In Bowies Radspuren VII: Kunst, Kunst, Kunst – und Schluss!

4. März 2015

Die Potsdamer Straße ist Phänomen: Man kann tagelang auf der Stelle treten und kommt trotzdem immer woanders an: bei Berlins Neubauwahnsinnigen oder seinen Hausbesetzern, bei den Junkies, Huren und Zuhältern oder auf- und untergehenden Traditionsunternehmen, in neuen Kneipen, alten Bars und bunten Bücherläden oder bei Malern, Mädchenschulen und Musiklegenden. Kaum eine andere Straße Berlins hat so viel Geschichte und Geschichten. Sie wuchern und wurzeln – gestapelt, gepresst und geschichtet – in Zeit und Raum. Insofern ist es eigentlich unmöglich, dass die Erkundung der Straße jemals zu einem Ende kommt. Doch heute nun ist es soweit: Die Tour in oder auf Bowies Spuren endet.

Die letzten 650 Meter beginnen an der Pohlstraße und enden ‚Am Karlsbad‘. Dort nämlich trennen sich Bowies und mein Weg. Der Popheld bog hier – laut Tobias Rüther – rechts ab Richtung Köthener Straße zu den Hansa Tonstudios. Mein Weg hingegen führt weiter geradeaus quer durch das so genannte Berliner Kulturforum, diesem Paradebeispiel missglückter Städteplanung, zum Potsdamer Platz. Was als kunstreiches Gesamtensemble gedacht war, ist ein zusammenhangsloser Flickenteppich aus großartigen Einzelarchitekturen (Neue NationalgaleriePhilharmonieStaatsbibliothek etc.) und mehrspurigen Schnellstraßen, für den bis heute kein überzeugendes Gestaltungskonzept vorliegt. Doch zurück zum Ausgangspunkt.

Nicht nur die Pohlstraßein der der letzte Tourenabschnitt endete, hat sich in den letzten fünf Jahren zum Kunstmekka gemausert. Auch auf der Potsdamer Straße haben sich zahlreiche namhafte Galerist/innen niedergelassen. Einer von ihnen ist Alfons Klosterfelde.

Der studierte Jurist aus kunstgewogenem Hause verkauft – die Familientradition fortführend – in der Potsdamer Straße 97, wo bis vor wenigen Jahren Büro- und Schreibwaren über die Ladentheke gingen, Künstlereditionen. Nach Schließung des Papierhauses Vincenz Sala im Jahr 2011 hat der junge Galerist den Laden mitsamt des alten Namens und der Originaleinrichtung übernommen. Die stammt von 1938, dem Jahr als der Buchdrucker und Schreibwarenhändler Sala die neuen Geschäftsräume bezog. Sein alter Laden im Haus Nr. 53 war dem Welthauptstadt-Wahn der Nazis zum Opfer gefallen. Denkbar, dass Bowie hier ein ums andere Mal Mal- und Schreibzeug kaufte.
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Tordurchfahrt Potsdamer Straße 98

