»Die meisten haben uns Verrücktheit und Mut bescheinigt« – Im Gespräch mit dem kunstanstifter verlag

27. November 2017

Ich liebe Bilderbücher. Schon immer oder zumindest solange meine Erinnerung reicht. Stundenlang habe ich als Kind im Bett gehockt und Bildergeschichten angesehen, und noch heute kann ich mich von ihnen verzaubern und entführen lassen – vorausgesetzt sie sprechen mich an. Was mich anspricht? Bilder und Bücher mit Ecken und Kanten, an denen sich meine Seh- und Denkgewohnheiten brechen und neue Perspektiven und Denkpfade entstehen können. Genau solche Bücher macht der kunstanstifter verlag von Suse und Niklas Thierfelder, die mir heute Rede und Antwort stehen.

Unser Gespräch dreht sich unter anderem um die »unerträgliche Leichtigkeit des Gründens«, um die Frage, was ein gutes Bilderbuch ausmacht, wie es in die Welt kommt und um das passende Weihnachtsgeschenk für ein neunjähriges Mädchen, das Topmodell und »Lotta Leben« liebt oder einen 40jährigen Rad- und Denksportler.

Vielen Dank, liebe Frau und Herr Thierfelder, für das kurzweilige Interview, mit dem ich allen einen heiteren Start in die letzte Novemberwoche wünsche.

kunstanstifter verlag

Seit 11 Jahren gibt es den kunstanstifter verlag nun bereits – mehrfach preisnominiert und ausgezeichnet. Wer hätte das im Jahr 2006 geglaubt?

Wir haben an gar nichts geglaubt. Wir wollten endlich das machen, was uns ausfüllt und interessiert: gute Bücher! Und wir wollten selbst entscheiden, was wir verlegen und was nicht. Davor waren wir beide in einem großen Verlag angestellt und wollten nicht mehr die »Hamster im Rad« sein!

Welche Für- und Widerreden haben Sie sich zu Ihren Gründungsplänen anhören dürfen? Und welche Prophezeiungen sind eingetroffen?

Ach, die meisten haben uns Verrücktheit und gleichzeitig Mut bescheinigt. Es gab keine Prophezeiungen in dem Sinne. Hat sich vielleicht auch keine*r getraut!

Was hat Sie damals zur Verlagsgründung motiviert, wovor hatten Sie am meisten Respekt und was war dann doch einfacher als gedacht?

Wie schon erwähnt, eigene verlegerische Entscheidungen treffen und selbstverantwortlich arbeiten – das war für uns die größte Motivation. Wir wussten natürlich, dass wir Arbeitsfelder betreuen würden, die vorher so nicht in unserem Aufgabenbereich lagen. Das war spannend und neu zugleich. Ich bin Juristin und war vorher Lektorin in einem juristischen Fachverlag. Mein Mann war kaufmännischer Leiter in einem Verlag. Wir wussten also genau, worauf wir uns einließen. Insgesamt war es für uns kein Hexenwerk. Wir haben einfach noch viel mehr gelernt durch unsere Arbeit.

kunstanstifter verlag

Was macht am Ihnen beiden (jeweils) am meisten Freude an der Verlagsarbeit?

Für mich: mit Illustrator*innen/Buchgestalter*innen und Autor*innen, Projekte gemeinsam entwickeln und betreuen. Alle Personen zusammenbringen und sich freuen, wenn alle gut miteinander können und daraus Magie entsteht. Mein Steckenpferd ist neben der Programmarbeit im Besonderen die Herstellung. Das macht total Spaß.

Für meinen Mann: »Ein besonders Vergnügen ist für mich die Druckabnahme, d.h. direkt mit dem Drucker an der Maschine zu stehen und zu prüfen, wie die Farben auf dem ausgesuchten Papier stehen. Auch die Vertriebsarbeit und der unmittelbare Kontakt mit den Buchhändler*innen macht mir große Freude.«

Wen und wie wollen Sie mit Ihren Büchern anstiften?

Alle, die Spaß an gut gemachten Büchern haben, die außergewöhnliche Inhalte und besondere Ausstattungen schätzen und Bücher nicht als Wegwerfprodukt, sondern als etwas Kostbares und Langlebiges betrachten.

Nach welchen Kriterien wählen Sie die Autor*innen und Illustrator*innen aus, mit denen Sie zusammenarbeiten? Und wie kommt es eigentlich zur Zusammenarbeit?

Wir bekommen viele Angebote, Projekte, Manuskripte und Arbeitsproben gezeigt, auf Messen oder auch per Post und Mail.

Die Arbeit muss uns berühren, eine gewisse Qualität besitzen und im besten Fall macht es einfach Klick!

Bei mir ist es oft eine intuitive Entscheidung für ein Projekt. Dann macht es Peng! Auch entdecken wir einen Text, der uns begeistert, für den wir dann den passenden Buchkünstler und Gestalter suchen. Dafür haben wir im Laufe der Zeit einen großen IllustratorInnen-Pool aufgebaut.

Was macht für Sie ein gutes Bilderbuch aus?

Ein gutes Bilderbuch ist eine vollendete Einheit, sprich Kombination, von Bildern und Text. Gut gesetzt, auf passendem Papier. Oft beauftragen wir Buchgestalter*innen, um aus einem Text und den Bildern ein harmonisches Ganzes zu schaffen. Wenn das alles stimmt, kommt man nicht drum herum: Man will das Buch haben!

Weihnachten steht quasi vor der Tür. Welche Bücher aus Ihrem Verlagsprogramm empfehlen Sie mir als Geschenk für:

  • ein 9jähriges Mädchen, das Topmodel ebenso mag wie »Lotta leben«? Puh, diese Zielgruppe ist nicht einfach zu fassen, aber ich würde ihr unser modernes Märchen »Vor den 7 Bergen« von Mareike Engelke schenken.
  • einen jungen Mann, der Schafe süß und Statistik großartig findet? Eindeutig: »Ft oder das Recht auf Faulheit« von Kathrin Radke.
  • eine 60jährige Frau, die abstrakt malt und Margarete Atwood und Donna Leon liest? Sylvia Plaths »Jonny Panic und die Bibel der Träume« mit den Holzschnitten von Nicole Riegert oder Großmutters Pelz von Mara Burmester.
  • einen 70jährigen Mann, der antike Kulturen und die dänische Nordseeküste liebt? Florian Weiß‘ und Lucia Jay von Seldenecks neues »Merkwürdigkeiten-Buch«.
  • einen Mittvierziger, der sich für Fahrräder und präzises Denken begeistert? »Plötzlich Funkstille« von Benjamin Courtault oder das neueste Werk von Nicole Riegert und H.G. Wells, »Die Insel des Dr. Moreau«.

Was steht für 2018 auf dem kunstanstifter-Programm?

Im Frühjahr stehen fünf (natürlich wunderschöne) Kinderbücher auf dem Programm: Da geht es um Kinder, die ihre Namen verloren haben, um alte Zirkushunde, die Igor heißen, im Ruhestand sind und viel flunkern, Eissterne im Sommer, um Kaugummi, der den Magen verklebt (da geht es um Lügen aus der Erwachsenenwelt) und für die ganz Kleinen: um Schnorchelnde Schafe! Eissterne und Polka für Igor eignen sich allerdings auch sehr gut für erwachsene Leser*innen!

1 Comment

  • Barbara Ziebuhr
    6 Jahren ago

    Herrlich!

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