikationstalent. All das hat sie – und noch viel mehr: Fantasie, Einfühlungsvermögen, Disziplin und Freiheitsliebe. In ihrem Atelier in ihrer Zehlendorfer Wohnung entwickelt sie gerade ein neues Produkt: eine Clownspuppe. Damit die wohl berühmteste aller Zirkusfiguren all das zum Ausdruck bringt, was Maria an ihr fasziniert, interpretiert sie den rotnasigen Tollpatsch noch einmal ganz neu. Ich bin gespannt auf das Ergebnis, und freue mich, heute einen Blick hinter Mariengold werfen zu können. 
Ich habe Maria mit Fragen gelöchert. Ihre Antworten sind klug und mit Bedacht gewählt. Sie machen nachdenklich und gleichzeitig froh. Genau das Richtige für einen guten Start in die neue Woche. Hab‘ vielen lieben Dank, Maria, und euch wünsche ich einen schönen Wochenbeginn.

Welche drei Attribute zeichnen dich besonders aus?

Das erste, was mir hier einfällt, ist „diszipliniert“. Das klingt erst mal ganz schön trocken, ich weiß. Diszipliniert zu sein bedeutet für mich, tief mit meinem eigenen Willen verbunden zu sein und den Weg meines Herzens aus einem inneren Freisein heraus und in Einklang mit den äußeren Umständen in meinem Leben zu gehen. Freiheit ist mir wichtig. Die größte Freiheit und das größte Glück ist für mich, meine Gestaltungskraft und Selbstwirksamkeit zu spüren. Was mich sonst noch auszeichnet? Als eher feine Seele kann ich mich gut in Menschen einfühlen und erspüre die Dinge eher, als dass ich sie vom Kopf her erfasse. Ich liebe das Spiel mit den Worten und gehe, wenn ich einmal Vertrauen gefasst habe, aufgeschlossen und mitteilsam auf Menschen zu.
Seit wann und wo und wie lebst du in Berlin?
Nach dem Abitur im Jahr 1999 bin ich mit 19 Jahren von meiner Heimatstadt Dresden nach Berlin gezogen, um an der Universität der Künste ein Studium der Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation zu absolvieren. Dort habe ich auch meinen Mann kennengelernt, kurz nach Abschluss des Studiums wurde unsere Tochter Leni geboren. Die ersten zehn Jahre habe ich im Stadtteil Prenzlauer Berg gelebt, zuerst in WGs, dann zusammen mit meiner Familie in zwei tollen Altbauwohnungen inklusive Holzdielenfußboden, Flügeltüren und Stuck an den Wänden, einmal sogar mit einem kleinen Garten. Trotzdem sind wir vor fünf Jahren an den Stadtrand nach Zehlendorf gezogen. Jetzt leben wir in einem schönen, kleinen Bullerbü-Kiez ganz in der Nähe vom Schlachtensee. Hier draußen gibt es einfach mehr Luft zum Atmen.
Was sind deine liebsten Orte in Berlin?
Hier in Zehlendorf natürlich der Schlachtensee. Ich gehe dort gern spazieren, am liebsten ganz früh morgens, beobachte den Lauf der Jahreszeiten und lasse meinen Gedanken freien Lauf. Ein anderer Kraftort ist für mich ich die Tempelhofer Freiheit mit dieser unglaublichen Weite mitten in der Großstadt. Ich mag die Stille, bin aber gern auch an lebendigen Orten und liebe es, einfach so herumzugehen und mir die Menschen und meine Stadt anzuschauen. In Punkto Handarbeit und Basteln sind meine liebsten Läden in Berlin das Garngeschäft Wollen in Friedrichshain, der Künstlerbedarfsladen Modulor in Kreuzberg und das Nähcafé Kinkibox, ebenfalls in Friedrichshain.
Du bist Puppengestalterin, Autorin und Kommunikationsfachfrau. Wie passt das zusammen?
Für mich gehören diese drei Tätigkeiten zusammen und vereinen sich zu meinem Traumberuf, für den ich bisher aber noch nicht die eine knackige und treffende Bezeichnung gefunden habe, die alle Aspekte vereint. Als Puppengestalterin entwerfe und stelle ich professionell handgemachte Puppen her. Diesen Beruf habe ich mir nach der Geburt meiner Tochter selbst angeeignet. Als Autorin schreibe ich DIY-E-Books mit Anleitungen zur Herstellung von Puppen und Puppenkleidung sowie einen viel gelesenen Blog über Puppen und Puppenmacherei, gespickt mit kleinen Geschichten aus meiner Werkstatt und meinem Leben. Das Schreiben geht mir leicht von der Hand und ist meine größte Leidenschaft, größer noch als die Puppen. Mit der Kommunikationsfachfrau schließt sich der Kreis zu meinem Studium, mit dem ich lange Zeit gehadert habe, denn ich im Grunde meines Herzens hätte ich viel lieber etwas anderes studiert, Fotografie zum Beispiel oder Theaterdramaturgie.
Nachdem ich aber im Jahr 2008 mein Label gründete hatte, wurde mir schnell klar, dass die Kenntnisse aus meinem Studium sehr nützlich dabei waren, Mariengold bekannt zu machen, meine Puppen zu vermarkten und meine Arbeit nachhaltig zu entwickeln. Das ist eine der wichtigsten Erfahrung in meinem Leben: Dass alles einen Sinn macht, selbst die Dinge, von denen ich lange geglaubt hatte, dass sie eigentlich gar nicht so recht in mein Leben passen.