Alfons Klosterfelde ist beileibe nicht der einzige Galerist in der Gegend. Allein auf dem halben Kilometer von der Pohlstraße zum Landwehrkanal liegen 19 (sic!) weitere namhafte Galerien: Nur wenige Meter weiter, in der Nr. 87 hat sich ARRATIA BEER niedergelassen. Linker Hand in der Nr. 98 finden sich die KROME GALLERY und Figge von Rosen. Im 2. Hinterhof des imposanten Altbaus befindet sich die außerdem Galerie P98a von Erik Spiekermann, dem bekannten Gestalter, Typograf und Autor. Er präsentiert hier seine gesammelten Druckerpressen und versucht die Technik des Buchdrucks ins digitale Zeitalter zu transferieren.
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Im selben alten Backsteingebäude hat weiterhin die Tochter des berühmten Malerfürsten Markus Lüpertz und der Kölner Galeristin Jule KewenigAnna Jill Lüpertz, ihre gleichnamige Galerie eröffnet. Nicht unpassend, denn einst war hier eine renommierte Mal- und Zeichenschule für Frauen zuhause. 1893 wurde sie im Auftrag zweier Frauenorganisationen erbaut: dem Verein der Künstlerinnen zu Berlin (VKKB), dem ältesten heute noch existierende Zusammenschluss bildender Künstlerinnen in Deutschland, und dem Viktoria-Lyceum, das die in Deutschland lebende Engländerin Georgina Archer 1868 zum Zwecke der akademischen Weiterbildung von Frauen gegründet hatte. Namhafte Künstlerinnen wie Paula Modersohn-Becker oder Käthe Kollwitz lernten und lehrten hier bis 1911, als die Schule ein weiteres Mal umzog. Seitdem erlebte das Gebäude eine wechselhafte Nutzung, bis es 2009 von der Alexander und Renata Camaro Stiftung erworben und von der Kunst zurückerobert wurde.

Als Bowie hier mit seinem Raleigh vorbei radelte, saß unter anderem der Rotbuch-Verlag in der ehemaligen Mädchen-Malschule. Er war 1973 nach einem mehrjährigen Streit um die Art der kollektiven Verlagsführung aus dem Verlag Klaus Wagenbach hervorgegangen. Die Gründer/innen Anne Duden, F.C. Delius, Eberhard Delius und Ingrid Karsunke fanden im vierten Stock des roten Backsteinhauses ein Zuhause für den deutschlandweit einzigen kollektiv geführten Verlag. Dort blieb er bis zu seinem Verkauf an die Europäische Verlagsanstalt und dem damit verbundenen Umzug nach Hamburg im Jahr 1993.
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Eine wechselvolle Geschichte hat auch das Gebäude Nr. 96, das heute die Galerie ARNDT und das Wintergarten Varieté beherbergt. Einst stand hier das Eigentum von Franz von Lipperheide, seines Zeichens Verleger von Modezeitschriften und leidenschaftlicher Sammler antiker Waffen. Nachdem die alten Verlagsräume zu klein geworden waren, erwarb er 1874 das herrschaftliche Haus. In den großzügigen Räumen traf sich, wie Sybille Nägele und Joy Markert zu erzählen wissen, die geistige Elite der Stadt: ‚Hier war einer der bekanntesten Salons des späten 19. Jahrhunderts. Auch Theodor Fontane war unter den Gästen.‘ Rund 100 Jahre später trafen sich am selben Ort internationale Größen aus Jazz-, Blues- und Rockmusik. Auch David Bowie war hier angeblich oft zu Gast.

Lipperheides Haus wich 1913 einem Großraumkino mit 1.000 Plätzen, das nach dem Zweiten Weltkrieg als Ball- und türkischer Tanzsaal genutzt worden sein soll, bevor hier über viele Jahre Musikgeschichte geschrieben wurde. Das nach dem Pariser Studentenviertel benannte Quartier Latin eröffnete 1970 zunächst als kollektiv geführte Studentenkneipe mit Bühne. 1972 übernahmen Klaus Achterberg, Manfred (Manne) und Christa Saß den Laden und machten ihn zum Zentrum der Jazz-, Blues- und Rockmusik West-Berlins mit bundesweiter Ausstrahlung. Nico, Nena, Nina Hagen, die Lounge Lizzards oder Element of Crime – viele bekannte Bands traten hier auf und so manche internationale Musikkarriere nahm im Quartier Latin ihren Lauf.

