Vom Erziehungsgeld zum Elterngeld. Oder: Was zwischen Mi und Ma geschah

24. Juli 2015
Foto: Valeria Mitelman

Es ist viel passiert, seitdem mein Sohn 1993 auf die Welt kam – auch in der deutschen Familienpolitik. Ein Beitrag in Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ).

Als Mi auf die Welt kam, bekam ich Erziehungsgeld. Eine staatliche Ausgleichsleistung, die Eltern bis zu drei Jahre erhielten, vorausgesetzt einer von ihnen arbeitete in Teilzeit oder gar nicht. Ich war Mama und Hausfrau in Vollzeit und wurde schrecklich unglücklich. Aber das ist eine andere Geschichte. Als Ma geboren wurde, gab es Elterngeld. Ich blieb das erste halbe Jahr zuhause und arbeitete das nächste in Teilzeit. Die damit verbundenen Gehaltseinbußen glich der Staat anteilig aus. Das war ein Novum. Erstmals stand die Sicherung des Lebensstandards, nicht die Bedürftigkeit der Familien im Mittelpunkt familienpolitischer Fördermaßnahmen. Die Kritik blieb nicht aus.

Die Politik würde Besserverdienende hofieren, kritisierten etwa die Sozialverbände, teilzeitbeschäftigte, selbstständige und alleinerziehende Eltern dagegen würden benachteiligt. Andere stießen sich an den „Vätermonaten“ (eigentlich „Partnermonate“). Während die eine Seite sie für kaum ausreichend hielt, um um überkommene Rollenmuster zu verändern, stieß sich die andere an der staatlichen Einmischung in familiäre Angelegenheiten. Die Politik reagierte und besserte nach. Das vorläufige Ergebnis ist das Elterngeld Plus.
.

Das neue Elterngeld orientiert sich deutlich stärker an den Bedürfnissen junger Eltern. Denn, so Familienministerin Manuela Schwesig, „jeder zweite Vater sagt, er will mehr Zeit für die Familie haben und nicht nur zum Gutenachtkuss zu Hause sein. Jede zweite Mutter sagt, sie möchte stärker in den Job einsteigen. Mit dem Elterngeld Plus ermöglichen wir genau das: Bislang ist es so, dass Mütter und Väter, die während des Elterngeldbezugs Teilzeit arbeiten möchten, weniger erhalten als diejenigen, die ganz aussteigen. Mit dem neuen Elterngeld Plus gilt jetzt: Wer Teilzeit in der Elternzeit arbeitet, bekommt doppelt so lange Elterngeld. Wer sich gemeinsam um das Kind kümmert, wird länger gefördert.“ Quelle
.
Auch das Elterngeld Plus ist vor Kritik nicht gefeit. Dieses Mal kommt sie vor allem aus dem Arbeitgeberlager. Das neue Gesetz, insbesondere die damit verbundene Flexibilisierung der Elternzeit, stelle Betriebe vor große Herausforderungen, warnt etwa die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). Hintergrund: Mit dem Elterngeld Plus wurde auch die Elternzeit angepasst. So können Eltern seit 1. Januar von der insgesamt dreijährigen Elternzeit zwei (statt wie früher eines) zwischen dem dritten Geburtstag und dem vollendeten achten Lebensjahr des Kindes in Anspruch nehmen – ohne Zustimmung des Arbeitgebers. Das, so der BDA, erschwere die Personalplanung in den Betrieben erheblich.

Die Diagnose des BDA ist richtig, macht aber vor allem eines deutlich: Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist eine Herausforderung. Bislang oblag es vor allem den Eltern, sie zu meistern. Nun sind auch die Betriebe aufgefordert, Lösungen zu finden. Das ist ungewohnt, aber nicht unmöglich wie der Wandel des Familienbildes von Mi bis Ma exemplarisch zeigt.

Noch in den 1990er Jahren galt für Frauen (in Westdeutschland) das Leitbild der Mutter und Hausfrau. Wer sein Kind vor dem dritten Jahr in „Fremdbetreuung“ gab, war eine „Rabenmutter“, wer die Aufgabe der Kinderbetreuung quasi ganz aus der Hand gab (Stichwort: Wochenendmama), musste mit wüsten Beschimpfungen bis hin zu Gewaltandrohungen rechnen. Die Vaterrolle beschränkte sich auf die Funktion des Familienernährers, und wer sich wirklich der Erziehung annahm, war mindestens ein Exot. Work-Life-Balance oder Vereinbarkeit waren sowohl in der Arbeitswelt als auch in Politik und Gesellschaft ein Randthema. Arbeit war auf den Prototyp des männlichen Alleinverdieners und das Modell der Versorger-Ehe normiert, die staatliche Betreuungsinfrastruktur ebenfalls. Heute sind berufstätige Mütter und die Doppelverdienerehe so selbstverständlich wie das Recht auf einen Betreuungsplatz und Väter mit Erziehungsfunktion kein Einzelfall mehr. Kurzum: Zwischen Mi und Ma hat sich viel getan. Für die Wirtschaft stellte zunächst jede gesetzliche Neuregelung eine Zumutung dar, am Ende profitierte sie (meist) davon (Beispiel: Fachkräftesicherung).