Wie bist du zum Puppenmachen gekommen?
Diese Frage bekomme ich ganz oft gestellt, auf meiner Internetseite beantworte ich sie so: Ich hatte eigentlich nie einen bestimmten Berufswunsch, habe mich aber immer für Gestaltung interessiert und wollte vor allem frei arbeiten. Nach meinem Studium an der Universität der Künste habe ich mich viel mit textilem Design beschäftigt und verschiedene Dinge ausprobiert. Mein Fokus lag immer auf einem Konzept für meine berufliche Selbständigkeit, in der ich all meine Interessen und Fähigkeiten ausleben könnte. Für die Puppen habe ich mich dann ganz bewusst entschieden. Ich wollte ein Produkt herstellen, das vielseitig und zeitlos ist und für das es immer eine Nachfrage gibt. Danach ging alles ganz schnell, ein paar Wochen später verkaufte ich die ersten Puppen, nach einigen Monaten gab ich den ersten Kurs und so ging es immer weiter. Und hier bin ich jetzt, glücklich mit Mariengold, immer noch voller Ideen und Träume und neugierig auf die Zukunft.
Seit etwa drei Jahren ist dein Label so erfolgreich, dass du gut von deiner Arbeit leben kannst. Was genau heißt „gut leben“ für dich? Und was ist dein „Erfolgsrezept“?
Eine sehr interessante Frage, liebe Indre, über die ich in diesem Interview am längsten nachgedacht habe! Gut von meiner Arbeit leben zu können, bedeutet zuerst einmal, dass ich so viel Geld verdiene, wie mir meine Tätigkeit Wert ist, und dass ich damit mein Leben finanzieren kann, angefangen von den grundlegenden Dingen wie Miete und Lebensmitteln über den Milchkaffee beim Stadtbummel und dem Paar Sandalen, die ich zwar nicht unbedingt brauche, aber so hübsch finde, bis hin zu größeren Ausgaben wie zuletzt meinen Führerschein. Bezogen auf meine berufliche Selbständigkeit heißt das auch, dass ich für das Alter vorsorgen und Geld für Investitionen in mein Label sowie für Urlaub und Krankheit zurücklegen kann. Gut zu leben bedeutet aber noch viel mehr: Neben der Arbeit Zeit und Energie zu haben für meine Familie und meine Freunde, auch für mich selbst, ein glückliches und erfülltes Leben zu führen, hoffnungsfroh und neugierig in die Zukunft zu schauen, mich selbst und mein Leben zu mögen. Und das tue ich. Vieles von dem, was ich mir zu Beginn meiner Berufstätigkeit erträumt habe, ist Wirklichkeit geworden oder auf einem guten Weg dahin.
Was mein Erfolgsrezept ist? Ich glaube, zwei Dinge sind ganz wichtig: Zuallererst ein gutes Produkt. Bei mir sind das schöne, stabile Puppen aus natürlichen Materialien plus dazu passende Angebote wie DIY-Anleitungen und Puppennähkurse. Und dann brauchte es Mut und ein gutes Händchen, die Welt da draußen mit der eigenen Arbeit bekannt zu machen und diese zu verkaufen. Was das angeht, bemühe ich mich um eine stimmige, persönliche und ansprechend gestaltete Kommunikation, mein Blog spielt dabei sicher eine große Rolle. Wichtig für den Erfolg von Mariengold waren ganz bestimmt auch die grundsätzliche Entscheidung, Dinge, die andere viel besser können als ich, in die Hände von Profis zu legen (z. B. Grafik-Design, Buchhaltung, rechtliche Fragen, Übersetzungen), die Einstellung einer Mitarbeiterin vor bald vier Jahren sowie die kontinuierliche Investition in Business-Coachings.
Das Allerwichtigste aber ist, mit Freude dabei zu sein und diese Freude der ganzen Welt zu zeigen. Das steckt an!
Welche Rolle spielen die sog. Sozialen Medien für dich und dein Unternehmen?
Keine so große, ehrlich gesagt. Weder privat noch mit Mariengold bin ich bei sozialen Medien wie Facebook, Twitter oder Instagram zu finden. Das hat vor allem etwas mit meiner Zeit zu tun, die ich lieber im echten Leben verbringe, wo ich doch für meine Arbeit schon so viel am Rechner sitze und im Internet unterwegs bin. Außerdem stehe ich insbesondere Facebook in Hinblick auf den Datenschutz kritisch gegenüber. Zur Zeit brauche ich die sozialen Medien nicht unbedingt für meine Arbeit. Indirekt profitiere ich aber doch von ihnen, denn meine Kunden und Fans unterhalten sich auf diesem Weg über Mariengold, was dazu beiträgt, dass mein Label vor allem im Ausland so bekannt und beliebt ist.
„… Wir entwickeln uns mit dem Internet und umgekehrt“, hast du (mir) geschrieben. Wie genau erlebst du diesen wechselseitigen Entwicklungsprozess?