Als das Ehepaar Saß den Club 1989 schloss, gab es mehrere Versuche, ihn fortzuführen. Klaus Niedecken von BAP versuchte es oder Holger Klotzbach von Tornados, doch ohne Erfolg. 1992 eröffneten – nach aufwendiger Umgestaltung – der Konzertveranstalter Peter Schwenkow, Roncalli-Mitbegründer Bernhard Paul und Multitalent André Heller an seiner Stelle das Wintergarten Varieté. Heller zog sich bereits nach drei Jahren zurück. Bis 2008 hatten auch Schwenkow und Paul das Unternehmen auf- und an Frank Reinhardt gegeben, der ein Jahr später Insolvenz anmelden musste. Seitdem die Arnold Kuthe Entertainment GmbH das Wintergarten Varieté 2009 übernahm, rechnet es sich wieder und hat sich als eine festes Etablissement in der Potsdamer Straße etabliert.
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Blick ins Atelier von Fiona Bennett

Gegenüber des Wintergarten Varietés, in der Potsdamer Straße 77-87, wurde von 1954 bis 2003 DER TAGESSPIEGEL gedruckt. Verlag und Redaktion saßen hier noch bis 2009. Als dann auch sie das Areal verließen, sah manch eine/r schon den endgültigen Verfall der Potsdamer Straße vorher. Doch das Gegenteil sollte der Fall sein: Nach und nach siedelten sich Luxusmode, Design und Kunst auf dem ehemaligen Zeitungsareal an und trugen maßgeblich zur Aufwertung (kritische Stimmen sprechen von Gentrifizierung) der Gegend bei. In der vorderen Halle der ehemaligen Druckerei (Baujahr 1953) eröffnete am 6. Juli 2011 Andreas Murkudis seinen luxuriösen Concept Store. Mode von Dries van Noten, Céline oder Martin Margiela finden sich hier kunstgleich ausgestellt neben Kosmetik von Aesop und erlesenen Wohnaccessoires.

In der ehemaligen Rotationshalle hat die Londoner Galerie Blain|Southern eine Dependance eröffnet und in den drei Gründerzeitvillen, die noch davon zeugen, dass hier einst eine Privatstraße zu einem Villenensemble führte, haben sich sieben weitere Galerien angesiedelt: in der Villa 81C sitzen die Galerie Florent TosinGalerie Thomas Fischer und Galerie Jiri Svestka. Die Produzentengalerie ph projectsJarmuschek + Partner401contemporary und die maerzgalerie teilen sich die Villa 81B, und in den großzügigen Hallen des 11-geschossigen ‚Turms‘ (Nr. 85) hat sich Galerie Guido W. Baudach eingerichtet.

Seit 2012 hat auch das internationale Design einen festen Platz auf dem Gelände: Die berühmte Hutdesignerin Fiona Bennett zog mit ihrem Atelier in einen der Straßenläden und das finnische Möbelunternehmen artek eröffnete sein imposantes ‚Mondial Home‘ im 10. und 11. Stock des Turms. An dessen Spitze weist seit einigen Monaten – anstelle der alten Tagesspiegel-Lettern – die Wintergarten-Leuchtschrift den Weg zum Varieté.
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Bis zum Am Karlsbad ‚kunstet‘ es unverdrossen weiter: In den Gewerberäumen des architektonisch umstrittenen Studentenwohnheims in Potsdamer Straße 61-65 (Baujahr 1969) von der nicht weniger umstrittenen Architektin und Kunstmäzenin Sigrid Kressmann-Zschach haben sich zwischen dem Büro der Integrationsbeauftragten des Berliner Senats und einer Autoglaserei die Galerien LOOCK  und Michael Janssen Berlin eingerichtet. Vor dem zweiten Weltkrieg stand an dieser Stelle das Geschäftshaus von Berlins erstem und bedeutendem jüdischen Kunst- und Auktionshauses R. Lepke – ein weiterer Beleg dafür, dass die Kunst von jeher einen festen Platz in der Potsdamer Straße hatte. 1911/1912 fand in den Räumen der Auktionäre, wie Nägele und Markert wissen, unter anderem ‚die erfolgreichste Ausstellung der Berliner Secession … statt.‘ (Ebd. S. 113) Das 1911 errichtete Gebäude war quasi das Gegenbild zum nüchtern Kressmann-Zschach’schen Funktionsbau: ‘Ein Vestibül von … ionischen Säulen aus Travertin getragen, Treppen aus Veroneser Marmor und schweren Bronzegeländern. Im zweiten Stock der Möbelsaal, im dritten Stock der Gemäldesaal, mit Marmorinkrustrationen, Nußbaumpaneelen und rötlich-grüner Wandbespannung.’ (Ebd. S. 113)

