Vor fast genau zwei Jahren erblickte »schmasonnen« das Licht der virtuellen Welt. Drei Anläufe hatte Schirin Jäger genommen, bis sie sich am 27. Dezember 2014 entschloss, die »Welt« an ihrem »täglichen Leben mit ihrer kleinen Familie in der schönsten Hansestadt der Welt« teilhaben zu lassen. Sie war sich im bewusst, dass sie nicht eben eine Marktlücke trifft.
Und Schirin sollte recht behalten. In den vergangenen zwei Jahren hat sie sich mit »schmasonnen« einen festen Platz in der »Einrichtungs-Blogosphäre« erobert.
Wie und warum das Thema »Wohnen und Einrichten« ihr nicht nur persönlich am Herzen liegt, sondern auch oder sogar vor allem beruflich – darum geht es u.a. im heutigen Montagsinterview. Vielen Dank, liebe Schirin, für die spannenden Einblicke!
Wer und was steckt hinter »schmasonnen«?
schmasonnen, das bin ich, Schirin. Wie dieser Name genau entstanden ist, kann ich Dir gar nicht sagen. Ich weiß, dass ich ihn als Benutzernamen bei der Wohncommunity »SoLebIch« angegeben habe. Aber eine richtige Anekdote kann ich dazu nicht erzählen. Mit diesem Namen begann mein Treiben in sozialen Netzen und ich es ganz gut fand, dass ich meine Identität dadurch ein wenig verstecken konnte. Mittlerweile stört es mich nicht mehr so sehr, so dass ich gerne erzähle, wer schmasonnen eigentlich ist.
Ich bin 37 Jahre alt, verheiratet, Mutter und von Beruf Diplom-Heilpädagogin. Seit einiger Zeit bin ich in der Nähe von Bremen als Pädagogische Leiterin für das Wohnangebot für Menschen mit geistiger Behinderung tätig. Nebenbei schreibe ich auf dem Blog Schmasonnen über mein Lieblingsthema Wohnen, das mir im persönlichen wie im beruflichen Kontext sehr am Herzen am liegt: Ich habe die Vision, dass Menschen mit Behinderung leben, arbeiten und wohnen können, wie sie es möchten, ohne Einschränkung. Das ist hier in Deutschland leider immer noch keine Selbstverständlichkeit.
»Wohnen steht für Geborgenheit, Eigenständigkeit und die Möglichkeit ein selbstbestimmtes Leben zu führen.«
Was magst du an deiner Arbeit besonders? Was wünscht du dir bisweilen anders?
Menschen mit Behinderung sollen genauso leben, wohnen und arbeiten können, wie Menschen ohne Behinderung. Dieses Grundrecht der uneingeschränkten Teilhabe am Leben in der Gesellschaft verlangt die UN-Behindertenrechtskonvention, die in Deutschland im Jahr 2009 in Kraft getreten ist. Leider sieht es in der Praxis nicht immer so aus, dass unabhängig vom Behinderungsgrad Menschen mit Handicap uneingeschränkt am Leben aller teilhaben können. Aber genau dieses Ziel zu erreichen, macht mir große Freude an meiner Arbeit.
Es geht darum, die Wünsche und Lebensvorstellungen ernst zu nehmen, Inklusion zu ermöglichen und das alles auf Augenhöhe. Menschen mit Behinderung sollen selber bestimmen können, wie sie leben und arbeiten möchten. Unsere Aufgabe ist es, gemeinsam mit unseren Kund/innen die dafür passenden Unterstützungsangebote zu »stricken«.
Mich beeindruckend es immer wieder, wie selbständig viele unserer Kund/innen durch die entsprechende Assistenz geworden sind und von einer 24-Stunden-Betreuung, den Weg in eine eigene Wohnung mit stundenweiser Betreuung, geschafft haben. Leider ist es sehr schwer, diese Möglichkeit für Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf umzusetzen. Hier fehlt es noch an entsprechenden finanziellen und personellen Möglichkeiten. Wie sich das neue Bundesteilhabegesetz auf diese Situation auswirkt, bleibt abzuwarten. Es gibt viel daran zu kritisieren – und es ist nur zu hoffen, dass es zu keiner Verschlechterung der Lebenssituation führt.