Auch wenn es manchmal schwerfällt zu glauben, so wird das Internet doch von Menschen für Menschen gemacht. Das ist zumindest meine Einstellung und die hilft mir auch, das Internet gut für mich zu nutzen. Das Internet ist eine wunderbare, unerschöpfliche Quelle der Inspiration, es bringt Menschen überall auf der Welt miteinander in Kontakt und erschafft einen riesengroßen, globalen Marktplatz für alle möglichen verrückten, schönen, liebenswerten, witzigen und nützlichen Ideen und Produkte. Durch die verbindenden Kraft des Internets haben wir unendlich viele Möglichkeiten, die Welt ein Stück besser zu machen. Ich glaube, das kann vor allem durch eine bewusste und verantwortungsvolle Gestaltung der vielfältigen Beziehungen gelingen, die wir über das Internet eingehen, seien es Freundschaften, Einkäufe, gemeinsame Projekte, was auch immer. Das Internet ist dabei unser Medium, es dient der Erfüllung unserer Bedürfnisse und wir können diesem Raum dementsprechend für uns gestalten. Genau so erlebe ich es in Bezug auf Mariengold. Durch das Internet kann ich mein Label präsentieren und meine Produkte weltweit verkaufen, ich komme in Kontakt mit Kunden und Fans, tausche mich mit anderen Puppenmacherinnen und Kreativen aus, finde Anregungen für meine Arbeit, kaufe blitzschnell Materialien ein, kann Neues lernen usw.
Die vielen Möglichkeiten versuche ich, so gut es geht, für Mariengold zu nutzen. Und Mariengold hinterlässt dabei hoffentlich auch Spuren und inspiriert Menschen, dem Weg ihres Herzens zu folgen.
Aktuell entwirfst du eine Clown-Puppe. Was fasziniert dich an der Figur des Clowns?
Clowns haben mich schon immer begeistert. Ein guter Clown bringt mich zum Lachen. Ein richtig guter Clown aber rührt mich zu Tränen. Es geht dabei um Leichtigkeit und Freude, Selbstliebe und Gelassenheit, Humor und die Kraft des Lachens, vor allem wenn wir unsere eigene Begrenztheit spüren und im Leben auch mal scheitern. Da kann ich selbst noch ganz viel lernen! Als Puppengestalterin interessieren mich Clowns aber auch in gestalterischer Hinsicht. Wir alle kennen doch diese Clown-Puppen mit gemaltem Porzellangesicht, meist mit einer Träne unter einem Auge, bunten Kostümen aus glänzendem Kunststoff, einem starr lächelnden Mund oder allzu traurigem Antlitz. Auf mich wirken sie oft kitschig und künstlich, einfach kalt. Ich habe Lust, dieser alten Tradition neues Leben einzuhauchen und eine frische und zeitgemäße Clown-Puppe zu entwerfen, in der all das Ausdruck findet, was mich an dieser Figur so fasziniert. Das Projekt steckt noch in den Kinderschuhen und wird mich sicher noch einige Monate beschäftigen. Gerade habe ich ganz viel Freude an Ideensammlungen mit Freunden und einem Moodboard für den neuen Entwurf.
Außerdem konzipierst du gerade einen Salon für Puppenmacherinnen aus ganz Deutschland. Er soll Ende diesen Jahres in Berlin stattfinden. Was genau planst du? Und warum nennst du es ‚Salon‘?
Die Idee für diesen Salon habe ich schon ganz lange. Ich stelle mir ein Treffen für Puppenmacherinnen vielleicht zunächst aus Berlin und Umgebung, später aus ganz Deutschland oder gar Europa vor, ein Raum für Gespräche, Präsentationen, Ideenaustausch, gemeinsame Projekte und natürlich gutes Essen! Das Ganze an einem ruhigen, eher privaten Ort, deshalb wohl der „Salon“. Im Kleinen gibt es den bereits, denn seit über einem Jahr kommen vier Berliner Puppenmacherinnen, darunter auch ich, regelmäßig so zusammen und es ist ganz wunderbar. Diese Runde möchten wir irgendwann öffnen. Sicher nicht mehr in diesem Jahr, aber vielleicht 2015. Da macht mein Herz gleich einen Hüpfer vor lauter Vorfreude!
Welche Ideen und Pläne hast du noch für Mariengold?
Was mich richtig glücklich machen würde, wäre ein großes Atelier mit einem hellen Schaufenster in einer schönen, ruhigen Straße in der City, gern in einer Gemeinschaft mit anderen Kreativen. Mein Studio befindet sich ja immer noch in meiner Wohnung, was viele Vorteile, aber auch den riesengroßen Nachteil hat, dass sich Arbeit, Freizeit und Familienleben ständig vermischen und mir oft Erholungszeit fehlt. Außerdem wünsche ich mir schon lange, bei der Arbeit Menschen in meiner Nähe zu haben und mit anderen Kreativen zusammenzuarbeiten, wie ich es jetzt schon tue, in Zukunft aber gern mehr! Ich stelle mir mein Atelier als offenen Raum für Puppenmacherei in Berlin vor. Dort werden natürlich Puppen gemacht, ausgestellt und verkauft, aber auch Puppennähkurse und Salons veranstaltet, es gibt ein Angebot für Puppenbastelmaterial und einen großen Schreibtisch, an dem ich an meinen Projekten arbeite und für meinen Blog schreibe. Mich selbst sehe ich dort gar nicht so sehr mit Nadel und Faden und einer halbfertigen Puppe in den Händen, sondern vor allem mit offenen Armen für alle Menschen, die sich für Puppen und Puppenmacherei interessieren!
Credit für die Foto-Collagen: Mariengold, Jens Passoth, Okka Rohd und Franziska Russo

