»Das ganze Panoptikum an Leben« | Ein Gespräch über Kunst mit Daniela Schnitzer {uNTERWEGSiNsACHENkUNST}

28. August 2017

»Kunst sollte auffordern, Dinge aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten.« 

… meint Daniela Schnitzer. Die studierte Betriebswirtschaftlerin war viele Jahre im Banken- und Finanzsektor tätig, bevor sie in IT-Bereich wechselte. Kunst sei nur mehr ihr Hobby, erzählt sie und ist überrascht, wie viele Menschen das überrascht. Wirtschaft und Kunst?

Das passt für viele nicht zusammen. Daniela, die mit ihrem Mann und in zwei Töchtern in ihrer Wahlheimat München lebt, sieht das ganz anders: »Ohne das wirtschaftliche Zusammenspiel in unserer Gesellschaft wäre Kunst gar nicht möglich« Auf ihrem Blog »unterwegsinsachenkunst« lässt sie uns teilhaben, an ihrer Leidenschaft und lädt uns ein, sie auf ihre Ausstellungs- und Galeriebesuche zu begleiten.

Woher rührt ihre Leidenschaft? Was ist Kunst für sie? Welche Kunst spricht sie besonders an und welche Werke und Ausstellungen haben sie besonders berührt? Um diese und weitere Fragen dreht sich das heutige »Gespräch über Kunst«, mit dem ich allen einen anregenden Start in die neue Woche wünsche. 1.000 Dank, liebe Daniela, für das inspirierende Interview.

unterwegsinsachenkunst daniela schnitzer

Wer und was ist Daniela Schnitzer?

Daniela Schnitzer ist eine Wahlmünchnerin – durch und durch. Sie ist Betriebswirtin, Mutter zweier Töchter, die bald 2 und 4 Jahre alt sind. Sie engagiert sich mit viel Herzblut in einem Ehrenamt für Familien, gerade weil in München noch viel zu wenig für Eltern mit Kindern getan wird. Doch vor allem ist sie wahnsinnig gerne unterwegs in Sachen Kunst. Fast wäre Sie nach der Schule in Berlin gelandet. Hier wohnt ein großer Teil ihrer Familie. Nach dem verhüllten Reichstag kamen die großen Baustellen. Die Metropole schien so beengt und Enge mag sie gar nicht.

München hingegen war übersichtlicher, unaufgeregter, mit einer Fülle an Kunst und Kultur auf relativ kleinem Raum. Das mag sie sehr. München war eine andere Option, hier wohnt ein kleiner Teil ihrer Familie. Das gab ihr ein wenig Sicherheit, auch wenn sie die gar nicht brauchte. Sie absolvierte in München eine Ausbildung bei einer Bank und studierte danach BWL. Es hat sich so ergeben. Sie hatte das große Glück, die richtigen Mentoren in ihrem Leben zur richtigen Zeit zu treffen.

Mit allen großen und kleinen Steinen, die es so mit sich bringt, um einen Weg zu beschreiten. Sie ist hineingeflossen, auch wenn sie ursprünglich Innenarchitektur studieren wollte. Irgendwann hat sie dann dem Banken und Finanzdienstleistungssektor den Rücken gekehrt und ist vor gut zehn Jahren in den IT-Bereich gewechselt. Die Koordination, das Drumherum, dass es benötigt, um webbasierte und mobile Produkte einsatzfähig herauszubringen, ist genau das ihrige. Kurz gesagt Operationsmanagement.

Oft reagieren die Menschen überrascht, dass sie einen wirtschaftslastigen Hintergrund hat und Kunst nur ihr Hobby ist. Das versteht sie gar nicht. Hier gibt es so viele Schnittstellen. Die Interaktionen die stattfinden, um Ausstellungen zu ermöglichen und sichtbar zu machen, Kunst zu veräußern oder darüber zu berichten, wären ohne das wirtschaftliche Zusammenspiel in unserer Gesellschaft nicht möglich. Das betrifft öffentliche wie private Museen, genauso wie Auktionshäuser, Galerien oder auch Kunstmessen. Und was wäre die Kunst ohne den Markt?

