Wenn ich an die Zukunft denke, wird mir manchmal ziemlich mulmig: Klimawandel, Arten- und Insektensterben, Übersäuerung der Meere, Handelskriege, Armut, automatisierte Waffen… Die Liste ließe sich schier endlos fortsetzen.
»Aber aus all den Fakten ist keine Praxis entsprungen, die auf der Höhe der drohenden Zukunft wäre.«
Roger Willemsen, aus: Wer wir waren
Dabei wäre das durchaus möglich. Zum Beispiel mithilfe der Zukunftsforschung, die genau dafür eine ganze Reihe von Methoden und Instrumenten zur Verfügung stellt.
Was Zukunftsforschung ist und kann, wie Zukunftsforscher*innen vorgehen und welche Rolle das Wunschträumen spielt, darüber habe ich mit Dr. Robert Gaßner vom Büro für Zukunftsforschung und Zielbildung, Preferable Futures, gesprochen.
Wie ist eigentlich Zukunftsforschung?
Prof. Rolf Kreibich (erster Präsident der FU) definiert sie so: „Zukunftsforschung ist die wissenschaftliche Befassung mit möglichen, wünschbaren und wahrscheinlichen Zukunftsentwicklungen und Gestaltungsoptionen sowie deren Voraussetzungen in Vergangenheit und Gegenwart.“
Zukunftsforschung ist interdisziplinär und gestaltungsorientiert. Prof. Joseph Huber sagt dazu: „Zukunftsforschung tätigt strategische Kommunikation. Sie ist weniger originär wissensschaffend als vielmehr das Wissen anderer, insbesondere das Wissen einzelner Disziplinen, in strategischer Handlungsperspektive bündelnd.“
Zukunftsforschung ist normativ und beratend. Dazu nochmal Prof. Joseph Huber: „Im Gegenzug erbringt Zukunftsforschung horizontgebende, zielsetzende und sinnstiftende Leistungen, welche die reine Wissenschaft, welche wie alle anderen dieser Leistungen bedarf, nicht zu erbringen vermag.“
Dr. Robert Gaßner ist Sozialpsychologe und freier Berater. Seit 30 Jahren ist er in der interdisziplinären Technikfolgen- und Zukunftsforschung tätig. Neben technologienahen Themen befasst er sich mit normativer Szenario-Methodik und anderen partizipativen Verfahren der Zukunftsgestaltung.
Als Moderator leitet er u.a. Zukunftswerkstätten, Zukunftskonferenzen sowie Innovations- und Szenario-Workshops.
Wie lässt sich Zukunft voraussagen bzw. beschreiben?
Es gibt eine tiefsitzende Sehnsucht, kommende Dinge vorauszusehen, nicht nur in der Wirtschaft oder in der Politik, sondern in jedem von uns. Aber: Zukunft kann man nicht vorhersagen.
Die Zukunftsforschung lotet die Grenzen des Vorhersagbaren immer wieder neu aus. Oft steht dabei der Begriff des „Trends“ im Zentrum. Dabei handelt es sich um eine Analyse-Kategorie, mit deren Hilfe sich aus Zeitreihen-Messungen statistisch Entwicklungstendenzen herauslesen lassen. Der Trend ist also im Grunde eine rückwärts gewandte Betrachtungsweise.
Für mich geht es daher weniger um die Frage nach den „neuesten“ Trends und wahrscheinlichen Zukünften („Was wird vermutlich passieren?“), sondern vielmehr um die Frage nach möglichen („Was könnte alles passieren?“) und wünschbaren Zukünften („Was sollte passieren?“). Denn die beste Möglichkeit, Zukunft vorherzuwissen, besteht darin, sie aktiv (mit) zu gestalten – oder wie der Autor des kleinen Prinzen es formulierte:
»Die Zukunft soll man nicht voraussehen wollen, sondern möglich machen.«
Antoine de Saint-Exupéry
Die meisten (zumindest mir) bekannten Zukunftsprognosen waren falsch – oder „blümerant“, wie Roger Willemsen in seiner Zukunftsrede Wer wir waren schrieb, weil wir uns offenbar nicht entkommen können. Wie entkommen Zukunftsforscher*innen sich selbst bzw. ihren Vorstellungsgrenzen?
