Design made in GDR: Die neue Serie

6. April 2016
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Becher von Hedwig Bollhagen | Schaukelwagen von Hans BrockhageSchichtholzstuhl von Erich Menzel | Glasschalen von Margarete Jahny | Rupfentier Nilpferd von Renate Müller

Ein Zufall war’s – mal wieder – der mich zum „Alltagsgeschirr“ von Hedwig Bollhagen und den nach ihr benannten HB-Werkstätten für Keramik führte. Von dort war der Weg zum „DDR-Design“ nicht weit und meine Neugier erwacht. Schon nach kurzer Recherche war klar: Das ist ein weites Feld – zu weit als dass es mit einem Blogpost getan wäre. Also habe ich mich entschieden, eine kleine Serie zu starten.

Ab heute stelle ich hier also regelmäßig eine/n Designer/in, einen Gestaltungsansatz und/oder ausgewählte Designstücke aus der DDR vor. Wenn ihr/Sie Wünsche, Anregungen oder Ideen habt/haben für ein Objekt, eine/n Designer/in oder einen Designansatz – immer gerne!

Die erste Begegnung

Meine erste Begegnung mit Design „made in GDR“ ereignete sich während meines Studiums.* Bis dato gehörten die beiden Begriffe für mich nicht wirklich zusammen. Mein Wissen begann beim Eierbecher in Hühnerform und endete direkt vor der „Platte„.  Die Welt dazwischen war mir unbekannt. Dabei ist sie (nicht nur im übertragenen Sinne) groß. Sie ist jedoch auch „schwierig“, und dieses „Schwierige“ ist wohl ein Grund für ihre anhaltende Unbekanntheit wie auch Unbeliebtheit.


*Ich habe (im 1. Hauptfach) Kulturwissenschaft mit Schwerpunkt Ästhetik bei Karin Hirdina [*1941; †2009] studiert – eine großartige Lehrerin. Pathos der Sachlichkeit hieß ihr 1981 veröffentlichtes Buch, das wesentlich zur Versachlichung der Formalismus-Debatte in der DDR und einer Neubewertung des Bauhauses beitrug. Der Titel trifft jedoch ebenso gut auf sie selbst zu. Ob als Lehrende oder als Forschende, stets widmete sie sich ihrer Arbeit mit sachlicher Leidenschaft und leidenschaftlicher Sachlichkeit. Ich vermisse sie. Ihr präzises Denken, ihr messerscharfer Verstand und ihr konstruktiv-kritischer Geist fehlen – heute, da das pauschale Denken wieder Hochkonjunktur hat, umso mehr. 


Es ist kompliziert

Nach Meinung der SED-Parteiführung hatte Design (ebenso wie Kunst) im Dienste der „deutschen Kulturnation“ zu stehen und „dem opti­mis­ti­schen Lebens­ge­fühl des sozia­lis­ti­schen Men­schen“ Ausdruck zu verleihen (Nachtigall, ick hör dir trapsen).

Das ist ein klares Bekenntnis gegen die künstlerische bzw. gestalterische Freiheit. Man könnte also sagen, die Unfreiheit steckt in jedem Designobjekt aus der DDR – und welche/r Sammler/in will schon die vergegenständlichte Unfreiheit in seiner Wohnung haben?

Doch darum das „DDR-Design“ pauschal verurteilen oder weiterhin ignorieren und in den Archiven verstauben lassen? Ich denke nicht.

Maximalen Gebrauchswert schaffen

Auch wenn es „kompliziert“ ist, lohnt der differenzierte Blick. Bei Weitem nicht jedes „Design made in GDR“ ist affirmativ, also system- und ideologiebejahend. Viele Entwürfe entstanden in der kritischen Auseinandersetzung mit dem DDR-System, das für zahlreiche Designer/innen mit Repressionen verbunden war.

Ihre Gestaltungsansätze, die (nicht allein der Mangelwirtschaft wegen) darauf aus waren, mit einem Minimum an Ressourcen ein Maximum an Gebrauchswert zu erzielen, können auch – oder gerade heute – wertvolle Impulse für ein zukunftsfähiges Design liefern.

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Liege und Musikanlage von Rudolf Horn | Bildquelle: jeder-qm-du.de 

Im Industriesektor wären etwa Rudolf Horn oder Karl Clauss Dietel hervorzuheben. Bereits in den 1960er Jahren haben sich die beiden Gestalter mit der Frage auseinandergesetzt, wie die sich wandelnden Bedürfnisse der Nutzer/innen integriert und die Funktionalität eines Produkts dauerhaft erhalten bleiben kann (womit sie in der DDR keine Ausnahme waren).

