Eltern- und Partnerschaft gehören nicht zwingend zusammen, findet Jochen König, zumindest wenn Partnerschaft mit Liebesbeziehung gleichgesetzt wird. Er selbst hat zwei Töchter mit drei Müttern. Die Ältere stammt aus einer gescheiterten Liebesbeziehung; für die Jüngere hat er bewusst auf einen anderes Familienmodell gesetzt. »Co-Parenting« heißt der Weg, für den sich der Blogger und Autor auch öffentlich einsetzt – und damit nicht nur Freund*innen macht. Denn anders als er {und ich} findet nicht jede*r Gefallen daran, dass das romantische Familienideal seine normative Kraft verliert.
Wie der »feministische Vater« mit den Anfeindungen gegen ihn und sein Familienleben umgeht, was ihn an- und umtreibt, wie Familie bei ihm funktioniert – das und mehr erzählt er im heutigen Montagsinterview, mit dem ich euch einen angeregten Start in die neue Woche wünsche.
Danke, lieber Jochen, für das spannende Gespräch!
Du bist Vater von zwei Töchtern, die drei Mütter haben. Wie geht das?
Meine große Tochter kommt aus einer Hetero-Beziehung. Nach der Trennung wollte ich gerne ein zweites Kind bekommen. Ich fand es vorher nicht so einfach, gleichzeitig Paar und Eltern zu sein. Also dachte ich mir, dass es nett sein könnte, ein Kind mit einer Person zu bekommen, die nicht meine Partnerin ist. Meine kleine Tochter habe ich deshalb mit zwei Müttern, einem lesbischen Paar.
Wie sieht euer Familienleben konkret aus? Lebt ihr alle in einer Wohnung oder wechseln die Mädchen?
Wir leben in unterschiedlichen Wohnungen. Aber für Berliner Verhältnisse vergleichsweise nah beieinander. Meine Töchter sind jeweils etwa die Hälfte der Zeit bei mir und die andere Hälfte der Zeit bei ihren jeweiligen Müttern. Bei mir sind meine Töchter Geschwister, bei ihren Müttern jeweils Einzelkinder. Immer wieder verbringen wir auch Zeit zusammen, machen gemeinsame Ausflüge oder feiern alle gemeinsam Geburtstage, Weihnachten oder Einschulungen.
Was ist das Tolle, was die größten Herausforderungen eures Familien- und Elternmodells?
Alle Elternteile in unserer Familie haben die Möglichkeit, intensiv Zeit mit ihrem Kind bzw. ihren Kindern zu verbringen. Alle haben aber auch die Möglichkeit, Zeit ohne die Kinder zu verbringen, auszuschlafen, sich zu erholen, sich um andere Sachen zu kümmern, in dieser kinderfreien Zeit mehr zu arbeiten oder anderen Interessen nachzugehen. Am Ende der kinderfreien Tage ist die Freude aufeinander dann oft wieder riesig. Von Vorteil ist auch, dass sich die Elternverantwortung und auch die finanziellen Belastungen auf vielen Schultern verteilen.
Herausfordernd ist es, allen Beteiligten gerecht zu werden. Wir leben in einer großen Familie und manchmal ist es schwierig alle Wünsche und Bedürfnisse beispielsweise bei der Ferien-/Urlaubsplanung zu berücksichtigen. Wir müssen viel kommunizieren und uns abstimmen. Das kann auch manchmal anstrengend sein.
Als Vorkämpfer für ein »anderes/alternatives« Familien- und Elternmodell wirst du immer wieder angefeindet und beschimpft. Was treibt dich an und lässt dich durchhalten?
Die Politik ist leider noch immer fast ausschließlich an einem Mama-Papa-Kind-Familienideal ausgerichtet. Familien, die davon abweichen, haben weniger Rechte und machen Diskriminierungserfahrungen in ihrem Umfeld.
