Mit der Transformation ist es wie mit dem Stau: Beiden ist es egal, wie man sie findet, trotzdem steckt man drin.

17. März 2019

Interview mit Inga Höltmann

„Neue Arbeit“ ist das Versprechen, endlich so leben und arbeiten zu können, wie man möchte und es in der aktuellen Lebensphase gerade braucht. Damit der Begriff halten kann, was er verspricht, müssen alle mitmachen und gemeinsam Antworten auf die Frage entwickeln: „Wie wollen wir arbeiten?“

Worauf es bei dieser gemeinsamen Entwicklungsarbeit ankommt, warum sie sich lohnt und wie sie aussehen kann, darum es im Interview mit Inga Höltmann.

Vielen Dank, liebe Inga, für das gute Gespräch.

Inga Höltmann ist Expertin für Kulturwandel, New Work und Digital Leadership und Gründerin der Digital-Leadership-Akademie „Accelerate Academy„. Bekannt ist die Wirtschaftsjournalistin auch für ihren erfolgreichen Newsletter und ihre beiden Podcasts zur Zukunft der Arbeit. Twitter: @ihoelt


Bevor wir ins Thema einsteigen, kurz zu dir: Wer bist du? Was machst du? Und wie kam es dazu?

Ich bin Inga Höltmann, von Hause aus Wirtschaftsjournalistin und in dieser Rolle mit Themen rund um den Wandel in der Arbeitswelt beschäftigt. Daraus entstanden ist ein weites Feld an weiteren Tätigkeiten in Wirtschaft und Gesellschaft, in denen ich meine Kenntnisse und Fähigkeiten einbringe, mein Wissen teile, Unternehmen in ihrer Transformation begleite oder Veranstaltungen in ganz Deutschland veranstalte, um Gleichgesinnte und Interessierte zusammenzubringen.

Ich lebe ein bisschen die Transformation vor, die ich helfe, in der Arbeitswelt zu verankern, indem ich meinen Beruf in den vergangenen Jahren immer wieder weiterentwickelt habe.

Kulturwandel in Unternehmen, New Work und Digital Leadership sind für dich die drei Schlüsselbegriffe der digitalen Moderne. Wieso?

Der Wandel unserer Ökonomie und der Technologie, der Wandel in unseren Unternehmen und der Wertewandel sind drei der großen Treiber für die großen Veränderungen, die wir gerade beobachten können. Und Arbeit ist immer ein großer Identifikationsfaktor für Menschen gewesen.

Sie prägt einen großen Teil unserer täglichen Zeit, nimmt viel Raum in unserem Denken ein und bestimmt auch unsere Wahrnehmung in der Gesellschaft entscheidend mit. Deshalb sind mir die Themen so wichtig, denn ich denke, dass wir gerade mitten in einer weiteren industriellen Revolution stecken, deren Ausgang auch davon maßgeblich abhängt, inwieweit wir uns trauen und es uns gelingt, sie zu gestalten.

Während dich die Transformation der Arbeitswelt an- und umtreibt, fragt sich manch eine*r wozu das ganze Gerede um den Wandel? Was entgegnest du den Skeptiker*innen?

Mit der Transformation der Arbeit ist es wie mit Stau: Dem ist es auch egal, wie man ihn findet, trotzdem steckt man drin, wenn man drin steckt. Der Wandel in der Arbeitswelt ist nichts, wo wir mitmachen können, wenn wir wollen – wir sind schon mittendrin.

archiv/e Magazin Release in der COJE

Worin liegen die Chancen des New-Work-Konzepts für Organisationen und für die einzelnen Mitarbeiter*innen?

Ich denke, dass es „das New-Work-Konzept“ nicht gibt. Neue Arbeit ist stattdessen viel mehr Wertearbeit und der Wille, den Menschen wieder in den Mittelpunkt zu stellen und ein Aushandeln entlang von Fragen wie „Wie wollen wir arbeiten?“, „Wie soll unsere Wirtschaft und unsere Gesellschaft aussehen?“ und „Wie kann eine nachhaltige Arbeitswelt aussehen?“.

Neue Arbeit ist deshalb eine Emanzipation der Arbeitenden und ein Gestaltungsauftrag an sie – und da stecken viele Chancen drin: Endlich so leben und arbeiten zu können, wie man möchte und wie es die Lebensphase braucht.

Für viele Organisationen ist die Digitalisierung der zentrale Treiber für Veränderung. Welche Rolle spielt sie für dich im Wandel der Arbeitswelt?

Hier ist die Frage, was man unter Digitalisierung versteht. In Deutschland wird Digitalisierung gern als Technologisierung verstanden, zum Beispiel, indem Prozesse digital gestaltet werden. Doch diese Konversion von analog zu digital ist nur der erste Schritt der Digitalisierung.

Digitalisierung ist auch, Neue Arbeit zu denken, Organisationen umzubauen, Geschäftsmodelle neu zu erfinden und ganz andere Produkte zu kreieren. Eine Lagehalle, in der die Arbeiter*innen nicht mehr mit Papieren in der Hand herumlaufen, ist also nur der erste Schritt.

Die Wirkung der Digitalisierung können wir kaum überschätzen, sie wird in alle Lebensbereiche hineinwirken – und in der Arbeitswelt sehen wir ihre verändernde Kraft gerade ganz besonders.

New Work

Führungskräfte kommt in der Transformation der Arbeitswelt eine zentrale Rolle zu. Damit sie diese leben können, hast du die Accelerate Academy gegründet. Was lerne ich dort als Führungskraft und worin unterscheidet sich das von den Inhalten früherer Führungskräfte-Trainings?