Mitchell-Innes & Nash | Amanda Ross-Ho © Art Basel
Mitchell-Innes & Nash | Amanda Ross-Ho © Art Basel

Welchen Bezug hast du zur Kunst und wie kam es zu deinem Blog?

Die Kunst ist meine ganz private Leidenschaft. Sie nimmt viel Raum ein. Ich gehe gerne in Ausstellungen, lese viele Publikationen darüber, mag Kunstmagazine, bin in ein paar Kunstfreundeskreisen und sammle auch Kunst. Meine Urlaube plane ich nach Kunstausstellungen, die ich unbedingt sehen möchte. Das klappt natürlich nicht immer, aber oft. Außerdem habe ich das große Glück, einen Mann kennengelernt zu haben, der die Freude zur Kunst im Privaten teilt.

Mein Blog entstand aus einer naiven Idee, meine Notizen, die ich ohnehin in ein schwarzes Büchlein schreibe, digital zu erweitern. Somit hatte ich auf alles Zugriff, wenn ich unterwegs war. Eine meiner Mitarbeiterinnen motivierte mich dazu. Damals war mir der Begriff eines Blogs absolut fremd. Die Anzahl der Blogger war deutlich übersichtlicher als heute. Ich wusste nicht so recht, wie und wo ich anfangen sollte.

Es vergingen nahezu zwei weitere Jahre und ich kam gefühlt einfach keinen Meter weiter. Irgendwann startete ich recht spontan, nach einem Treffen mit einer Freundin, die mich nach dem Status meines Blog-Projekts fragte. Sie hielt mir in gewisser Weise den Spiegel vor Augen. Ich meldete mich bei einem kostenlosen Bloganbieter an und schrieb meine ersten Zeilen. Ein Zitat, nicht mehr:

»Nicht weil die Dinge schwierig sind, wagen wir sie nicht, sondern weil wir sie nicht wagen, sind sie schwierig.«

Rückblickend traf das genau die Misere, in der ich mich befand. Es braucht nicht immer die perfekte Strategie, die perfekte Struktur, den perfekten Zeitpunkt. Oft reicht das bloße tun.

documenta IX Plakat Logo

Was bedeutet Kunst für dich und was bedeutet sie dir?

Kunst begleitet mich seit meiner frühesten Kindheit. Mit meinen Eltern bin ich oft in Museen gegangen, das hat sicher geprägt. Die erste Documenta, die ich besuchte war die IX., 1992, da war ich gerade mal 15 Jahre. Kunst inspiriert mich. Sie berührt mich. Das muss nicht immer positiv sein.

Kunst heißt für mich, mit Fragen konfrontiert zu werden, die mir vorher nicht in den Sinn gekommen wären. Kunst ist eine andere Welt, eine nach innen gerichtete, wenig analytisch. Obwohl Kunst auch sehr wohl analytisch sein kann. Ambivalent, das trifft’s ganz gut. Kunst sollte auffordern, Dinge aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten.

Gibt es eine Kunst{-richtung}, die du besonders schätzt?

Die moderne und zeitgenössische Kunst schätze ich sehr. Sie wirft meist mehr Fragen als Antworten auf. So etwas mag ich. Oft erreicht Kunst die Grenzen des Sagbaren, es ist ein innerer Dialog, ein Gefühl. Das spannende an zeitgenössischer Kunst ist, egal wie oft man ein Werk betrachtet, sich immer wieder neue Ebenen ergeben. Das kann auch Tage, Monate oder Jahre später sein.

Ich erinnere mich noch gut an ein Werk des amerikanischen Künstlers Ellsworth Kelly, der Anfang der 1950er, als seine Zeitgenossen in den USA dem amerikanischen Expressionismus hinterher liefen, in Paris studierte und stark von der europäischen Kunst inspiriert wurde.