Ihre Antworten nehmen aktuelle Tendenzen im Bereich des nachhaltigen Designs und der nutzerzentrierten Produktentwicklung vorweg (Stichwort: Co-CreationCo-Production). Dabei kann man Horn als Vordenker des „Prosumenten„, Dietel als Pionier des nachhaltigen Designs sehen.

Frühes nutzerzentriertes Design

Viele ihrer Entwürfe scheiterten an der staatlichen Zensur, der eine funktional-schlichte Formensprache lange Zeit verdächtig war (siehe: Formalismus-Debatte).

Doch manche Idee fand am Amt für Industrielle Formgestaltung (AID) vorbei in die Serienproduktion – nicht selten da sie sich zum Exportschlager entwickelte und dem Staat die dringend nötigen Devisen einbrachte. So etwa Horns bis heute ästhetisch überzeugendes „Möbelprogramm Deutsche Werkstätten (MDW)“ oder die von dem Designerduo Dietel und Lutz Rudolph entworfene Radioanlage für die Firma Heli Radio (die allerdings auch die/der „durchschnittliche“ DDR-Bürger/in erwerben konnte).

Der Tischler, Innenarchitekt und Ingenieur Horn erkannte schon früh den „schöpferischen Mitgestalter“ im Nutzer. Damals war die Verschmelzung von Konsument und Produzent noch undenkbar. [Quelle] Seine in den 1960er Jahre entwickelten modularen, multifunktionalen Möbelprogramme sind das bekannteste Ergebnis dieses frühen „User-Centered Designs„.

Der Käufer ist in der Lage, über einen langen Zeitraum Möbel der gleichen Serie zu kaufen, die praktisch hunderte Gestaltungsvarianten ermöglichen.

Rudolf Horn über das „Möbelprogramm Deutsche Werkstätten“

Variables Wohnen

Noch spannender und geradezu wegweisend für das heutige Bauen finde ich jedoch sein Konzept des „Variablen Wohnens“ von 1969/1970. Es räumte den Bewohner/innen die größtmögliche Gestaltungsfreiheit ein und nahm die Idee des flexiblen Raums, wie er heute etwa im Design Thinking Anwendung findet, schon früh vorweg. 

Grundlage des „Variable Bauens“ war der leere Raum. Einzig das Bad (die „Nasszelle“) war darin fix vorgesehen. Raumaufteilung und Zimmergestaltung oblagen ganz und gar den Bewohner/innen. Mithilfe flexibler Wände und des modularen Möbelsystems AM20 konnten sie den Raum entsprechend ihrer Bedürfnisse und Vorlieben selbst gestalten.

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oben: Experimentalbau für variables Wohnen in Dresden (1973) | unten: Die variable Wohnung (1969) | Bildquelle: Burg Halle

Trotz des großen Interesses an Horns Konzept kam es nie über die Testphase hinaus. Vielleicht hat es heute, da bezahlbarer Wohnraum wieder knapp und nicht zuletzt durch die Flüchtlinge sehr unterschiedliche Wohnbedürfnisse unter einen Hut zu kriegen sind, eine neue Chance.

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Rundfunkgerät rk5 sensit mit Lautsprecher K20, HELIRADIO Gerätebau Hempel KG Limbach-Oberfrohna, K.C. Dietel/L. Rudolph, 1967-69 | Bildquelle: Stiftung Industrie- und Alltagskultur

Das offene Prinzip

Die Frage der Nutzerbedürfnisse durchzieht auch die Arbeit des gelernten Maschinenbauers und studierten Kraftfahrzeugingenieur Karl Clauss Dietel, der sie darüber hinaus mit dem Aspekt der Langlebigkeit verband.

Seine Überlegungen hierzu kulminieren etwa im Begriff der „Gebrauchspatina„. Demnach soll ein Gegenstand so gestaltet werden, dass die Spuren seines Gebrauchs ihn auf- statt abwerten, er also sozusagen mit dem Alter schöner bzw. besser würde. An diesem Ansatz wurde nicht ganz zu unrecht kritisiert, dass es weniger um eine Frage der Gestaltung als vielmehr um die Haltung der Nutzer/innen zum Gegenstand ginge.

