Und dann gibt es diesen Moment, der sich ins Gedächtnis einbrennt, den man* nie wieder vergisst. Marcel Loko nennt diese Augenblicke ÜBERKommunikation, weil sie über den/die Einzelne*n hinausweisen – irgendwie übermenschlich sind. Anfang diesen Jahres hat der Gründer und Co-CEO der Hamburger Agenturgruppe Hirschen Group ein Buch über diese Mega-Momente der Kommunikation herausgegeben: »David Bowie, Saumagen, Apple und ich. ÜBERkommunikation« versammelt die Geschichten von 33 Kommunikations- und Werbeprofis.
Im heutigen Interview mit dem geschäftsführenden Gesellschafter geht es unter anderen um den Unterschied von guter und ÜBERKommunikation, die Kunst des Zuhörens und die Veränderungen in der Werbebranche. Herzlichen Dank, Marcel Loko, für das Gespräch, mit dem ich allen kurzweilige Woche wünsche.
Marcel Loko wurde 1964 als Sohn einer deutsch-kongolesischen Familie in Kropstädt/Lutherstadt Wittenberg (Ex-DDR) geboren und wuchs in Kinshasa, Berlin und Bonn auf. Er studierte BWL, Geschichte und Kunst in Köln und Paris bevor er 1990 seine Karriere als Texter in einer Hamburger Werbeagentur begann
1995 gründete Marcel Loko gemeinsam mit Bernd Heusinger die Agentur Zum goldenen Hirschen in Hamburg. Inzwischen arbeiten über 500 Mitarbeiter an neun Standorten für die 2005 gegründete Hirschen Group, zu der neben der Campaigning-Agentur Zum goldenen Hirschen auch die Werbeagentur Freunde des Hauses, die Multichannel-Agentur ressourcenmangel, TraDeers e-commerce, VORN Strategy Consulting, die Unternehmensberatung für die digitalen Fragen der Wirtschaft sowie die strategische Politikberatung 365 SHERPAS – Corporate Affairs and Policy Advice gehören. Die Hirschen Group zählt zu den größten inhabergeführten Agenturgruppen Deutschlands.
Ihr Buch »ÜBERKommunikation« erzählt von außergewöhnlichen kommunikativen Momenten. Was ist das verbindende Moment dieser 33 sehr unterschiedlichen Geschichten und was lehren sie uns über Kommunikation im Allgemeinen und Werbung/PR im Besonderen?
Kommunikation ist alles. Sie bestimmt unseren Alltag, sie prägt unser ganzes Leben. Doch es gibt auch ÜBERkommunikation: das sind Bilder, Worte, Sätze, Ereignisse, die alles überstrahlen. Historische Momente oder ganz persönliche Begebenheiten und Begegnungen, die man einfach nicht mehr vergisst. All diese 33 Texte, zeigen was wir kommunikativ von den größten Marken und Persönlichkeiten lernen können.
Für unsere Branche bedeutet es, dass wir für unsere Kund*innen stets an ÜBERkommunikationsmomenten arbeiten sollten. Jeder Auftrag kann ein ÜBERkommunikationsmoment werden. Ich beschreibe im Buch, wie der Apple-Spot von 1984 ein ÜBERkommunikationsmoment für mich war. Er prägt bis heute meine Berufung als Kommunikator und den Wunsch, meinen Kund*innen – wenn zwar nicht regelmäßig, dann doch zumindest einmalig – einen ÜBERkommunikationsmoment zu bescheren.
Was unterscheidet gute von ÜBERKommunikation?
Gute Kommunikation ist in diesem Sinn Alltagskommunikation. Das kann die kreative Umsetzung eines Businessproblems sein, die sprachlich-elegante Lösung einer kommunikativen Herausforderung oder eben auch eine klassische Werbekampagne z.B. für einen Joghurt. ÜBERkommunikation jedoch ist ein besonderer Schlüsselmoment, den sich ganz viele Menschen merken, der sie miteinander verbindet und an den man sich auch Jahre und Jahrzehnte später noch erinnert wird. Es braucht nur ein Stichwort und schon ist dieser Aha-Moment wieder präsent.
Was macht schlechte Kommunikation für Sie aus, und wann und wo haben wir es mit UnterKommunikation zu tun?