Gegenüber in der Nr. 87 hat die Galerie ARRATIA BEER Quartier bezogen. Das so genannte Hansa-Haus des Westens entstand zur selben Zeit wie Lepkes Kunst- und Auktionshaus und galt als eines der modernsten und komfortabelsten Bürohäuser Berlins. Ausgestattet mit Zentralheizung, Personen- und Lastenaufzug, elektrischer Beleuchtung und Fernsprechanschluss war es auf höchsten Stand der Technik. Der Architekt und Bauunternehmer Kurt Berndt, der unter anderem auch die Hackeschen Höfe entworfen haben soll,  ließ es 1910/1911 für den Kaufmann und Weinhändler Ernst Ullmann bauen. Er war es auch, der dem Haus – entweder in Anlehnung an das wenige Jahre zuvor eröffnete KaDeWe und/oder als Ausdruck des aufstrebenden Berliner Westens – seinen Namen gab: ‚Hansa-Haus des Westens‘.

Zu Bowies Zeiten nutzte DER TAGESSPIEGEL das Gebäude als Verlagshaus (von 1953 bis 2009). In den 1980er bis vor wenigen Jahren residierte im Erdgeschoss der tip-Laden des gleichnamigen Berliner Stadtmagazins, das hier bis 2005 auch verlegt wurde (heute gehört es wie Zitty Berlin zum Rauland Verlag und sitzt am Kreuzberger Paul-Lincke-Ufer).

Im 2. Hinterhof des Gebäudes in der Potsdamer Straße 68

Die letzte Station auf der Kunstroute ist die Circle Culture Gallery. Sie befindet sich im Gebäude Nr. 68, in dem sich einst die geistige Elite Berlins versammelte. Von 1875 bis 1882 lebte im dritten Stock des Hauses nämlich die Schriftstellerin und Frauenrechtlerin Hedwig Dohm mit ihrem Mann Ernst, ebenfalls Schriftsteller, außerdem Übersetzer und Chefredakteur der Satirezeitschift Kladderadatsch, sowie ihren vier Töchtern. Jeden Montagabend veranstaltete das Intellektuellenpaar hier einen literarischen Salon, der schon nach kurzer Zeit stadtbekannt und hochbegehrt war. ‚Wer in Berlin einen Namen hatte, wollte montags zum ‚jour‘ der Dohms eingeladen werden.‘ Es wird berichtet ‚eines Abends sei – wegen allzu großer Überfülle – sogar ein Gast zum Fenster herausgefallen.‘ Denn: ‚In der Tat: viel Platz gab es nicht in der Dohm’schen Wohnung… .‘ (Nägele/Markert, S. 65)

Seit 1919 hat außerdem die traditionsreiche Berliner Firma Gebrüder Berger GmbH & Co KG Berlin hier ihren Sitz und bietet auf 3.000qm rund 500km Mode- und Dekorationsstoffe feil (Nägele/Markert, S. 331). Ob Bowie den Laden jemals betreten hat? Ich weiß es nicht. 

1 Comment

  • 9 Jahren ago

    Liebe Indre, schön, daß du uns trotz zwischenzeitlicher "Krise" bis zum Ende mitgenommen hast. Die Serie hat mir gut gefallen! Irgendwann werde ich in Ruhe noch mal alles zusammenhängend lesen. Ich fand es wirklich spannend. Tagelang auf der Stelle treten und trotzdem immer woanders ankommen … das trifft es ziemlich gut und gefällt mir! Danke! LG Annett

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