11 Comments

  • 10 Jahren ago

    Ein tolles Interview!
    Maria hat einen tollen Werdegang und mit diesen Fragen richtig schöne Antworten geben können.
    Danke für diesen Beitrag!

  • 10 Jahren ago

    Sehr sympathisch!!!

  • 10 Jahren ago

    auch sehr gern gelesen. besonders frage und antwort zu "gut leben"… the essence of a good life 🙂 liebe Grüße
    Maria

  • 10 Jahren ago

    Supersüß, aber kann man diese tollen Puppen auch ganz fertig kaufen?

  • 10 Jahren ago

    so gut zu lesen. gescheit und sympathisch. sehr. beides.

  • 10 Jahren ago

    .. es ist immer wieder schön und inspirierend, Interviews und Blog- Einträge von & mit Maria zu lesen. Vielen herzlichen Dank dafür!

  • 10 Jahren ago

    Lieben Dank für dieses schöne Interview an Maria! Ich lese sie sehr gern und bin immer wieder begeistert von Ihrem Werdegang, seit ich sie 2007 im www entdeckte! Ich freue mich zu höhren, dass sie Pläne schmiedet, die auch anderen (Berliner) Puppenmacherinnen Raum gibt! Herzliche Grüße, daskleinekra

  • 10 Jahren ago

    danke. ein wirklich gute motivation für diesen montag.

  • 10 Jahren ago

    sehr gut! vor allem die frage nach dem "gut leben" lässt jetzt auch mich nachdenken… vielen dank für diesen einblick!

  • 10 Jahren ago

    SEHR gerne gelesen. Marie ist mir noch von Slomo bekannt und schon dort sofort sehr sympathisch aufgefallen! Da ich aus dem Puppenalter draußen bin und keine Kinder habe, ist das, was mich an Marie besonders anzieht, ihre Fähigkeit zur Zufriedenheit – so erscheint es mir zumindest. Zu wissen, was man braucht, was einem wichtig ist, um erfüllt zu leben. Durchaus mit Träumen (Studio in der Stadt etwa), aber ansonsten friedlich lächelnd sagen zu können: so wie es ist, ist es gut. Es muß nicht immer höher, größer, weiter, mehr sein…

    Merci für das Interview, Indre!

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