Ich bin guter Dinge, dass die Flexibilisierung der Elternzeit und das Modell Partnerschaftlichkeit familienfreundliche und zugleich wirtschaftlich tragfähige Innovationen im Bereich Personalplanung und Arbeitsorganisation anregt. In diesem Sinne: ein ausgeglichenes Wochenende!
.

8 Comments

  • Mein Sohn ist genau neun Tage zu früh für das Elterngeld Plus geboren. Ich habe mich so geärgert, als ich frisch schwanger war und feststellte, dass wir das nicht schaffen werden.
    An der ganzen Elternzeit-Debatte stört mich, dass immer nur über die Vereinbarkeit mit dem Beruf diskutiert wird und ob Männer damit ihrer Karriere schaden. Dabei ist es doch häufig auch so, dass es sich ein Paar gar nicht leisten kann, wenn beide gleichzeitig Elternzeit machen oder der Vater zu Hause bleibt, während die Mutter in Teilzeit arbeitet, und damit kein volles Gehalt mehr vorhanden ist. Hoffentlich wird das mit dem Elterngeld Plus auch einfacher.

  • 9 Jahren ago

    Wo kann ich mich über die aktuellen Regeln informieren, oder werde ich informiert, wenn ich ein Kind bekomme? Ich finde das ganze sooo kompliziert und unübersichtlich, muss ich mich während der Schwangerschaft auch noch damit auseinandersetzen? Ode ist es einfacher als ich momentan denke?

  • 9 Jahren ago

    Noch ein Gedanke, der mir gerade kommt…Viele Betriebe haben jetzt schon Nachwuchsprobleme…der Pflegebereich sowieso…Wenn man bedenkt, dass der Arbeitgeber nicht nur freistellen muss, wenn jemand Elternzeit nehmen möchte, sondern auch zur Pflege von Angehörigen, dann wird sich das Personalproblem in bestimmten Bereichen weiter verschärfen…Der verbliebene Rest macht dann die Arbeit…also auch die, die Familie haben…Am Arbeitszeitgesetz wird ja gerade versucht zu drehen…Tut mir leid, ich bin da bei weitem nicht so guter Dinge…LG Lotta.

    • 9 Jahren ago

      Ich bin guter Dinge, dass derlei "Notlagen" einen Innovationsschub auslösen. Die "Notlagen" selbst stimmen mich auch nicht positiv.

  • 9 Jahren ago

    Ich bin Mutter von drei Kindern…und Arbeitgeber…sehe also die Sache durchaus von zwei Seiten. Es wird aus meiner Sicht nie die optimale Lösung für alle geben…wie soll die aussehen? Wieso die Besserverdienenden besser gestellt sein sollen, ist mir ein Rätsel. Als ich schwanger wurde mit meinen Kindern, stand ich grundsätzlich in befristeten Arbeitsverhältnissen. Am Ende eines Erziehungsjahres reichte das Geld vorn und hinten nicht mehr, ich brauchte dringlich eine Job….dessen Verdienst dann fast vollständig draufging für die Kinderbetreuung…es war eine schwierige Zeit, aber wir haben sie durchgestanden. Dass Elternzeit flexibel genommen werden kann…ohne Zustimmung des Arbeitgebers, ist für den Arbeitgeber schlicht eine Katastrophe…und auch für die verbliebenen Angestellten…übrigens. Für meinen Mann bedeutete das z. B. ein Drittel mehr Dienste…er stand dann für die eigene Familie mit drei Kindern jedes zweite Wochenende nicht zur Verfügung…weil der Kollege Elternzeit nahm…alles hat zwei Seiten. LG Lotta.

    • 9 Jahren ago

      Alle Teilzeitmodelle sind meiner Erfahrung nach für alle Seiten eine Herausforderung. Wenn sie ohne Zu- bzw. Abstimmung von heute auf morgen genommen werden, umso mehr. Aber ich denke, das kommt eher selten und nur in wirklichen Notlagen vor, oder? … sicher: die optimale Lösung gibt es nicht. Aber ich glaube, was die Lösungssuche angeht, gibt es auch noch Luft nach oben…

Leave A Comment

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.