Ein Blick hinter Hey Mama Wolf

28. März 2016
Sie hat über japanische Mode der 1980er Jahre diplomiert, ein Kostüm für Tom Hanks gestrickt und Devendra Banhart hat ein Lied über sie geschrieben: Hey Mama WolfSo der Name des Berliner Ein-Frau-Unternehmens, hinter dem Jule Rohrmann steht: Textil- und Flächendesignerin, Strickprofi, Naturfärberin, zweifache Mutter – und auf dem Sprung in die Prignitz. Nach rund 14 Jahren Großstadtleben wird sie nämlich diesen Sommer mit Mann und Kindern die Stadtwohnung gegen eine alte Mühle am Schlatbach tauschen. Ein ebenso mutiger Schritt wie richtiger Schritt, wenn einem die große Stadt zu laut und zu dreckig, und der Wunsch nach einem anderem Leben groß geworden ist. 
Im heutigen M i MAMontagsinterview berichtet Jule von ihrem Weg vom Textildesign zur selbst gefärbten Wolle, der sie über Twykers Wolkenatlas bis in die Prignitz führte. Außerdem geht es um Stricken, die Bedeutung des Hand-Arbeitens und all das, was noch zu tun ist, bevor das Mühlenleben richtig losgehen kann. 
Hab‘ vielen Dank, Jule, für die spannenden Einblicke, mit den ich allen einen schönen Ostermontag und einen guten Start in die KW 12 wünsche.
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aus: Cloud Atlas | Tom Twyker


Wer steckt hinter „Hey Mama Wolf“? Und wie kam es zu diesem Namen?

Hey Mama Wolf ist ein Eine-Frau-Unternehmen. Wobei ich auf die Unterstützung einiger lieber Freundinnen, meiner Familie und besonders meines Mannes zählen kann. Es gibt ein Lied von Devendra Banhart „Hey Mama Wolf“. Ich mag das Lied sehr und die Frau, über die dort gesungen wird. Meine geprenkelt gefärbten Garne bekommen auch Songtitel als Namen. Ich sehe die Farben und mir kommt ein Lied in den Sinn. Musik und Farben gehen Hand in Hand.
Jule Rohrman aka Hey Mama | (c) Makerist

Du bist diplomierte Textil- und Flächendesignerin. Wie kamst du zur Wolle, zum Stricken und zur Färberei?