Schlechte Kommunikation ist Kommunikation, die falsch ankommt oder falsch verstanden wird; die nicht authentisch ist, lieblos, unengagiert und unklar ist oder gar welche, die lügt. Kommunikation hat stets den Auftrag ehrlich, transparent und haltungsstark zu sein. Sind diese Punkte nicht gegeben, handelt es sich um schlechte Kommunikation.
Wenn man ÜBERkommunikaton als »larger than life« bezeichnet, gibt es keine Unterkommunikation.
23 Jahre ist es her, dass Sie die Agentur »Zum goldenen Hirschen« gegründet haben. Welche Veränderungen in Ihrer Branche haben Sie warum als besonders einschneidend erlebt?
Ganz klar die Globalisierung und die Digitalisierung, die die Art und Weise, wie wir heute kommunizieren (müssen), grundlegend verändert haben! Die damit einhergehende Konvergenz bislang getrennter Bereiche, Systeme und Disziplinen, wirkt tief in alle Branchen hinein. Auch in die unsere: Wir sehen eine Abkehr von Silo-Kreativität hin zu einer ganzheitlichen Kreativität über alle Gewerke bzw. Unternehmensbereiche hinweg. Wir in der Hirschen Group bezeichnen das als »Total Creativity«.
Von dem ehemaligen Intendanten des Hessischen Rundfunks, Helmut Reitze, stammt der Satz: »Wenn Menschen einander zuhören können, funktioniert auch die Gesellschaft«. Wie steht es Ihres Erachtens um die »Kunst« des Zuhörens?
Das ist wohl ein eher trauriges Kapitel der Kommunikationsgesellschaft. Tatsächlich hat die Aufmerksamkeitsspanne dramatisch abgenommen. Menschen sind sehr daran gewöhnt in kurzen, knappen, tweetartigen Sätzen zu kommunizieren. Entsprechend fällt es ihnen schwer, komplexe Gedankengänge nachzuvollziehen. Manchmal hab ich den Eindruck, dass Menschen nur noch in Zwei-Wort-Sätzen miteinander kommunizieren: »Ich will.« »Alles klar.« »Ja krass.“
Im Rahmen der Veröffentlichung des Buches haben wir zwei Lesungen in Hamburg und Berlin veranstaltet. Jeweils rund 100 Gäste aus der Kommunikationsbranche haben einen Nachmittag lang aufmerksam zugehört, wie die Autorinnen und Autoren ihre Geschichten vorgelesen haben und die Ereignisse, die sie am stärksten geprägt haben, mit ihnen geteilt haben. Ein besonderer Moment. Und vor dem oben beschriebenen Hintergrund sehr erfreulich. Es gibt also doch Hoffnung!
Sieben von 33 Geschichten in Ihrem Buch erzählen Frauen. Das sind 21% und entspricht ziemlich genau dem Anteil von Frauen in Führungspositionen in der Werbebranche. Wie erklären Sie sich diese doch recht überschaubaren Anteile?
Richtige Frage. Das muss mehr werden!
Die »Hirschen« unterstützen »Artikel 1 – Initiative für Menschenwürde e.V.« Warum?
Die Unterstützer von Artikel 1 setzten sich aus einer Gruppe von Kommunikationsprofis quer über alle Agenturgrenzen hinweg zusammen und arbeiten in verschiedenen Arbeitsgruppen an unterschiedlichen Projekten – es ist also keine Initiative von Zum goldenen Hirschen. Es geht um die Vermittlung von demokratischen Werten und der Bedeutung von Demokratie. Um die Aktivierung von Menschen zur Erhöhung von Wahlbeteiligung und am Ende darum, Demagogen aus den Parlamenten zu halten. Das Engagement ist ehrenamtlich und wir finden die Arbeit unserer aktiven Kolleginnen und Kollegen richtig und wichtig. Daher können sie selbstverständlich die Agentur als Plattform für ihre Arbeit nutzen und auf unsere Unterstützung zählen.
Stellen Sie sich vor, Sie wachen morgen auf und alles wäre so, wie Sie es sich wünschen. Wie würde sich die Welt von der heutigen unterscheiden?
Das ist eine schöne Frage: Ich würde die Welt genauso lassen wie sie ist und davon nur die schlechten Menschen abziehen. Denn häufig sind es die Entscheidungen und Taten dieser wenigen schlechten Menschen, die große Auswirkungen auf uns viele andere haben. Ohne sie wäre die Welt ein wirklich schöner Ort.