10 Jahre haben wir zusammen gearbeitet, haben Beteiligungsprozesse erdacht und gemacht, Bürger-, Jugend- und Expertendialoge moderiert und die Höhen und Tiefen des Beraterlebens durchlebt: Julia Kropf war meine Lieblingskollegin, und sie ist bis heute eine der (in meinen Augen) besten Moderatorinnen, eine gute Freundin und Ratgeberin. Umso mehr freue ich mich, sie heute hier zu Gast zu haben.
Anders als ich hat die promovierte Sozialwissenschaftlerin* 2015 den Schritt in die Selbstständigkeit gewagt. Seither ist sie erfolgreich als Business Coach und als Moderatorin tätig. Im Montagsinterview erzählt sie, was „richtige Ziele“ und „der richtige Zeitpunkt für Entscheidungen“ sind, welche „Fehler“ vor allem Frauen bei der eigenen Zielsetzung machen und wie sie sich vermeiden lassen. Außerdem geht es um die Zukunft der Arbeit: Was bringt sie? Worin unterscheidet sie sich von der heutigen Arbeitswelt? Und was müssen wir tun, damit sie gut wird?
Dr. Julia Kropf arbeitet seit 2015 als freie Moderatorin und Business Coach. Zuvor war die promovierte Soziologin 10 Jahre in einer internationalen Strategieberatung tätig. Ihre Schwerpunktthemen sind: Zukunft der Arbeit, Digitalisierung, Mobilität und Nachhaltigkeit.
Mehr unter: julia-kropf.de
Liebe Julia, hab vielen Dank für das inspirierende Gespräch, mit dem ich allen einen angeregten Start in die neue neue Woche wünsche.
*Promotionsthema „Flexibilisierung – Subjektivierung – Anerkennung. Auswirkungen von Flexibilisierungsmaßnahmen auf die Anerkennungsbeziehungen in Unternehmen“
Du bietest u.a. Seminare zum Thema „Die richtigen Ziele setzen“ an. Was sind die „richtigen Ziele“ und woran erkenne ich die falschen?
Richtig und falsch – das klingt natürlich sehr hart. Schließlich ist es erst einmal ja eine gute Sache, sich überhaupt Ziele zu stecken, also eine Vorstellung davon zu entwickeln, wo ich hin will. Als Systemischer Coach bin ich allerdings auch davon überzeugt, dass Ziele im Einklang stehen möchten mit all meinen Lebensbereichen.
Dazu ist wichtig, zu sagen: Wenn ich hier von Zielen spreche, dann meine ich eher persönliche Ziele oder auch individuelle Veränderungs- oder Entscheidungsprozesse – und nicht solche, die sich eher auf einen „pragmatischen“ Projektkontext beziehen. „Richtige Ziele“ sind dann also solche, die zu meinem gesamten Leben passen. Ziele, für die ich mich nicht verbiegen muss, weil „man“ das eben so machen sollte.
Was ich tatsächlich feststelle ist, dass gerade wenn es um die so genannte „Karriere“ geht, oft Ziele gesteckt werden, die bei einem Blick auf den persönlichen Lebenszusammenhang eher eine Tendenz zum Scheitern haben. Deshalb würde ich sagen:
Ein Ziel ist dann gut und „richtig“, wenn es mich motiviert, aber nicht einen anderen Lebensbereich (z.B. meine Gesundheit oder meine Familie oder meine Finanzen) komplett überfordert.
Dr. Julia Kropf
Es möchte sich, bei aller möglichen Herausforderung, insgesamt gut „anfühlen“. Ob es das tut erfahre ich jedoch nur, wenn ich mich im Vorfeld ernsthaft damit auseinandersetze, mir Zeit nehme für die innere Spurensuche, Fragen stelle, abwäge, in mich hineinhorche.
In einem anderen Seminar geht es um den „richtigen Zeitpunkt“ für neue Ziele. Wann ist der „richtige Zeitpunkt“?
Das könnte ich mir jetzt einfach machen und sagen „das merkt man“. Aber im Ernst, ich glaube wirklich, dass man den richtigen Zeitpunkt für Veränderungen, für Entscheidungen – was ja immer verbunden ist, mit Zielen – spüren kann. Das funktioniert aber nur, wenn ich mich ganz gut kenne. Also, wenn ich weiß: Was motiviert mich? Wo habe ich eher Befürchtungen, Ängste oder auch echte Grenzen? Was fällt mir leicht? Wofür brauche ich mehr Energie? Wieviel fordern mir meine anderen Lebensbereiche gerade ab? Wie reagiere ich auf Stress, Anspannung etc.?