Menschen werden aufgrund ihres Geschlechts, ihrer Sexualität oder ihrer Familien abgewertet. Den Kampf gegen diese Ungerechtigkeiten finde ich wichtig.
Ich werde nicht nur angefeindet, als »engagierter Vater« erfahre ich unverhältnismäßig viel Anerkennung, Sympathie und Aufmerksamkeit. Das sehe ich auch als Auftrag, auf Ungerechtigkeiten hinzuweisen und mich für Menschen und ihre Familien einzusetzen, deren Interessen bisher kaum Berücksichtigung finden.
Die Hauptkritik gegen euer Eltern- und Familienmodell speist sich vor allem aus dem bürgerlich-romantischen Liebesideal, das als naturgegeben und einzig wahr gesetzt wird. Was setzt du diesen Argumentationen entgegen?
Familien und Geschlechterrollen waren schon immer im Wandel. Die bürgerliche Kleinfamilie, die heute vielfach als selbstverständlich wahrgenommen wird, ist vergleichsweise jung. Dieses eine Modell als »natürlich« oder »gottgegeben« zu definieren, ist völlig willkürlich und schadet denen, die diesem Ideal nicht entsprechen {können}.
Es gibt immer mehr Ein-Eltern-Familien, Patchwork- und Regenbogenfamilien, queere Familien, Familien mit Trans*-Eltern, Co-Eltern-Familien und Drei- oder Vier-Eltern-Familien und jeweils noch die unterschiedlichsten Kombinationen der genannten Kategorien. Die Zahl der Familien, die nicht der Mama-Papa-Norm entsprechen, wächst seit Jahren und diese Entwicklung wird sich in den nächsten Jahren auch nicht wieder umkehren. Statt weiterhin alle anderen Familien abzuwerten, wäre es an der Zeit zu akzeptieren, dass Menschen unterschiedlich sind und in unterschiedlichen Familien glücklich werden.
Links & Lektüren zum Thema »Liebesideal«
- »Wahnsinn zu zweit« von Barbara Kuchler {in: The Europaen}
- »Die Illusion der Romantik« von Tahir Chaudhry {in: Der Freitag}
- »Die Ökonomie der Romantik« von Milan Jaeger {in: Frankfurter Rundschau}
- »Rosa Wolken halten nicht lange« Buchkritik von Tagrid Yousif {Spektrum}
Du verstehst dich selbst als »feministischer Vater«. Was macht die feministische Vaterschaft aus?
Ich versuche, mehr Verantwortung zu übernehmen als die große Mehrheit der Väter. Um mehr für meine Kinder da zu sein, stecke ich beruflich und finanziell bewusst zurück und versuche, mich auch um unbequeme und häufig unbeachtete Aufgaben zu kümmern. Ob mir das gelingt bzw. ob ich meinem Anspruch gerecht werde, müssen andere innerhalb meiner Familien beurteilen.
Das Private ist politisch. Das heißt, es geht ganz konkret darum, wer wie oft zuhause bleibt, wenn ein Kind krank ist, wer wie oft den Abwasch macht und sich nicht hinter vermeintlichen Notwendigkeiten wie unflexiblen Arbeitgebern versteckt.
Und zum Schluss ein kleines Gedankenexperiment: Stell dir über Nacht ist ein Wunder geschehen und als du heute morgen aufwachst, ist die Welt für dich perfekt. Was genau wäre anders?
Ich wünsche mir eine Welt, in der Unterschiedlichkeit gefeiert wird, statt einem Ideal nachzueifern und alles was davon abweicht abzuwerten. Menschen sind unterschiedlich, haben unterschiedliche Bedürfnisse und treffen in ihrem Leben unterschiedliche Entscheidungen. Ich wünsche mir, dass alle diese Menschen gehört werden und diese Gesellschaft mitgestalten können.