Es ist ein abstraktes Bild. Es zeigt die Seine in Paris mit all den Spiegelungen, die ein Fluss so mit sich bringt. Alles auf geometrische Formen in Schwarz und Weiß reduziert. Im Jahr 1951, mag das vielleicht neuartig gewesen sein, aber das gut 60 Jahre später Betrachter ihr Smartphone zücken, weil sie darauf einen QR-Code sehen, hätte er sicher auch nie gedacht.

Manchmal passieren Dinge – und Werke haben schon eine Antwort darauf. Kunst kann sogar gesellschaftliche Entwicklungen vorwegnehmen.

Wohin bist du aktuell unterwegs in Sachen Kunst?

Nachdem ich auf der Documenta in Kassel und der Biennale in Venedig kurz hintereinander war, pausiere ich gerade von großen Ausstellungen. Kunst ist selten leichte Kost. Kunst braucht Raum zur Entfaltung und oft auch zum sacken. Donnerstags mache ich immer eine Auflistung rund um die Kunst für die kommenden Tage – da ergibt sich vieles ganz von selbst und die Muße überfällt mich wieder.

https://it.wikipedia.org/wiki/Fondazione_Prada#/media/File:Ca%27_Corner_della_Regina_(Venice).jpg
Fondazione Prada Venice | Quelle: Wikimedia

Welche Werke und/oder Ausstellungen haben dieses Jahr besonderen Eindruck auf dich gemacht?

Dieses Jahr hat es in sich in Sachen Kunst. Die Documenta in Kassel, die Biennale in Venedig und die Skulpturenprojekte in Münster. Ein Superlativ der nur alle 10 Jahre stattfindet. Dazwischen gab und gibt es jede Menge Themen- und Einzelausstellungen in den großen Kunsthäusern. Doch auch und gerade die kleinen Galerien sind nicht zu vernachlässigen.

Ganz besonders angetan war ich von der Präsentation eines deutschen Trios, das erstmals zusammen ausgestellt hat. »The Boat is Leaking. The Captain Lied« so der Ausstellungstitel, die ich kürzlich im Palazzo Ca’ Corner della Regina in Venedig gesehen habe.

Der Filmemacher und Autor Alexander Kluge, die Bühnenbildnerin Anna Viebrock und der Künstler Thomas Demand, dessen neutral, detailgenau konstruierten, abfotografierten Papierwelten ich ohnehin sehr schätze, bespielen den ganzen Palazzo.

Kurator ist Udo Kittelmann, der derzeitige Leiter der Nationalgalerie in Berlin. Es ist ein mächtiges Ensemble in Form von Filmen, Schauplätzen und Fotografien. Ein Erfahrungsraum, erhellt den Nächsten. Unheimlich komplex. Ein Blick vor und hinter die Kulissen – schön und shabby. Gut und schlecht. Vollendet, unvollendet. Licht und Schatten.

Das ganze Panoptikum an Leben; von Normalität bis hin zur Katastrophe. Vertrauensverlust, Begierde, Enttäuschung, Not, unendliche Hoffnung und Liebe.

Ein kleines Beispiel, was die ganze Dimension der Ausstellung ganz gut symbolisiert, ist eine DVD Hülle mit der Aufschrift »Faust«. Ein Raum, eingegrenzt von Gipskartonwänden. Lediglich grob verspachtelt. Hellgrün, wie sie auf fast jeder unvollendeten Baustelle anzutreffen sind. Ein Blick nach oben zeigt einen beeindruckenden Deckenstuck; all die ursprüngliche Opulenz des Palazzos. An einer Wand hängt ein Abbild, eine Art Schaltzentrale. Quer im Raum steht ein bekanntes schwarzes Regalsystem mit Kugelgelenken. Vollgestopft mit Fernsehgeräten, Monitoren, Verstärkern, Videokassetten, DVDs und anderen Abspielbändern.