Und es funktioniert, wenn ich die Frage „Wo soll meine Reise gerade hingehen?“ auch visuell unterstütze. Wenn ich mir ausmale, wie sieht denn das aus, was ich mir vorgenommen habe? Wie sieht mein Umfeld dabei aus? Welche Rolle spielen die Menschen in meinem Leben? Wie fühlt sich das an? Oft merkt man dann sehr schnell, ob es irgendwo hakt.
Was sind die häufigsten Fehler bei der Zielsetzung, die dir als Coach immer wieder begegnen, und wie kann man sie vermeiden?
Ich glaube, das ergibt sich ein bisschen aus dem, was ich gerade gesagt habe. Ziele sind keine To Do-Listen. Und Ziele gibt es nicht von der Stange. Nur weil ich das, was andere machen, toll finde, bedeutet das nicht, dass es auch bei mir funktioniert.
Trotz aller Vielfalt beruflicher Wege, gibt es immer noch einen großen Mainstream was Karrieredefinitionen angeht. Erfolg ist ja so ein Begriff, der so leicht daher gesagt wird. Dabei ist die Antwort auf die Frage „Was heißt für Dich Erfolg?“ absolut unterschiedlich.
Ich weiß nicht, ob ich in diesem Zusammenhang von Fehlern sprechen würde, aber ich glaube, die Perspektive ist entscheidend: Schaue ich sozusagen von außen auf mich und bewerte meine eigenen Ziele dadurch immer im Vergleich mit Anderen? Oder nehme ich meine eigene Innenperspektive ein und versuche von hier aus meinen Weg zu definieren?
Es klingt vielleicht sehr simpel, aber Ziele zu stecken heißt, sich Zeit und Raum dafür zu nehmen. Es heißt, von mir selber ein Bild zu entwickeln. Ein realistisches Bild.
Gibt es „Fehler“, die besonders Frauen immer wieder begehen? Und was könnte ihnen helfen, um diese Muster zu durchbrechen?
Ich habe vorhin gesagt, wichtig ist, die Ziele und Entscheidung in mein System einzubetten. Aber es gibt natürlich auch ein „Zuviel“ an System. Damit meine ich, dass Frauen oft zuallererst darauf schauen, was eine Entscheidung für Konsequenzen für Andere haben könnte und ihren Traum dadurch allzu schnell wieder fallen lassen.
Wie werden meine Kinder das verkraften? Wird mein Partner mich unterstützen? Was sagen meine Eltern? Frauen denken eher, dass alle Beziehungsarbeit an ihnen hängt und trauen damit aber anderen auch oft weniger zu, fordern sie weniger. Frauen sind immer noch eher bereit, ihre Träume zu begraben.
Was hilft: Klar, Mut zur Auseinandersetzung, zur Verteidigung der eigenen Bedürfnisse. Abschied von der Vorstellung, dass für sich selbst sorgen automatisch bedeutet, egoistisch zu sein. Und vielleicht ein bisschen Pragmatismus bei der Umsetzung – also, an welchen Stellen muss ich Alternativen denken, wo können andere sich mehr einbringen, wofür muss ich meine Komfortzone verlassen, was brauche ich dafür und woraus schöpfe ich Energie und Kraft?
Du bist außerdem als Moderatorin tätig, vor allem im Bereich „Zukunft der Arbeit“. Welche Themen und Fragen werden aktuell besonders „heiß“ diskutiert? Und welche Aspekte sind aus deiner Warte noch etwas unterbelichtet in der Diskussion?
Über allem stehen ja gerade die ganzen „4.0-Fragen“: Industrie 4.0, Arbeit 4.0, Digitalisierung. Das ist wirklich interessant, weil hier gerade einige Entwicklungen zusammen kommen. Die technischen Entwicklungen einerseits und die demografische Entwicklung andererseits. Hier tun sich gerade so viele Gestaltungsfenster auf, wie ich es noch nicht erlebt habe.
Auf der einen Seite steht alles, was man unter die Überschrift „neue Freiheiten“ setzen könnte: mehr Flexibilität und Souveränität für die Beschäftigten, neue Organisationsstrukturen, mehr Demokratie in Unternehmen, gesunde Arbeit usw. Auf der anderen Seite steht ein enormer globaler Wettbewerbsdruck begleitet von zunehmend disruptiven technischen Entwicklungen.