Welche Art Behinderung haben die Menschen, mit denen du arbeitest und worin unterscheiden sie sich von Menschen ohne (diese) Behinderungen?
Ich arbeite vor allem mit Menschen mit geistiger Behinderung, zunehmend aber auch mit Menschen mit sogenannten Doppeldiagnosen. Letztere haben einen besonderen psychosozialen Unterstützungsbedarf. Sie unterscheiden sich nicht zu anderen Menschen. Es ist nur so, dass sie durch ihre Behinderung nicht die Möglichkeit haben, uneingeschränkt am Leben aller teilzunehmen. Dass bedeutet, dass sich die Umwelt –also der so genannte Sozialraum – dem Unterstützungsbedarf anpassen muss. Wenn zum Beispiel ein junger Mann mit einer geistigen Behinderung den Wunsch hat, mit seiner Freundin in einer eigenen Wohnung zu leben, er aber Hilfe beim Einkauf, im Haushalt oder bei Behördenangelegenheiten benötigt, dann müssen sich die Bedingungen des Sozialraums entsprechend anpassen. Es ist also nicht der Mensch mit Behinderung, der sich von nichtbehinderten Menschen unterscheidet, sondern seine Umwelt unterscheidet sich von der Umwelt nichtbehinderter Menschen.
Auf deinem Blog schreibst du über Interior, Bremen, Familie und Co. Warum nicht über deine Arbeit?
Wohnen ist ein Thema, das mich über meine Arbeit hinaus fasziniert – auf meinem Blog aber einfach anders. Also trenne ich diese beiden Welten voneinander. »schmasonnen« ist mein Ausgleich zu meiner Arbeit. Schon während meines Studiums habe ich mich für skandinavisches Design interessiert und es fasziniert mich immer noch sehr. Mit meinen Bildern versuche ich zu inspirieren, denn auch ich hole mir viel Inspiration von anderen Blogs.
Irgendwie haben mein Blog und meine Arbeit dann aber doch miteinander zu tun, denn Wohnen bedeutet vielmehr als nur ein Dach über den Kopf zu haben. Es steht für Geborgenheit, Eigenständigkeit und der Möglichkeit ein selbstbestimmtes Leben zu führen.
Auf der Arbeit kommt mir meine Blog-Erfahrung insbesondere dann zugute, wenn ich beim Aussuchen entsprechendem Wohnraums assistiere. Umgekehrt profitiere ich beim Bloggen von meiner Arbeit, da mir dadurch mir klar wird, was für Menschen beim Wohnen eigentlich wichtig ist.
Du lebst mit deiner Familie in Bremen. Was macht die Stadt für dich lebens- und liebenswert? Worauf könntest du gut und gerne verzichten?
Bremen hat vor allem architektonisch viel zu bieten. Neben den wohl bekanntesten Bauten im Zentrum, dem Rathaus und dem Dom ist es vor allem der Stil des »Altbremerhauses«, welches das Stadtbild so prägt. Und auch die Menschen sind sehr offen und tolerant. Inklusion ist hier ein wichtiges Thema und auch schon in vielen Bereichen umgesetzt. Seit kurzem gibt es hier zum Beispiel auch ein Restaurant, in dem Menschen mit und ohne Behinderung arbeiten, ein sehr beeindruckendes Projekt.
Darüber hinaus entsteht in einem Bremer Stadtteil, der Neustadt eine tolle neue Cafészene mit innovativen Ideen und Konzepten. Das ist für Bremen wirklich neu, denn solche Konzept-Gastronomien haben es hier in der Hansestadt nicht einfach. Die Cafékultur ist hier sehr traditionell geprägt und viele neue Cafés sind leider an dieser Tradition gescheitert. Umso schöner ist es mitzuerleben, dass jetzt Cafés als Orte der Begegnung entstehen – mit gutem Kaffee und kulturellen Angeboten.
