A U S ZE i T . W O CH E N E N D E : Vom kreativen Unbehagen. Oder: Eine Einladung

20. April 2013
So viele spannende Kommentare, Denkanstöße und Ideen sind auf meinen Post vom Mittwoch
D ON `T  D O  i T  Y OU R S E L F – oder: Das Unbehagen an der Kreativität gekommen. Ich bin noch immer ganz begeistert von der angeregten Diskussion, die sich da entsponnen hat und würde gerne mit euch weiter diskutieren. Statt Kuchen, Musik oder Lesestoff lade ich euch darum heute zur Fortsetzung dieses so anregenden wie m.E. wichtigen Dialogs ein: HE R Z Li CH   W i L L KO M M EN!
Ich werde mich mit jedem eurer Kommentare auseinandersetzen und meine – teils spontanen, teils lange gegärten – Gedanken dazu äußern. Am Ende möchte ich die Diskussion zusammenfassen und ein Resümee ziehen.  Ich bin gespannt. Und freue mich auf weitere kluge, anregende, überraschende und querliegende Beiträge.
Ein gutes Wochenende wünscht euch,
I.

8 Comments

  • 11 Jahren ago

    Liebe Monique,

    und ob ich mit deinen (vielleicht schnell formulierten, aber nicht ungeordneten) Gedanken etwas anfangen kann. Danke fürs Ein- und Mitmischen!

    Dein Unbehagen (und die Wut, die ich darin zu erkennen glaube) gleicht ziemlich genau mit dem von Auerbach – und macht auch mir Bauchweh.

    Ulma brachte die Gemeinwohlökonomie in die Debatte (http://madamulma.blogspot.de/2013/04/gedanken-zur-selbermacherei-und-ein_22.html) – ein Ansatz, dem ich viel abgewinnen kann. Vielleicht denken wir daran gemeinsam weiter?!

    Fürs erste so viel. Bald mehr.

    Herzlich
    I.

  • Anonym
    11 Jahren ago

    Liebe Frau Mima,

    ich habe so viele Gedanken im Kopf zu diesem Thema, das mich immer mal wieder beschäftigt… ich gebe das mal unsortiert und unausgefeilt in die Runde (ganz nach dem Klischee: Der kreative Kopf ist ungeordnet 😉
    Ich selbst blogge nicht, lese aber gern in Blogs (mit einer Mischung aus Freude, faszination und Abgestoßen sein ehrlich gesagt). Und bin immer wieder fasziniert ob der Gleichförmigkeit, die ich dort antreffe: Schnittmuster, Stroffauswahl, Dekoration, Wohnungseinrichtung…. wenn man mal so schaut, scheint mir die Bloggerwelt in einer gewissen Sparte ein ziemlich uniformiertes Völkchen zu sein.

    Was will die DIY-bewegung bezwecken? Dass wir das Gefühl haben, selbst zu handelt, wo doch so viel über uns hinweg entschieden und gemacht wird. Wo wir zu so vielem den bezug verloren haben, wo wir als Menschen und Kunden so viel "konsumiert" werden. Für mich ist das an vielen Stellen nur ein Konsum zweiter Ordnung. DIY regt sehr zum Konsum an – zum Konsum von Dingen (Stoffe, bastelmaterial etc.), die ich doch gar nicht brauche. Die unter fragwürdigen bedingungen hergestellt wurde. Ich glaube, DIY ist in erster Linie eine Illusion, die das Hirn vernebelt für die Realität: Selber MACHEN tun wir nichts, wir sind Prosumenten, die beneso viel umsetzen udn Geld in die Maschine pumpen. ich habe das Gefühl, dass mit dem Konsumaspekt des DIY viel zu unreflektiert umgegangen wird. Wer ist sich tatsächlich bewusst, wieviel er konsumiert für das Gefühl, etwas selbst gemacht zu haben???
    Das Stichwort Ent-Professionalisierung ist für mich da auch wichtig. Wir machen doch die Dinge "selbst", für die wir Arbeiterinnen und Arbeitern einen fairen Lohn zahlen könnten für professionelle Lohn- und Brot-Arbeit (denn die müssen davon leben). An vielen Stellen ja im Sinne des "support your local trader": MalerInnen und LackererInnen, (Maß)schneiderInnen, TöpferInnen, etc etc etc….Ich meine, zu erinnern, dass Auerbach dies auch thematisiert. Ein Gedanke, den ich noch nicht zuende gedacht habe, der mir aber Unbehagen bereitet.