Die Frage nach dem politischen Rahmen – also der Frage, welche neuen und flexiblen Formen der sozialen Sicherung es dafür braucht – ist absolut relevant. Und hier ist für mich die Frage nach neuen (Experimentier-)Räumen für Sozialpartnerschaft ganz entscheidend.
Für mich stehen aber auch Fragen im Vordergrund wie: Was trauen wir Menschen eigentlich wirklich zu? Sind wir bei allem noch offen für unterschiedliche Wege und Vorstellungen von Flexibilität und Sicherheit oder bildet sich im Gegenteil gerade wieder ein neuer Mainstream raus? Wo liegen die Grenzen? Wie gehen wir mit Scheitern wirklich um und reden nicht nur von Fehlerkultur? Wo sind die Führungskräfte, die das leben?
Und schließlich in eigener Sache: Alle reden so viel über die neuen Solo-Selbstständigen. Gleichzeitig wird von politischer Seite noch recht wenig getan, um hier positive Anreize zu setzen.
Wie wird sich die Arbeitswelt verändern? Was werden wir 2025, wenn wir auf die Jahre 2015/2016 zurückblicken, wohl als markante Veränderungen wahrnehmen?
Das sind eigentlich Fragen, die ich gerne stelle ☺! Die Antworten geben meist die Anderen…. Aber ich versuche es mal.
Ich glaube, dass lange nicht so viel über Arbeit an sich gesprochen wurde, über den Wert von Arbeit, Aushandlungsprozesse, Kompromisse, neue Möglichkeiten und Risiken. Das ist was anderes als die Frage nach dem „Ende der Arbeit“ oder dem „Flexiblen Menschen“, wie wir sie vor Jahren hatten.
Ich habe den Eindruck, dass der Zusammenhang von Arbeit, Anerkennung und Identität nochmal eine stärkere Relevanz bekommt – durch den Wunsch vieler nach mehr Freiheit in der Arbeit (und nicht durch die Arbeit) und auch durch die Bedeutung die Arbeit bei der Integration von Flüchtlingen und Zuwanderern einnimmt.
Wie sich die Arbeitswelt verändern wird, das kann ich nicht sagen. Ich würde mir wünschen, dass es mehr Raum für Neues gibt, Experimentierräume für neue Organisationsstrukturen, Formen der Zusammenarbeit, Lernmethoden, …
Was bedeutet das für die/den Einzelne/n? Wo liegen die Herausforderungen? Was sind die Chancen?
Ich glaube, die Chance ist, dass es mehr Chancen für individuelle berufliche Wege gibt – und das ist zugleich die Herausforderung. Letztlich heißt das nämlich für uns, dass wir einen guten Zugang zu uns selber brauchen, um den eigenen Weg in Herz und Hand zu nehmen. Aufmerksam zu sein, was mit uns und um uns herum passiert. Das ist manchmal anstrengend und braucht Zeit.
Und abschließend: Was wünscht du dir für die Zukunft der Arbeit und vor allem der Arbeitenden?
Ich wünsche mir, dass all die Diskussionen, die wir zurzeit führen tatsächlich zu mehr individuellen Freiheitsgraden führen. Aber natürlich systemisch gedacht, deshalb will ich es mal „ausbalancierte Freiheitsgrade“ nennen.
Und auch wenn das sehr theoretisch klingt: Ich würde mir wünschen, dass es keine rein akademische Diskussion bleibt, sondern bei allen ein Stück davon ankommt. Ich habe im vergangenen Jahr einen Workshop mit von Armut Betroffenen moderiert. Das wichtigste war hier: einen wertvollen Beitrag leisten, um an der Gesellschaft teilhaben zu können. Das sollte 4.0 aus meiner Sicht auch leisten.
Ich danke Euch beiden für so ein anspruchsvolles, wertvolles und motivierendes Interview. In vielen Antworten habe ich mich wieder gefunden, und das obwohl ich gar nicht von geschlechtsspezifischem Verhalten im Bereich der eigenen Lebensvorstellung überzeugt bin.
Und wenn Deine Kollegin mal in der Nähe von Bremen ein After-Work Seminar gibt, bin ich die erste auf der Anmeldeliste
Liebe Indre, danke dass du hier immer wieder so interessante Frauen vorstellst. Es macht wirklich große Freude die Interviews zu lesen – ich nehme mir stets etwas daraus mit!