Unter der Woche: alleinerziehend. Samstagabends: am alleinerziehendsten. Christine Finke schafft es immer wieder, die Situation von Alleinerziehenden auf den Punkt und zur Sprache zu bringen. Als
Journalistin,
Bloggerin,
Twitterin und
Stadträtin. Seit 2009 lebt die promovierte Sprachwissenschaftlerin mit ihren drei Kindern (fünf, acht und 13 Jahre) allein und versucht den Spagat zwischen Beruf, Familie und Privatleben. Dabei reißt sie sich – wie viele andere Alleinerziehende – bisweilen die Beine aus.
Obwohl 19 Prozent aller Familien in Deutschland ‚Alleinerzieher-Familien‘ sind [BMFSFJ]*, ist es bisher nicht gelungen, Rahmenbedingungen zu schaffen, die es ihnen ermöglichen ‚gut zu leben‚. Das beginnt bei der fehlenden Betreuungsinfrastruktur und endet vor den Betonköpfen in Verwaltung, Personalabteilung und Bekanntenkreis. Christine hat viele von ihnen kennengelernt, vor allem in der Arbeitswelt. Standen der erfolgreichen Wissenschaftlerin bis zu ihrer Trennung alle Karrieretüren offen, fielen sie plötzlich reihenweise ins Schloss. Eine Erfahrung, die sie nicht stillschweigend hinnehmen wollte. Obgleich der Wandel von der Karrieremutter in gut situierten Verhältnissen zur alleinerziehenden Mutter in prekären Verhältnissen ziemlich schmerzhaft war – zum Jammern neigt Christine nicht (obwohl ich das durchaus legitim finde). Sie beschreibt die Lage und legt dabei die strukturellen Ungerechtigkeiten und so manche Borniertheit frei. Nicht immer nüchtern, nicht immer sachlich, aber stets differenziert, pointiert und mit einer Prise Humor.
In unserem Montagsinterview erklärt sie, warum die gesellschaftliche Wirklichkeit für Alleinerziehende ihres Erachtens so rau ist und wie sie eine bundesweite Initiative für Alleinerziehende aufziehen würde. Außerdem spricht sie über die Hinter- und Abgründe von ehelicher Gewalt, plaudert über das Verhältnis von Muttersein und Frau-bleiben und erzählt, was sie sich von 2015 wünscht.
Ich danke dir ganz herzlich, liebe Christine, für die offenen und klugen Antworten und wünsche dir, dass das neue Jahr das große Füllhorn über dir ausschüttet. Allen anderen wünsche ich einen guten Start in die neue Woche!
*Das Bundesamt für Statistik zählte 2013 rund 2.3 Mio. alleinerziehende Mütter und 389.000 alleinerziehende Väter (
Quelle).
Das (selten frei gewählte) Modell „Alleinerziehend“ ist alles andere als eine Ausnahme und trotzdem haben wir noch keinen Weg gefunden, Alleinerzieherfamilien ein „gutes Leben“ zu ermöglichen. Warum, glaubst du, ist das so?
Gesellschaftliche Veränderungen brauchen fürchterlich viel Zeit, zumindest aus der Warte der Betroffenen. Die Politiker merken ja jetzt erst, dass diese fast 3 Mio Alleinerziehenden auch Wähler sind – und wahrscheinlich sind wir immer noch zu wenige, um wirklich ins Gewicht zu fallen.
Wir sind aber auch nicht laut genug. Gerade Alleinerziehende sind ständig am Rande der Erschöpfung, da bleibt keine Kraft für ein politisches oder privates Engagement. Das macht nur jemand, der/die aus diesem Engagement Kraft zieht, so wie ich es mit dem Bloggen erlebe und auch mit meinem Ehrenamt als Stadträtin. Aber ich kann jede verstehen, die sagt, sie sei froh, wenn sie den Alltag geregelt bekommt. Das geht mir ja tweilweise genauso.
Und drittens sind wir Alleinerziehende sowas wie die Schmuddelecke der Gesellschaft. Ich habe es durchaus so erlebt, dass Familien auf einen herabblicken und dir zu verstehen geben, du hättest es ja nicht geschafft, dir nicht genug Mühe gegeben, irgendwas falsch gemacht. Da ist auch viel Angst dabei, das eigene Lebensmodell hinterfragen zu müssen, denke ich. Alleinerziehend zu sein ist nicht cool. Es ist eher ein „Unfall“. Damit will man möglichst wenig zu tun haben.