    Mir macht es auch Bauchweh, dass heute jeder und jede kreativ sein muss…. man lese sich nur mal einen Samstag durch die Jobanzeigen in der Zeitung (übrigens ähnlich geht es mir mit dem Schlagwort "belastbar" – gruselig, aber eine andere Diskussion. Aber nicht minder wert, sie zu führen). ich kann es nicht leiden und finde es dem Individuum gegenüber unfair, derart uniformierte Ansprüche zu stellen, deren Nutzen fragwürdig ist. Wird mit dem "krativer Kopf gesucht"-Ausrufen nicht auch einfach kascheirt, dass es keine so dolle und erfüllende Tätigkeit ist? Und ich glaube, man ist da ganz schnell bei Gerechtigkeitskonzepten, die genauer unterscheiden (angefangen bei Rawls). Und es hat für mich viel zu tun mit dem Ethos, dem der Begriff Kreativität anhängt (im Zeichen der Genie-Ästhetik: schöpfen, erfinden, neu gestalten,…).
    Vielleicht sollte man sich einfach auf den kleinsten gemeinsamen Definitionsnenner einigen: Kreativität bedeutet, Reize und Einflüsse der Umwelt aktiv zu verarbeiten. Dann sind wir alle im Boot….
    Oder: Du hast etwas Neues erfunden? – Frag google…..

    Wie gesagt, ich habe Bauchweh dabei, immer mehr vom Einzelnen zu verlangen. und ich habe Bauchweh dabei, wie unreflektiert konsumiert wird im Zeichen des DIY.
    Und ich hoffe, du kannst etwas mit diesen ungeordneten Gedanken anfangen….

    Alles Liebe,
    Monique S.

  • 11 Jahren ago

    Toller Post, spannende Kommentare! Klar ist es so, dass sich viele Sachen, die wir neuerdings so selbst herstellen sich in vielen Blogs wiederholen und dass es sicher gerade eine DIY-Welle gibt und diese auch wieder abebbt. Aber! Ich habe die DIY-Zeit in den 70igern mitgemacht (ja, ich bin über 50ig und hatte Tchibo-Bücher und kein Internet!). Dann habe ich viele viele Jahre (auch, aber nicht nur Kids-bedingt) nichts oder fast nichts mehr mit den Händen gemacht und nur mit dem Kopf gearbeitet. Ich kann für mich daher nur feststellen: 1. Mir bringt "Handarbeit!" unheimlich viel Freude! 2. Ja, ich konsumiere gerne, soweit ich es mir leisten kann! 3. Ich muss nicht von Selbstgemachten leben! und 4. Nein, man muss nicht alles posten, kann/darf es aber! Es muss ja niemand lesen!
    In meinem (schon fast weißhaarigen) Alter möchte ich dazu aufrufen, arbeitet weiter mir euren Händen, egal was, es tut einfach soooo gut!
    Schönes WE
    Barbara

    • 11 Jahren ago

      Liebe Barbara,

      dein Aufruf gilt für all jene, die nicht zwei linke Hände haben, würde ich sagen. 😉

      Herzlich
      I.

  • 11 Jahren ago

    Eigentlich wollte ich bereits am Mittwoch auf Deinen Beitrag antworten, denn mich beschäftigen diese Gedanken schon lange. Aber ich habe aufgegeben, da ich bereits in den Ansätzen gescheitert wäre: einfach aus dem Grund dass ich nicht weiss, ob und, wenn ja, wie die Autoren jeweils den Begriff 'Kreativität' definieren.
    Grundsätzlich wird mit diesem Begriff viel zu schlampig umgegangen – und dem Wort und Begriff 'Inspiration' geht es leider ebenso.
    lg, sab

    • 11 Jahren ago

      Was macht denn Kreativität und Inspiration für dich aus?

      Reckwitz versteht Kreativität – wenn ich es richtig verstehe – als "schöpferisch-ästhetischen Prozess", der sich kulturelles Leitbild verselbstständigt habe:

      "In seinem neuen Buch staunt Reckwitz über die Karriere der "Kreativität", genauer: Er ist fasziniert davon, in welchem Tempo sie zum Leitbild und "Anforderungskatalog" der Gesellschaft aufgestiegen ist. Der Schrankenwärter, der Kinokartenabreißer, der Pommesbudenbesitzer – sie alle sollen kreativ sein, und wer es nicht schafft, dem redet man ein, er sei selbst schuld. Kreativität ist der Motor der "Spätmoderne", der Stoff heimlicher Träume und der unheimliche Traum des Kapitalismus. Oder in Reckwitz’ alpin-steiler Begrifflichkeit: Ästhetische Kreativität ist der Vergesellschaftungsmodus der Gegenwart; sie verschaltet Subjekt und System." (Quelle: http://www.zeit.de/2013/07/Andreas-Reckwitz-Die-Erfindung-der-Kreativitaet).