Links & Lektüren zum Thema »Co-Parenting«
- »Wir teilen uns ein Kind« von Lissy Kaufmann | Deutschlandfunk Kultur
- »Co-Parenting – vereint im Wunsch nach einem Kind« | Radio SRF 2 Kultur
- »Eltern-Modell Co-Parenting – kann das funktionieren?« | SWR 3
- »Allein zusammen erziehend« von Jenny Becker {in: DIE ZEIT}
- »Echte Wunschkinder« von Louise Carpenter {in: Der Freitag}
- »Zwei Papas, eine Mama« von Katrin Hummel {in: FAZ}
- »Eltern ja, Liebe nein« in: Frau TV | ARD Mediathek
Liebe I.,
das ist ja super, dass meine Kritik sogar noch eine Auswirkung hat.
Jaahaa, vieeeel besser so!
Vielen herzlichen Dank und liebe Grüße,
Chiara
Schön 🙂
Erst mal danke für das interessante Interview!
Und dann muss ich gleich zugeben, dass ich mich wohl dankbar gefühlt, aber diesem Gefühl leider eher keinen schriftlichen Ausdruck verliehen hätte, wenn ich nicht was zu mäkeln hätte… Nämlich an:
„für die Jüngere hat er bewusst auf Familie ohne Liebe gesetzt“
Das finde ich eine ausgesprochen missliche Formulierung. Einmal gibt es m. E. auch unter Erwachsenen nicht- erotische Liebe. Ich würde in dem Zusammenhang auch auf dem Ausdruck „Liebe“ bestehen wollen, weil „Liebe“ (im Vergleich zu „Zuneigung“, „Freundschaft“ etc.) bei uns gesellschaftlich implizit verstanden wird als: ist wichtiger, schwerwiegender. Gerade wenn es um Zusammenleben oder zusammen Kinder großziehen geht, finde ich aber, dass da eine Verbundenheit und Verbindlichkeit ist oder zumindest sein sollte, die über: „Wir gehen mal einen Kaffee trinken und quatschen und finden uns soweit ganz nett.“ wirklich meilenweit hinausgeht. Sicher weiter als bei einer leidenschaftlichen Kurzzeit-Affäre, aus der dann halb aus Versehen ein Kind hervorgeht… Doch da würde wohl kaum jemand monieren, dass „aber die Liebe fehlt“. (Selbst dann nicht, wenn´s stimmt).
Außerdem sind die Mütter ja ein Paar. D. h., da würde hoffentlich jedeR bis zum Beweis des Gegenteils davon ausgehen, dass sie sich auch im engeren Sinne (romantisch-erotisch) lieben.
Und selbst wenn man das alles bestreitet, wird ja wohl niemand Jochen König und den Müttern seiner Tochter absprechen wollen, dass sie ihr Kind lieben. Also ist allerspätestens da: Liebe in dieser Familie. Und gerade nicht: „Familie ohne Liebe“.
Die viel passendere Formulierung wäre m. E. also: „für die Jüngere hat er bewusst auf Familie ohne Sex gesetzt“. Das sagt aber interessanterweise so keiner… Ich vermute mal, weil dann eine Menge Leute spontan denken würden: „Na, und wo ist eigentlich das Problem?“ Und da sei ja Gott vor…
„Liebe“ ist in unserer Kultur ein ideologisch hoch aufgeladener Begriff, der so emotionalisiert, dass möglichst niemand zweimal hinguckt. Dabei würde es sich oft sehr lohnen, zweimal hinzugucken…
Ich finde es schade, aber irgendwie auch bezeichnend, dass ein ansonsten sehr verdienstvolles Interview, das offenbar Jochen Königs Lebensweise positiv erkunden möchte, mit einer derart (Verzeihung!) blöden und klischierten Formulierung eingeleitet wird.
Liebe Chiara,
Danke für deine Anregung. Ich gebe dir recht, die Formulierung ist misslich/missverständlich. Ich habe sie angepasst. Passt es so besser?
LG I.