Während des Studiums in Berlin habe ich eigentlich nur für mich privat gestrickt. Während meiner Auslandssemester in Tel Aviv/Ramat Gan habe ich einige Strickprojekte verwirklicht. Wir hatten dort sehr kompetente Dozentinnen in dem Bereich. Wieder zurück in Berlin war mir nur klar, dass ich irgendetwas machen möchte mit Strick. Das war sehr vage und unkonkret. Erstmal habe ich 2007 angefangen Strickkurse zu geben. Und dann kam das Stricken beinahe ohne meine Zutun zu mir. Ich habe recht bald nach dem Studium unser erstes Kind bekommen. Noch während der Elternzeit hat mich eine befreundete Modedesignerin angesprochen, ob ich für Ihre Privat-Kundinnen Stricksachen entwerfen könnte. Bald hatte ich mehrere Modedesignerinnen, für die ich Prototypen und Showpieces angefertigt habe. Meist habe ich den Entwurf und die Strickanleitung gemacht und hatte einige Strickerinnen, die das umgestezt haben. Die sicherlich spannendste Zeit war das halbe Jahr in der ich für den Kinofilm Cloud Atlas von Tom Tykwer und den Wachowski-Geschwistern Kostüme gestrickt habe. Es war so bereichernd an einem solch großen Projekt mit so vielen spannenden und talentierten Menschen zusammenzuarbeiten.
Mit dem zweiten Kind kam dann der nächste Wandel. Ich habe mehr und mehr über diesen fantastischen Werkstoff Wolle gelernt und alles, was damit zusammenhängt. Z.B. habe ich spinnen und färben gelernt. Es kam die Idee auf, aufs Land zu ziehen und ein Leben zu Leben, das anders ist als unser Leben in der Stadt. Wie kann ich meine Arbeit so gestalten, dass ich sie auch weit weg von Berlin ausüben kann? Zwei Freundinnen brachten mich unabhängig voneinander darauf mit Pflanzen zu färben. Ich stellte fest, dass an diesem Punkt viele Leidenschaften zusammenfallen. Die Wolle und das Spinnen, Stricken, Färben mit meiner Liebe für Pflanzen und Heilpflanzen, dem Gärtnern und dem Experimentieren.
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Was ist Stricken für dich?
Seit einigen Jahren gebe ich Strickkurse und ich bin immer wieder begeistert, wie gut es sich für meine Teilnehmerinnen anfühlt, wenn sie eine Technik gemeistert haben und etwas mit ihren Händen geschaffen haben. Handwerk, mit den Händen tun und schaffen, ist ungeheuer wichtig für den Menschen. Wir haben dann etwas in der Hand, das wir tragen und nutzen können. Für viele Menschen gibt es das in ihrem täglichen Tun nur noch sehr bedingt. Stricken, Handarbeiten, Werkeln, Kochen und Gärtnern kann da einen Ausgleich schaffen. Für mich persönlich ist Handarbeiten essentiell. Ich kann nicht lange ohne mein Strickzeug sein. Es freut mich ungemein, wenn meine Kinder tagelang ihren von mir gestrickten Pullover gar nicht mehr ausziehen wollen.
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In Bälde werdet ihr Berlin den Rücken kehren und auf dem Land eine alte Mühle zu neuem Leben erwecken. Wie kam es dazu?
Die alte Wassermühle haben wir durch ein Bauchgefühl meines Mannes gefunden. Wir haben in ganz Brandenburg schon fast zwei Jahre gesucht. Dann haben wir letztes Jahr um Ostern eine wunderbare kleine Dorfschule in der Prignitz gefunden, die hauptsächlich nach Montessori arbeiten. Wir waren gleich ganz begeistert und unsere Tochter auch. Wir haben auch prompt Plätze an der Schule und in der KiTa bekommen. Dazu kam, dass mein Mann Familie in der Gegend hat. So haben wir uns für die Westprignitz entschieden.

Im Sommer hatten wir eine Hausbesichtigung, die kurzfristig abgesagt wurde. Wir wollten uns stattdessen die Umgebung anschauen und mein Mann hatte eine Mühle auf der Karte eingezeichnet gefunden. O-Ton: „Da fahren wir hin, ich habe da so ein Gefühl.“ Wir waren da, saßen am Mühlbach – ein Traum! Und das Haus war offensichtlich unbewohnt. Es gibt ein Nachbarhaus und wir haben unsere jetzigen Nachbarn einfach angesprochen. Zu dem Zeitpunkt stand es seit zwei Wochen zur Debatte, dass das Haus zu verkaufen ist. Nach vier Monaten war die Mühle unsere. Es sollte dieses Haus sein, es hat uns ausgesucht. Die Mühle ist ein ortstypischer Dreiseithof, nur dass das Mühlgebäude noch zusätzlich am Wohnhaus steht. Es liegt in romantischer Alleinlage (wie gesagt, nur ein Nachbarhaus) am Schlatbach mitten im Naturschutzgebiet. Erlenbruch, Störche, Rehe und Hasen inklusive.
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Was braucht es dazu?
Mir ist das gar nicht so klar gewesen bis jetzt, aber es braucht eine Menge Mut und eine Menge Entspanntheit. Idealismus, Visionen, Abenteuerlust und Tatendrang sind von Vorteil.
Was ist euer Ziel und Traum?
Die Gründe raus aufs Land zu ziehen, haben sich im Laufe der letzten drei Jahre addiert. Wir möchten in gemeinschaftlichen Strukturen leben statt in Kleinstfamilien. Eine größere Gemeinschaft von Menschen, die füreinander einstehen. Zur Zeit sind wir auf der Mühle drei Große und zwei Kleine. Wir wollen aber noch wachsen und suchen noch weitere Menschen, gerne auch mit Kindern. Weiter gedacht ist da die ländliche Gemeinschaft. Bis jetzt haben wir die Erfahrung gemacht, dass man sich untereinander sehr unkompliziert hilft. Das hat uns auch sehr an der Prignitz angesprochen. Wir werden von allen Seiten gleich akzeptiert und eingebunden. Großartig.
Ein weiterer Punkt ist, dass wir uns zum Teil selbstversorgen wollen. Mit Lebensmitteln, Energie, Dingen des täglichen Gebrauchs und Kleidung. Aus der Zeitschrift OYA habe ich den Begriff „enkeltauglich leben“: Wie können wir unser so Leben gestalten, das ökologische Fußabdruck möglichst klein bleibt? An diesem Punkt setzt auch Hey Mama Wolf an. Ich versuche, die vorhandenen Ressourcen zu verwenden und bin damit nicht auf Produkte aus Übersee angewiesen. Darüber hinaus möchte ich meine Wolle so herstellen, dass sie möglichst wenig Energie verbraucht und keine Giftstoffe produziert. Ich bin sehr angetan von solidarischer Landwirtschaft und frage mich, wie das auf andere Bereiche ausgedehnt werden kann. Ich überlege für Hey Mama Wolf eine Abonnement-Option, die das Prinzip als Vorbild hat.
Auf der Mühle möchten wir einen Werkhof etablieren. Bis jetzt wird es meine Färberei geben, eine Tischlerwerkstatt und ein Café. Auch eine Zusammenarbeit mit VERN e.V. für einen Färberpflanzengarten ist angedacht. Wir möchten in den kommenden Jahren Kurse anbieten können – färben, stricken, drechseln etc.
Zuallerst ist unser Ziel, die Mühle bewohnbar zu machen und unsere Werkstätten einzurichten. Dabei muss jedes Detail lange besprochen werden: Welche Art Heizung? Wo braucht es tatsächlich Steckdosen? Oh, da ist ja doch noch ein Balken, der ersetzt werden muss. Was können wir selbst, was müssen andere für uns machen? Etc. pp. In den nächsten fünf Jahren ist auch das große, große Dach dran.
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Seit wann bist du in Berlin? Und wie hat sich deine Beziehung zu dieser Stadt verändert in den Jahren?
Ich bin 2002 nach Berlin gezogen. Ich liebe sie sehr, meine große Stadt. Ich bin empfindlicher geworden gegen den Krach und den Dreck.