Die Accelerate Academy ist kein Führungskräfte-Training – und damit ist der wichtigste Unterschied zu gewohnten Aus- und Fortbildungsangeboten bereits beschrieben.

Eine unserer Kernfragen ist es, wie wir das Wissen, das wir in Zukunft brauchen werden, in die Organisationen bekommen und wir experimentieren mit neuen Formen des Lernens: Miteinander, vernetzt, über Organisationsgrenzen hinweg, mit einem digitalen Mindset.

Im Kern dieser Arbeit steht Digital Leadership, ein Führungsverständnis, das unabhängig von einer bestimmten Stellung in einem Unternehmen ist, sondern in dem es eher darum geht, eigenverantwortlich zu lernen und zu arbeiten – miteinander – reziprok auf die Organisation und das Umfeld bezogen. Damit ist Digital Leadership die Selbstverortung auf einem immer digitaler werdenden Arbeitsmarkt und die Fähigkeit, dort erfolgreich und nachhaltig zu agieren.

Die Accelerate Academy ist eine Plattform für neue Arbeit und neues Lernen, auf der ich Denker*innen, Akteure und Interessierte zusammenbringe, um gemeinsam zu lernen und um eine neue Arbeitswelt zu bauen – analog und digital.

Du begleitest viele Organisationen im Wandel und nicht jeder gelingt die gewünschte Veränderung. Was sind die häufigsten Gründe fürs Scheitern?

Meistens liegt das daran, dass es entweder nicht die richtigen Maßnahmen zu richtigen Zeit sind, oder weil sie schlecht kommuniziert werden. Im Kern ist die Transformation eine Kommunikationsaufgabe, das dürfen wir nicht aus dem Blick verlieren.


Im Kern ist die Transformation eine Kommunikationsaufgabe.

Ina Höltmann

archiv/e Magazin Release in der COJE

Immer wieder höre ich, dass Kulturwandel ohne klar definiertes Ziel und messbaren Erfolgsindikatoren nicht funktioniert. Wie siehst du das?

Es kommt darauf an, wie diese Indikatoren aussehen. Wenn sie in den alten Logiken messen, wird es kaum funktionieren, das ist sicher richtig.

Neue Arbeit ist keine neue Effizienzsteigerungsmaßnahme so nach dem Motto „Wenn die Mitarbeiter*innen glücklicher sind, arbeiten sie schneller und sind weniger krank“. Aber trotzdem braucht es Messgrößen, auch um zu überprüfen, ob man auf dem richtigen Weg ist. Ich empfehle, sich diese Messgrößen im Verlauf des Transformationsprozesses selbst zu geben. Mit den Unternehmen leite ich sie aus den Aufgabenpaketen und Schmerzpunkten ab, an denen ich mit ihnen arbeite.

Ein ganz kleines Beispiel: Ein Unternehmen hat als eines seiner Baustellen die interne Meetingkultur identifiziert. Wenn man die nun besser machen will, könnte man zahlenbasiert rangehen und sagen: Wenn es uns gelingt, die Anzahl der Meetings zu verringern, waren wir erfolgreich.

Es sind aber auch noch andere Messgrößen denkbar: Zum Beispiel die Dauer von Meetings – wir treffen uns genauso oft, aber die Meetings dauern nicht mehr so lang – oder aber eine qualitative Messgröße: Wir meeten noch genauso viel, aber die Meetings sind nicht mehr so anstrengend oder nervig. Das kann man messen, indem man z.B. einen „Nerv-Index“ entwickelt.

New Work

Gibt es so etwas wie ein Erfolgsrezept für die Transformation – oder zumindest sowas wie eine Zutaten-Liste?

Nein, denn die Transformation eines Unternehmens ist ein sehr individueller Prozess. Was in dem einen Unternehmen gut funktioniert, klappt in einem anderen Unternehmen überhaupt nicht.

Ich habe ganz und gar „softe“ Faktoren für das Gelingen solcher Prozesse ausgemacht: Freude an Veränderung, wertschätzende Kommunikation oder eine Lernkultur im Unternehmen – aller Technologisierung zum Trotz sind es solche Faktoren, die über Erfolg und Misserfolg entscheiden. Und darin steckt ein ganz wunderbares Versprechen: Jedes Unternehmen kann seine Transformation auch ohne große Investitionen am Anfang beginnen und ohne, dass sofort das ganze Bürogebäude umgebaut werden muss.

Am Anfang jeder Transformation sollte stehen, in den Dialog mit den Mitarbeitenden zu gehen.   

2 Comments

  • 6 Jahren ago

    … vielen Dank für das anregende Interview! Mich würde interessieren, wie Du, liebe Indre, oder wie ihr beide das Verhältnis von Menschlichkeit (Zuwendung, Nähe, analoge Aufmerksamkeit und Wertschätzung, vielleicht auch Pflege Dritter) zur Arbeitstransformation siehst/seht. Wird sie sich immer mehr ins Private zurückziehen, da in der New Work kein Effizienz-begründeter Bedarf mehr da ist? Wird man ihr einen gesonderten Platz einräumen müssen, sie quasi „managen“ müssen, um sie nicht zu verlieren? Werden dann die nicht-kommerziellen oder schwach entlohnten Arbeitsaufgaben noch weiter abgewertet im Vergleich zu digital messbarer Tätigkeit? Und müssen/können/sollten wir aktiv „Menschlichkeits-Inseln“ gestalten? Spielt denn das Zwischenmenschliche eine Rolle in der Accelerate Academy? Viele Gedanken ins Blaue … Jedenfalls vielen Dank für den Einblick!

    • M i MA
      6 Jahren ago

      Liebe Veronika,

      vielen Dank für deine Fragen! Sie haben’s in sich. Und sind wichtig. Ich werde darüber nachdenken.

      LG I.

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