Im Großen und Ganzen bin ich wirklich sehr zufrieden mit dieser Stadt. Natürlich ist es auch mir ein Dorn im Auge, dass unser Bildungsstand so schlecht ist. Hier muss sich dringend was ändern, auch und in der Kinderbetreuung, die ist im Vergleich zu anderen Großstädten (a) sehr teuer und (b) schlecht ausgebaut. Zunehmend stört mich auch, dass der Drogenkonsum im ehemaligen Vorzeige-Quartier »Bremer Viertel« so massiv angestiegen ist und es scheinbar kein Mittel dagegen gibt. Wir wohnen zwar nicht in diesem Viertel, aber wir sind häufig dort und es fällt mir schwer, mit meinen Kindern durch die Straßen zu gehen, denn Alkoholismus und Drogen sind hier an der Tagesordnung – zu jeder Zeit.
Was bedeutet dir das »schöne Wohnen« und was macht wohnen für dich schön?
Schön ist immer individuell. Schön mag für mich anders sein als für Dich. Wichtig ist, dass man sich mit seinem Wohnstil identifiziert und vor allem nicht jedem Trend hinterherrennt. Ein eigener Wohnstil hat meiner Meinung nach Wiedererkennungswert und dann ist dieses Wohnen für mich auch schön.
Was wünscht du dir zu Weihnachten und für das neue Jahr?
Vor allem Zeit mit meiner Familie und mit meinen Freunden. Seit der Geburt meiner Tochter vor ca. einem Jahr habe ich das Gefühl, die Zeit rennt nur so an mir vorbei. Weihnachten werden wir ein bisschen innehalten, Stunden in der Natur verbringen, uns auf dem Weihnachtsmarkt verabreden und den Geruch von gebrannten Mandeln, Feuer und Zuckerstangen einatmen und den Moment genießen.
Für das kommende Jahr wünsche ich mir weniger Populismus, weniger Hassprediger und wieder mehr gesellschaftliches Miteinander. Was das neue Bundesteilhabegesetz für Menschen mit Behinderung bringen wird, ist abzuwarten. Es wird zu Beginn des neuen Jahres in Kraft treten, mit allen kritischen und lobenden Veränderungen. Nur darf es nicht dazu kommen, dass es zu einer Verschlechterung der Lebenssituation führt. Dass ist auch ein dringender Wunsch für das kommende Jahr.
Wirklich toll danke für diesen spannenden Text und die Einlicke!
Super Interview macht wirklich Spaß zu lesen.
Ein wirklich schönes und interessantes Interview, liebe Indre. Ich mag es sehr, dass es bei dir immer etwas tiefgründiger zugeht ♡ Und Schirins Stil find ich schon seit meinen So leb ich-Anfängen ganz toll! Lieben Gruß Lisa
Danke liebe Indre für dieses tolle Interview! Ich hatte das Vergnügen Schirin bereits kennenzulernen und freue mich auf diesem Weg noch mehr über sie erfahren zu haben! Und ich muss es jetzt mal schnell sagen, ich liebe deinen Blog und lese ihn als einen der wenigen noch regelmässig!!!
LG Nina
wow! was für ein facettenreiches interview. ich musste sehr oft zustimmend hinter dem bildschirm nicken. ich schaue gleich mal rüber.
liebe grüße,
jule*
Immer schön, die Menschen hinter den Blogs ein wenig „kennen zu lernen“. Danke für das Interview!
Liebste Grüße
Eva
Ach, was freue ich mich, Schirin hier bei Dir zu finden. Und es tut so gut, über die Aspekte von Wohnen zu lesen, die bei der gern replizierten Oberflächlichkeit oft zu kurz kommen: Lebensraum, Gemütlichkeit und Miteinander. Und das für alle! Danke Euch beiden für diesen wichtigen Gedankenanstoss. Herzlich, anni***
Vielen Dank für die Fragen, Indre, und die so interessanten Einblicke, Schirin! Meine pädagogische Ausbildung ist Passion und die Verbindung zum Wohnen, meinem Jetzt-gerade-Job als Architektin, so viel näher als viele erstmal denken… Ach, es tut gut die Worte in Gedanken nachzufühlen.
Liebe Grüße x 2
Maren