Jeder Titel darauf klingt interessant. Einer davon ist Faust. Quasi der Prototyp des modernen Menschen. Rastlos, immer auf der Suche und doch nie am Ziel. Verführbar und abgründig. Goethes Faust; unvollendet und immer noch hoch aktuell. Er stellte in seinem Drama alles in Frage – die Moral, die Gesellschaft, das Gute und Böse. Allein dieser Titel, wirft so viele Fragen auf und macht mich unheimlich nachdenklich. Gibt es ein bedeutungsvolleres Thema?

Carolee_Schneemann_Ausstellungsansicht_8
Carolee Schneemann: Venus Vectors, 1986-1988
Courtesy Carolee Schneemann, P.P.O.W Gallery, New York, Hales Gallery, London, Galerie Lelong, Paris and VG Bild-Kunst, Bonn 2017, Foto/photo: Axel Schneider

Was sollte ich mir deiner Meinung nach dieses Jahr unbedingt ansehen?

Die Frage bringt mich ins grübeln. Es gibt so vieles in Sachen Kunst, was es gerade in diesem Jahr zu entdecken gibt. Wahrscheinlich würde ich dich nach Frankfurt am Main schicken. Da gibt es bis zum 24. September eine Retrospektive der amerikanischen Künstlerin Carolee Schneemann zu sehen, die zuvor im MdM in Salzburg zu sehen war und danach ins MoMA nach New York weiterzieht.

Carolee Schneemann ist eine unglaubliche Frau. Eine Pionierin. Provokant, mutig, wachrüttelnd und schön. Ihr facettenreiches Lebenswerk wurde dieses Jahr mit dem Goldenen Löwen auf der Biennale in Venedig ausgezeichnet.

Sehr bekannt ist ihrer Performance »Interior Scroll« aus dem Jahre 1975. Da zog sie sich bei einer Performance eine lange Schriftrolle aus der Vagina und rezitierte feministische Texte. Der Körper als Gedächtnisträger. Dieses Spiel zwischen Tampon und Tora-Rolle ist nicht jedermanns Sache, doch ich schätze, Du würdest ihre tiefere Botschaft reflektieren.

Schneemann konfrontiert radikal und wirft Fragen auf, welche Rollen Frauen in der Gesellschaft haben bzw. einnehmen. Braucht es diese Art von feministischer Kunst aufgrund einer Mauer männlicher Kultur? Und wenn es Dir nicht gefallen sollte, gibt es noch die Schirn oder das Städel und den Main, da kann man so herrlich entlang flanieren und sich in der Weite des Flusses verlieren.

Carolee Schneemann: Eye Body: 36 Transformative Actions for Camera, 1963
Carolee Schneemann: Eye Body: 36 Transformative Actions for Camera, 1963 | Courtesy Carolee Schneemann, P.P.O.W Gallery, New York, Hales Gallery, London, Galerie Lelong, Paris and VG Bild-Kunst | Bonn 2017 | Foto: Axel Schneider | Quelle: MMK Frankfurt

3 Comments

  • Miriam
    7 Jahren ago

    Liebe Daniela, hab herzlichen Dank für die schöne Sprache, die neuen Blickwinkel, diese Worte und Einsichten in Deinen Weg des Lebens, von dem ich viel – aber eben nicht alles kenne. Ich freue mich unsagbar, dass ich Teil von ihm bin und sehr gerne bleibe! Unterwegs in Sachen Taschentuch – Deine Miriam

  • 7 Jahren ago

    Ein großartiges Interview, danke dafür!

  • 7 Jahren ago

    Herzlichen Dank liebe Indre, es hat mir große Freude bereitet und bei ein paar Fragen, musste ich ziemlich um die Ecke denken, denn die Kunst ist oft ein innerer Dialog, bei dem die Worte enden.

Leave A Comment

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.