Wenn du die Möglichkeit hättest, eine bundesweite, gut budgetierte Initiative für alleinerziehende Eltern zu starten, wie würde die aussehen? Und wen hättest du gern als Partner an Bord?
Puh, das ist eine wirklich schwierige Frage. Ich würde das Geld in Lobbyarbeit stecken wollen, damit der Hebel für die Alleinerziehenden besser wird. Und wie die Lobbyarbeit aussehen kann, würde ich über ein Think Tank mit alleinerziehenden Influencern, Wissenschaftlern und Politikern zu definieren versuchen. Und gleichzeitig würde ich nach einem Weg suchen, den Alleinerziehenden gegenüber Wertschätzung auszudrücken. Die erfahren sie nämlich äußerst selten.
Als sich meine Eltern trennten, dachte ich (15jährig): „Das war die beste Idee, die ihr seit langem hattet!“ Und damit sollte ich Recht behalten – am Ende ging es allen besser. Was wünscht du dir, dass deine Kinder einmal sagen werden über deine Entscheidung?
Da meine Kinder sehr unterschiedlich alt waren, als ich mich trennte (nämlich 9 Jahre, 3 Jahre und 11 Monate), werden sie wahrscheinlich uneinheitlich antworten. Aber die Frage ist ja auch, was ich mir wünsche. Das wäre „Ein Glück, dass meine Mutter dafür gesorgt hat, dass ich in einem friedlichen Zuhause aufwachsen konnte. Ich habe mich dort immer geborgen gefühlt.“
Wie würdest du dein Ehe- und Familienleben vor deiner Trennung im Rückblick beschreiben? Was vermisst du davon am meisten? Und was möchtest du um nichts in der Welt zurückhaben?
Es war turbulent. Nie langweilig, nie durchschnittlich, es gab stets irgendwelche Kicks, im guten wie im schlechten. Mir fehlen die guten Kicks gelegentlich, aber ich wäre heute nicht mehr bereit, den Preis der Höllenfahrten dafür zu bezahlen. Das geht als Single, aber nicht mit Kindern.
Um nichts in der Welt möchte ich mehr von irgendjemandem so vereinnahmt werden wie von meinem damaligen Mann. Es ist okay, wenn die eigenen Kinder einen vereinnahmen, das gehört dazu. Aber nicht mein Partner.
Gewalt in der Ehe? Das kann mir nicht passieren, lautete meine reflexhafte Antwort, wohlwissend dass das nicht stimmt. Und doch frage ich mich: Warum dauert es oftmals so lange – manchmal viele Kinder lang – bis Frauen ihre gewalttätigen Männer verlassen. Hast du eine Antwort?
Das hat viel mit dem Selbstbild zu tun. Gerade gebildete Frauen, die beruflich erfolgreich sind, können sich gar nicht vorstellen, ein Opfer zu sein. Das sind oft Macherinnen, die kommen gar nicht auf die Idee, dass das, was bei ihnen zuhause passiert, „häusliche Gewalt“ ist, den Begriff kennt man nur aus den Medien, das hat doch mit der eigenen, temperamentvollen und leidenschaftlichen Beziehung nichts zu tun!
Viele der Frauen, die besonders lange bei dem Täter bleiben, sind extrem leistungsbewusst, sehr belastbar und scheinen alles zu wuppen. Sie werden auch um die scheinbar tolle Beziehung beneidet, denn nach außen sieht oft alles prima aus. Ein Traumpaar, das ist leider oft die Außenwirkung. Es ist sehr schwierig, dieses Außenbild mit dem gefühlten Erleben in den eigenen vier Wänden zusammenzubringen.
Außerdem zeigt der Täter ja auch direkt nach dem Ausrasten (das kann auch ein Haufen zerteppertes Geschirr sein) Reue, oft hatte er eine schwere Kindheit, und dann tut er einem leid. Da will man doch nicht so kleinlich sein und ihn gleich verlassen… Und es fliegt ja auch nicht rund ums Jahr Geschirr, viele dieser Beziehungen haben Wochen, Monate, sogar Jahre, in denen alles friedlich läuft bis auf verbale Abwertung und andere ungesunde Muster.
Zudem fängt die Gewalt schleichend an, das geht nicht über Nacht. Die Grenzüberschreitungen höhlen die Beziehung wie stetes Wasser, und irgendwann wird aus der verbalen Entgleisung ein Schubser, und Jahre später eine Ohrfeige. Ich habe mir meine erste (und einzige) Ohrfeige nach 8 Jahren Beziehung eingefangen und es schier nicht glauben können. Der nächste schwere Eklat kam dann erst weitere 3 Jahre später.
