KW 35 #Berlin ist dazu verdammt, immerfort zu werden und niemals zu sein (Karl Scheffler)

29. August 2014
Der Sanierungsplan für das Gebiet Schöneberg-Bülowstraße aus dem Jahr 1974. Die Zahlen zeigen die Jahre an, in denen der Abriss geplant ist bzw. vollzogen wurde. Rot markiert ist der Seitenflügel, in dem die Legende vom brennenden Künstlerhaus spielt. Obgleich nicht zum Abriss geplant, verschwand er 1985/86.

Neben mir stapeln sich Bücher über und Dokumente aus Schöneberg. Stadterneuerung 1974, Sanierungsgebiet Schöneberg-Bülowstraße 1976, 1980, 1984 … ich habe den Seitenflügel endlich gefunden, in dem einst die Künstler/innen gewohnt haben müssen. Es gab ihn also wirklich (siehe rote Markierung). Und auch die wahre Geschichte hinter dem Mythos vom brennenden Künstlerhaus schält sich nach und nach heraus. Ich grabe weiter. Das Graben ist – wie die Entwicklung der Berlins – eine Achterbahn.

Seit ihrem vergleichsweise kurzen Bestehen [als Groß- und Hauptstadt existiert Berlin erst seit 1701] durchlebt die Stadt einen ständigen Wechsel zwischen Boom und Schrumpfung, angesagt und abgemeldet. Und so hat die Aussage des Kunstkritikers und Publizisten Karl Schefflers aus dem Jahr 1910 bis heute nichts an ihrer Aktualität eingebüßt:

Berlin [ist] dazu verdammt: immerfort zu werden und niemals zu sein.‘ 
aus: Berlin – ein Stadtschicksal, Karl Scheffler, 1910

Ich folge diesem Werden durch die Fenster der Bülowstraße 90 und schwanke dabei zwischen Staunen, Erleichterung, Optimismus und Sorge. Dass die Vision der ‚autogerechten Stadt‚ beispielsweise nicht Wirklichkeit wurde, erleichtert mich sehr. Die aktuellen Entwicklungen am Immobilienmarkt hingegen weisen manch beunruhigende Parallele zu vergangenen Zeiten auf. So etwa zu Westberlin in den 1970er Jahren. Damals wie heute trieben Spekulationen die Mieten in die Höhe und die Mieter/innen aus ihren Häusern. Der Spiegel berichtet 1973 über die dubiosen Geschäfte mit dem Betongold; die ARD fragt 2014 Wem gehört die Stadt?. Damals formierte sich Widerstand: Ende der 1970er besetzten junge Leute die leerstehenden Häuser, was zu einem Umdenken in der Stadtentwicklungspolitik führte. Heute gibt es keine leerstehenden Häuser, aber auch manche Gegenbewegung. Ob sie etwas bewirkt und wohin sie führt, lässt sich noch nicht absehen.  

Und mit diesem Wochenrückblick wünsche ich allen ein schönes Wochenende!

Die Stadtautobahn über Wilmersdorf.

1 Comment

  • 10 Jahren ago

    Diese Stadt ist, wie du schon gesagt hast, ständig im Wandel. Eine Seite ihres Charmes. Es ist nicht nur in Schöneberg so. Gut ist das es immer wieder zum umdenken kommt. Wie unsere Stadt wohl aussehen würde, wenn nicht?!
    Die Spekulationen heute machen mir schon Sorgen, unsere Kinder finden keinen günstigen Wohnraum mehr, es sei denn sie gehen an den Stadtrand. Aber da will keiner hin…
    Liebe Grüße
    Andrea

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