      Auerbach hingegen schaut die "DIY-Bewegung" an. Von Kreativität spricht sie selbst gar nicht.

      Ich würde mich freuen, wenn du noch mal einen "Anlauf" nimmst und deine Gedanken doch noch einbringst.

      Herzlich
      Indre

  • 11 Jahren ago

    Das Thema beschäftigt mich schon lange und ich gebe Reckwitz und Auerbach in gewisser Weise recht, behaupte aber, dass Kreativität nie als Gegenkozept zu oder Ausstiegsszenario aus einer ausufernden Konsumgesellschaft gedacht war. Im Gegenteil: sie wurde von ihr dazu hochstilisiert, um die (Konsum-)Schäfchen weiterhin bei der Stange zu halten.
    Tatsächlich scheinen mir die Thesen von R. und A. nicht falsch, aber zu kurz gegriffen: Kreativität in ihrer ursprünglichen Bedeutung ist ein schöpferische Auseinandersetzung mit der Umwelt und umfasst nicht nur Künste, sondern auch Erfindungsgeist und Philosophie. Schon Urzeitmenschen haben Energien, die nicht für Nahrungssuche oder Überlebenskampf gebraucht wurden, in Schöpferisches kanalisiert. Kreativität wohnt der Menschheit seit Anbeginn inne; umgekehrt ist aber nicht jedes menschliche Individuum von Natur aus kreativ.
    Der zweite Aspekt, der aus meiner Sicht untrennbar mit dieser Thematik verbunden ist, bezieht sich auf das Thema Arbeit. Erst in jüngster Menschheitsgeschichte mit dem Protestantismus und in weiterer Folge mit der Industrialisierung wurde Freizeit, die Basis und Grundvoraussetzung für eine schöpferische Auseinandersetzung mit der Umwelt, mit Faulheit gleichgesetzt und stigmatisiert. In den letzten Jahren wurde dieses Dogma vom Kapitalismus auf die Spitze getrieben und gleichzeitig wurde die konsumkritische DIY-Bewegung für die eigenen Zwecke instrumentalisiert. Auch die Freizeit sollte nun nach marktökonomischen Gesichtspunkten gestaltet werden. Mit anderen Worten: Wer 40 Wochenstunden und mehr arbeitet, hat keine persönlichen Kapazitäten mehr um sich ernsthaft (schöpferisch oder geistig) mit seiner Umwelt auseinander zu setzen. Wer aber am Arbeitsmarkt weiterhin konkurrenzfähig sein will muss beweisen, dass er anderen überlegen ist und ständig aus sich selbst Ideen und Innovationen generieren kann. Auf diesen gesellschaftlichen Wandel hat die Industrie (im Gegensatz zur Politik) längst reagiert und Massen von "kreativen Hobby-Ideen" auf den Markt geworfen. Mit vorgestanzten Vignetten und Aufklebepailletten für eine kreative Freizeitgestaltung kann man sich den systemkonformen, leistungsorientierten Anstrich verpassen und weiterhin als vollwertiges Mitglied dieser Gesellschaft fühlen, auch wenn man von Haus mit Basteln nix am Hut hat oder einfach lieber nur faul in der Sonne liegen würde. Nur darauf bezieht sich meiner Meinung nach der zitierte kreative Imperativ. Wenn diese These Menschen in ihrer eigenen Schaffenskraft verunsichert, statt sie zum Hinterfragen ihres Konsumverhaltens zu inspirieren, ist sie kontraproduktiv.
    Abschließend möchte ich noch das neue Buch von Joachim Bauer "Arbeit" wärmstens empfehlen. Ich glaube, dass eine Diskussion um das Unbehagen an Kreativität nicht geführt werden kann, ohne die zugrunde liegenden Systemgegebenheiten mit einzubeziehen.
    Liebe Grüße
    Sonja

    • 11 Jahren ago

      Liebe Sonja,

      so viele Gedanken… 1000 Dank. Ich muss deine Worte nachher – ohne Kind auf dem Schoss – noch mal in aller Ruhe lesen.

      Bis später, herzlich
      I.

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