Zukunftsforscher*innen geben – mit Ausnahme von Klimatolog*innen und Demograf*innen – keine Prognosen ab. (Das tun nur selbsternannte Trendforscher*innen und überbezahlte Trend-Gurus.)
Seriöse und langfrist-orientierte Zukunftsforscher*innen arbeiten hauptsächlich mit möglichen oder wünschbaren Zukünften. Und wenn es doch mal um Wahrscheinlichkeiten geht, sollte man sich vor Augen halten, dass relevante technische Entwicklungen meist kurzfristig überschätzt und langfristig unterschätzt werden.
Was sind Szenarios und wie funktioniert Szenario-Arbeit?
Szenarios können sehr unterschiedlich aussehen. So werden beispielsweise numerische Parameter für Simulationsläufe in Modellen als Szenarien bezeichnet. Dabei handelt es sich um variable Voreinstellungen und daraus resultierende Ergebnisse von quantitativen Weltmodellen. Ein Beispiel dafür sind die Szenarien, die der Studie Die Grenzen des Wachstums von Dennis und Donella Meadows zugrundeliegen.
Szenarios können aber auch richtige „Narrative“ sein – also quasi-literarische Beschreibungen explorativer (das heißt möglicher) oder normativer (das heißt wünschbarer) Zukünfte. Tina und ihr Butler ist so ein „Wunschszenario“; es beschreibt den Alltag einer Seniorin in einer digital unterstützten Lebenswelt und wurde mit weiteren elf im Rahmen der Hightech-Strategie der Bundesregierung bzw. dem Forschungsdialog Futur des BMBF in den Jahren 2002 bis 2008 erstellt. Seither wurde es immer wieder in unterschiedlichen Zusammenhängen als Diskussionsanstoß genutzt.
Wie helfen uns Zukunftsszenarien in der politischen, der unternehmerischen und der Lebenspraxis?
Ich persönlich arbeite aus Überzeugung hauptsächlich mit partizipativ erzeugten „Wunschzukünften“, die ich aufwendig in kleine Zukunftsgeschichten „verpacke“, mit fiktiven Personen und Orten. Diese sehr anschaulichen Geschichten erlauben auch Personen ohne die jeweilige Fachexpertise, einfach und schnell eigene Haltungen zu entwickeln, was genau im jeweiligen Fokus wünschenswert sein könnte und wo Risiken oder Herausforderungen liegen könnten.
Seneca formulierte diesbezüglich sehr inspirierend: „Wenn man nicht weiß, welchen Hafen man ansteuert, dann weht der Wind nie aus der richtigen Richtung.“ Oder etwas allgemeiner:
»Ein Traum ist unerlässlich, wenn man die Zukunft gestalten will.«
Victor Hugo
Wie stellst du dir unsere Zukunft vor?
Wenn du „vorstellen“ nicht im Sinne von Prognose meinst, sondern im Sinne von „wünschen“ (!), dann kann ich sagen, dass meine Hoffnungen für das längerfristige Überleben unserer Zivilisation viel mit dem Konzept eines bedingungslosen Grundeinkommens zu tun haben.
Zahlreiche Umwelt- und Klimaprobleme, die heute in spieltheoretischer Betrachtung aussichtslos erscheinen („Wenn wir darauf verzichten, wird nur jemand anderer von der Ausbeutung weiter profitieren…“), lassen nur dann eine nachhaltige Lösung erhoffen, wenn weltweit mehr Gerechtigkeit und Solidarität vorherrschen. Und genau dies erscheint wesentlich realistischer, wenn immer mehr Menschen nicht mehr vorwiegend mit Existenzsicherung befasst und belastet wären.
Ich glaube an das Gute im Menschen und ich stelle mir vor, dass eigentlich Jede*r, die/der nicht mehr um ihre/seine Existenz fürchten muss, in der Lage ist, gemeinschaftsförderliche Fähigkeiten in sich zu entdecken bzw. zu entwickeln. Sorgen macht mir hauptsächlich der Weg dorthin…
Vielen Dank für das Gespräch!
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