Was glaubst/hoffst du, auf dem Land zu finden, was dir die Stadt nicht bieten kann? Und was von Berlin könntest du auf dem Land vermissen?
Die Stadt bietet große Vorteile. Alles ist in der Nähe. Da ich die letzten 14 Jahre mehr oder weniger im gleichen Kiez gewohnt habe, kenne ich meine Leute, meine Läden. Das werde ich eindeutig alles sehr vermissen. Das kulturelle Angebot in Berlin ist enorm. Aber da denke ich, dass ich das bewusster wahrnehmen werde, wenn ich dann mal in der Stadt bin.
Ich finde auf dem Land mehr Raum und Luft und auch Gemächlichkeit. Die Prignitzer brauchen schon mal drei Tage um eine SMS zu beantworten. Das finde ich gut.
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Wie sehen die nächsten Schritte Richtung Land- und Mühlenleben aus? Und was könntet ihr dabei noch brauchen?
Wir sind jetzt die halbe Woche hier, die andere Hälfte dort. Ein Bewohner lebt schon auf der Mühle. Im Sommer wollen wir ganz umziehen. Bis dahin wollen wir zwei Zimmer bezugsfertig machen – Heizungsleitungen in den Wänden verlegen und wieder mit Lehm verputzen, die Böden bearbeiten. Ich bin vor allem im Garten am Gange. Brombeeren und Thujen entfernen, die verwilderten Beete freilegen, planen und säen, Hühner und Gemüsebeete einhegen, dass sie nicht von den Wildtieren verspeist werden.
Wir können immer helfende Hände gebrauchen! Zu tun ist immer was – Holz hacken, zusammengefallene Schuppen abreissen, Lehm putzen, im Garten werkeln… Im Gegenzug gibt es Kost und Logis und unsere von herzen kommende Dankbarkeit. Wir nehmen freudestrahlend Direktkredite in Empfang (wie gesagt, das Dach ist bald dran). Aber auch Sachspenden sind willkommen: Werkzeuge, Gartengeräte, Möbel, Bettwäsche und Geschirr usw.
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