Eine Frage der Gestaltung ist auf jeden Fall das von ihm formulierte „Offene Prinzip„. Ein nach diesem Grundsatz gestalteter Gegenstand zeichnet sich nach Dietel durch die großen fünf L aus.

Langlebig, leicht, lütt (klein), lebensfreundlich und leise

Die Gestaltungskriterien des „offenen Prinzips“ nach Dietel

Unter rein formal-ästhetischen Gesichtspunkten könnte man im iphone vielleicht ein „offenes Produkt“ erkennen. Es ist leicht, lütt und leise. Aus technisch-ökologischer Perspektive ist es jedoch exakt das Gegenteil, da es sich weder warten, noch reparieren und technisch erneuern, also auf einen technisch höheren Stand bringen lässt. Nun hat Dietel nie ein Mobiltelefon entworfen; hätte er es aber getan, wäre es vermutlich das Fairphone geworden.  

Exemplarisch für „seinen“ Designansatz steht das Kleinkraftrad Mokick S 50. Gemeinsam mit Lutz Rudolph hat er dies 1967 für die Firma Simson Suhl entwickelten. Die einzelnen Bauteile passten in sämtliche Modelle und Fahrzeuggenerationen und waren in verschiedenen Varianten verfügbar. Die Nutzer/innen konnten das Moped also individuell anpassen.

Außerdem ließen sich Reparaturen oder der Austausch von Einzelteilen ohne große technisch-mechanische Vorkenntnisse selber machen. Damit ein Dietel ein Design geschaffen, das auch das Do-It-Yourself-Prinzip integrierte.

Ich bin sicher: Mit derlei Dingen ließe sich leichter ein „enkeltaugliches Leben“ führen.

4 Comments

  • 9 Jahren ago

    Liebe Indre, du hast Erinnerungen in mir geweckt. Ja, im anderen Teil Deutschlands gab es viele gute Kunsthandwerker und Künstler, obwohl Selbständigkeit nicht gerne gesehen wurde. Die erzgebirgischen Spielzeugmacher wurden auch genötigt, sich in "Genossenschaften" (PGH -Produktionsgenossenschaften des Handwerks) zu begeben. Es gab kleine Galerien, in denen manchmal solche schönen Dinge wie die Keramik von Hedwig Bollhagen verkauft wurde, Raritäten damals. Ich habe auch eine Zitronenpresse von ihr, die ich hüte, meine Eltern besitzen kleine Schüsseln aus ihrer Produktion. Die Burg Giebichenstein (Die Burg) war zu meiner Zeit schon eine der wenigen Hochschulen für angewandte Kunst und hatte auch einen Laden in Magdeburg, wo es mich zwecks Studium hinverschlagen hat. Es war ein Jugendtraum, auf Giebichenstein zu studieren. Leider nicht wahr geworden. Wie das damals so bei uns war, evangelisch, …
    Ich bin überzeugt, dass ein gewisser Mangel damals zur Kreativität beitrug.
    Liebe Grüße, Sabine

  • 9 Jahren ago

    Ich freue mich schon sehr auf die Serie. Hier in Schwerin kann man u.a. Bollhagen-Keramik im Formost (https://www.formost.de/home/device.desktop/lang.de/) kaufen. In Oranienburg gibt es übrigens eine Dauerausstellung zur ihrer Manufaktur! LG Linnea

  • 9 Jahren ago

    Das Nilpferdchen hatten meine Eltern für die Enkelkinder in der Wohnung stehen… Und da Manches der dann doch nicht in Serie gegangenen "flexiblen" Wohnungseinrichtungen doch einen Auftritt in "Kultur im Heim" hatte, wurde einfach selber gebaut… Unsere sechs 65 x 65 x 40 cm großen "Würfel" aus 2 cm dicken Hartfaserplatten waren jahrelang täglich wahlweise Bett und Sitzecke mit Tisch und jede Menge Stauraum für Zelt, Weihnachtskram, Saison-Kleidung etc. im Studenten- und auch noch eine Weile im Hausleben… – Ja, von Nachhaltigkeit wussten wir damals nichts, aber geübt haben wir schon mal… (um dann doch – zunächst – in den "Man-kann-jetzt-alles-kaufen…."-Rausch zu verfallen. Hatte sich aber zügig erledigt, jedenfalls bei mir. Tolle Serie wird das! Lieben Gruß Ghislana

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