Muttersein und Frau-Bleiben – warum ist das so schwer?
Ich habe das nie als Widerspruch erlebt. Vielleicht lag es auch daran, dass ich erst mit 34 Mutter wurde – vorher habe ich mich nicht als Frau gefühlt, eher als großes Mädchen. Was sich allerdings durch die Geburten und die Schwangerschaften radikal verändert hat, ist das Verhältnis zu meinem Körper. Den sehe ich mit großer Bewunderung und Zuneigung. Sapperlott, was der alles kann!
Was aber wirklich schwierig für mich war als Mutter: nur dann Sex zu haben, wenn ich das auch wollte. Ich weiß von vielen anderen Müttern, dass es an dem Punkt in den Beziehungen knirscht, und habe selber viel zu oft „um des lieben Friedens willen“ mitgemacht. Das ist nicht gut. Und es ist so schwierig, sich selbst dahingehend treu zu bleiben, weil es scheinbar nur ein „Freundschaftsdienst“ ist, dem Drängen nachzugeben. Tatsächlich macht man sich so die Libido kaputt. Der Appetit kommt eben nicht immer beim Essen.
Was wünscht du dir für dich in 2015?
Darf ich ganz unbescheiden sein? Ich wünsche mir eine neue beste Freundin, ich hatte schon sehr lange keine mehr. Und 1-2 nette Affären, aber bitte ohne Zahnbürstendeponieren.
Dann wäre ein Traum von mir, mal wieder auf eine mehrtägige Konferenz, einen Städtetag oder eine Städtereise gehen zu können, und zwar ohne Kinder. Aber das ist für 2015 nicht realistisch.
Und beruflich möchte ich für ein großes Printmagazin oder eine überregionale Tageszeitung eine regelmäßige Kolumne schreiben. Oder ein Buch. Auch ziemlich großkotzige Träume. 🙂
Habe mich sehr über den neuesten Blogbeitrag von Christine gefreut:
Geschenke-Stress mit dem Ex
http://blog.tagesanzeiger.ch/mamablog/index.php/64713/64713/
Wunderbar! Ehrlich, aber nicht negativ. Einfach es ist, wie es ist. Die Daumen sind fest gedrückt, dass sich alle Träume verwirklichen. Liebste Grüße
Eva
Christine – ich danke dir von ganzem Herzen für deine offene, ehrliche Art!
Es ist genau so, wie du es beschreibst, wie ich mch auch oft fühle im Spagat zwischen Wünschen, Träumen, Hoffnungen und der blanken Realität.
Ja, dieses "Du hast es nicht geschafft, eine "ordentliche" Familie zu haben", das verfolgt mich auch manchmal. Noch schlimmer aber dieses Gefühl, ständig für alles verantwortlich zu sein und auch ständig die Kraft dafür haben zu müssen.
Mir fehlt sie. Momentan. Sehr.
Ich drücke dir von ganzem Herzen die Daumen, dass sich all deine großkotzigen Wünsche erfüllen mögen, denn sie sind so warmherzig und all zu natürlich!!!
Indre, hab tausend Dank für dieses Interview, es tat außerordentlich gut, mal wieder zu lesen, dass man mit seinen großen und kleinen Wunden des Alleinerziehendseins nicht allein ist. Auch wenn einem dieses Wissen nicht immer hilft, aber man fühlt sich dennoch für diesen einen Moment nicht so wahnsinnig allein!
Danke!
Euch beiden!
&
liebste Grüße
Katja
Dankeschön, Katja!
Vielen Dank, und ich danke Indre für die guten Fragen. Und für das wirklich herausragend gute Bild zu meiner vorletzten Antwort. Das sind brennende Betten, wie in einer Art Hölle, oder?
Ich danke dir!
Zum Bild: Es lässt viele Deutungen zu. Aufgenommen habe ich es rund 2,5 Jahren im Kunstmuseum Helsinki.
Bewundernswerte Frau! Danke für diese Einblicke!
K.
Dem Kommentar würde ich mich gern anschliessen. Hut ab, und Daumen gedrückt (GANZ FEST!!!), dass die Wünsche in Erfüllung gehen. Vielen Dank für das schöne, wichtige Gespräch, das ich jetzt schon ein 2. Mal gelesen habe & herzliche Grüsse aus dem australischen Sommer, C.