»Geht doch« von Hazel Rosenstrauch

12. April 2017

Jeden 2. {manchmal auch 3.} Mittwoch im Monat wendet sich Hazel Rosenstrauch mit kulturhistorischer Anteilnahme dem aktuellen »Weltgeschehen« zu. Ihre erste Glosse drehte sich um Kommunikationsformen im Wandel der Zeit, die zweite kreiste um die Frage von Engagement und Haltung in unübersichtlichen Zeiten. Heute geht es um das renovierungsbedürftige Europa, um Mangelwaren, Merchandising und neue Kundgebungsformen.


»Geht doch«
Hazel Rosenstrauch

Von einem dieser viel zu hohen Berge aus Büchern, Broschüren und sonstigem Papier fiel mir neulich »Wir sind Europa. Streitschrift gegen den Nationalismus« von Evelyn Roll entgegen. Ich hatte das vor gut einem Jahr gelesen und war, davon angeregt, zur Vertretung der Europäischen Kommission Unter den Linden gegangen. Dort fragte ich eine Empfangsdame {wie man das früher nannte}, ob es bei ihnen irgendwelche Dinge gebe, mit denen man für Europa werben könnte, Fahnen, Sticker oder sowas. Sie sah mich erstaunt an, riet mir dann, in Touristen- oder Fahnen-Shops nachzufragen und meinte nach kurzem Nachdenken, das wäre eine gute Idee. Vor einem Jahr war es noch kompliziert, EU-Fahnen zu besorgen; bei mir um die Ecke fand ich in dem Laden, der Kostüme für Karneval, Kürbisfeste und Ähnliches führt, ganz weit hinten billige Papierfähnchen {10 Stück 1,- €}.

Wie es so meine Art ist, erzählte ich Freunden von diesem Versuch und fand wenig später eine sehr große Fahne, eingeschweißt in Plastik, im Postkasten. Ohne Absender. Wie sich dann herausstellte, hatte Freund Clemens sie besorgt, via Internet. Er erklärte mir auch, es sei gar nicht so einfach gewesen, fündig wurde er ausgerechnet in Großbritannien – das war noch vor dem Brexit. Ich habe sie über den Balkon gehängt, mit Steinen beschwert, weil der Wind sie immer wieder hochgehoben und über meine Pflanzen gebreitet hat.

Pulse of Europa #pulseofeurope (c) Athanasia Rousiamani
© Athanasia Rousiamani

Ich wollte ja nicht schon wieder über Politisches schreiben, ich nenne es lieber eine allgemeine Angelegenheit: Am 2. April ging ich – nach gefühlten 30 Jahren {zuletzt war es wegen Tschernobyl} – erstmals wieder demonstrieren. Man lebt ohne Facebook und Twitter offenbar hinter dem Mond, ich erfuhr von #pulseofeurope erst durch eine Freundin aus Mannheim, dabei war es schon der 7. Auflauf in Berlin. Und ich sah: ein Meer aus Fahnen, es gab Luftballons und Sticker, auch einen europäischen Regenschirm {der als Sonnenschirm genutzt wurde}. Ein {mir} unangenehmes Plakat wurde pünktlich um 14.00 eingezogen, der Halter freundlich aufgefordert, abzudampfen.

Es wurden keine Parolen skandiert und keine ideologischen Belehrungen aufs Volk hinunter gegossen, sondern Sympathieerklärungen für Europa abgegeben; multinationale Paare stellten sich vor, die sich über Erasmus kennengelernt haben, ein Engländer bat, nett zu seinen Landsleuten zu sein. Man soll wählen gehen, mitgestalten und den Mund aufmachen – es wird keine Partei empfohlen, sie soll nur europafreundlich sein. Ich habe gehört, dass sich schon mehrere Politiker bei den pulseofeurope-Leuten gemeldet hätten und gerne mitmachen {vor allem vor dem wachsenden Publikum eine Rede halten} möchten und die Veranstalter ablehnten. Es geht ihnen um neue Formen. Die Sympathiebekundung für ein gemeinsames, durchaus renovierungsbedürftiges Europa dauert nur eine Stunde, man kann vorher und nachher noch was unternehmen. Am Schluss sagten die Veranstalter noch durch das viel zu laute Mikrophon: »Bringt Europa in die Debatte« – was ich hiermit tue.

Der Ausflug hat mich gereizt, nochmals bei der EU-Vertretung vorbeizuschauen, und siehe da, sie haben inzwischen auch Fähnchen. Auf meine Nachfrage erfuhr ich, dass diese Neuerung durch #pulsofeurope angestoßen wurde. Der junge Mann sagte mir auch, sie hätten nicht viel, weil das teuer sei und die EU kein Geld habe! Auf dem Weg zurück von meiner Erkundung fiel mein Blick auf eine Werbung für Europa an einem Laternenpfahl, mit der Aufschrift »Sorry, we’re late«. Ich habe mir dann mit Verspätung, surfend im Netz, Buchmessen-Gesprächen angehört und stieß auf Andre Wilkens: »Der diskrete Charme der Bürokratie. Gute Nachrichten aus Europa«. Der Mann ist in der DDR aufgewachsen und hat die Freiheiten Europas ausführlich genossen.

Er erzählte auch, dass man ihm, als er sein Projekt einem Verlag vorstellte, sagte: »Europabücher laufen nicht«. Er setzte sich durch, weil er den Leuten versprach, 2017 werde die Wende in den Diskussionen über Europa bringen. Er hat sehr gelacht, als er das erzählte und Beispiele aufzählte, die seine Weissagung inzwischen bestätigen. Und deshalb fällt mir jetzt auch wieder ein, dass wir {ich mithilfe meines Sohnes, der sowas kann} kurz vor dem Brexit über EU-Fahnen nachgedacht und ein paar unvollkommene Vorschläge für neue Formen entworfen haben:

»EUmoj-Flaggen« © Hazel Rosenstrauch | Beitragsbild © Yoyope  

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