Am kommenden Sonntag, den 18. September entscheiden die Berliner/innen darüber, wer sie im Abgeordnetenhaus vertreten soll. Doch entschieden sind wohl die wenigsten. „Ratlos vor Rathaus“ titelte gestern der Tagesspiegel: „Die jüngsten Umfragen bestätigen, dass es in Berlin keine politische Kraft mehr gibt, der ein großer Teil der Wähler Vertrauen schenkt.“ Den Parteien fehle es, so Ulrich Zawatka-Gerlach, an Klarheit, Souveränität, Persönlichkeit und Kompetenz. Das mag für die Parteien als Ganzes gelten, nicht aber für die einzelnen Kandidat/innen. Die haben durchaus sehr konkrete Vorstellungen davon, was sie verändern und gestalten wollen.
Vergangene Woche haben Marlene Heihsel von der FDP und Felix Just von den Piraten ihre politischen Ziele vorgestellt. Die neue Woche beginnt mit einem Blick hinter das Plakat von Peggy Hochstätter von der SPD. Vielen Dank, liebe Peggy, für das interessante Gespräch, mit dem ich allen einen guten Start in die neue Woche wünsche.
Wer und was ist Peggy Hochstädter?
Ich bin Frau, Mutter, Freundin. Ich hab‘ viele Jahre als Journalistin gearbeitet, das wollte ich schon als Kind – damals zwar noch als Reporterin aus Krisengebieten, später wollte ich aber lieber über Politik schreiben. Irgendwann hab ich dann die Seiten gewechselt, wollte nicht immer nur vor der Tür auf die Informationen warten. Deshalb habe ich dann als Pressesprecherin gearbeitet. Seit ich allerdings in Berlin lebe, endlich einen Ort habe, an dem ich mich richtig wohl fühle, wollte ich auch mitgestalten – so habe ich mich dann immer mehr politisch eingemischt.
Du lebst mit deinen zwei Kindern und Hündin im Samariterkiez. Warum gerade hier?
Hierher bin ich 2004 gezogen, weil Friedrichshain mir sehr entspricht. Es ist diese bunte Mischung aus Clubs, Cafés, Bars, Kneipen, Spätis, Spielplätzen und verschiedensten Leuten, politisch eher links – laut, wild und wenig angepasst.
ES IST DIESE BUNTE MISCHUNG – LAUT, WILD UND WENIG ANGEPASST.
Ich mag viele Menschen hier, verschiedene Orte wie den Forcki, die vielen Spielplätze, die Tapas- und die Weinbar in der Bänschstraße, das Anastasia, Elenas Eisladen in der Samariterstraße, Burgerwehr.
Was mich nicht besonders gefällt, ist, dass inzwischen jede Brache im Kiez zugebaut ist, dass die Mieten so hoch geworden sind und ein bisschen weniger Müll nach dem Wochenende auf dem Forcki würde ich auch klasse finden.
Wo bist du hier in F’hain am liebsten (a) mit deinen Kindern und (b) allein?
Als meine Kinder noch jünger und laufend auf dem Drachenspielplatz waren, bin ich besonders gern ins Anastasia gegangen – so konnte ich in Ruhe Freunde treffen, musste nicht die manchmal doch langweiligen Spielplatzgespräche mitmachen. Heute gehe ich mit meinen Kindern am liebsten auf den Forcki. Ich liebe den Forcki! Aber auch das RAW-Gelände mag ich sehr, die Skaterhalle begeistert meine Kinder besonders. Ich treffe da meistens Leute, die ich kenne – dann ein bisschen quatschen, ein Bier oder Kaffee trinken. Sehr entspannend!
Naja, und gelegentlich gehe ich ja auch tanzen. Da mag ich das Berghain eigentlich am liebsten, nicht die P-Bar, sondern den Main Floor, da ist die Musik laut, kräftig und basslastig, ohne vocals und Firlefanz. Da tanze ich dann mit Freunden gern mal bis morgens.
Alleinerziehende Mutter – das stelle ich mir nicht gerade einfach vor. Was sind die größten Herausforderungen für dich? Was sind die guten Seiten daran?
Da ich eine ganze Menge Dinge ehrenamtlich mache, aber natürlich auch noch arbeiten muss, damit wir essen, trinken, einfach leben können, ist es manchmal schon etwas kompliziert, alle Termine unter einen Hut zu kriegen. Ich bin ehrenamtlich Bezirksverordnete, d.h. ich habe in dem Zusammenhang viele Sitzungen, bin als Elternvertreterin im Bezirksschulbeirat und Bezirkselternausschuss, bin ja auch innerhalb meiner Partei engagiert als Kreisvorstandsmitglied, als Landesparteitagsdelegierte, im Abteilungsvorstand. Ich gehe regelmäßig zur Kiezversammlung – dazu kann ich alle BewohnerInnen des Nordkiezes auch nur aufrufen, bin im Förderverein der Pettenkofer Grundschule!
Naja, dann arbeite ich ja auch noch, einerseits als wissenschaftliche Mitarbeiterin, dann mache ich noch ein bisschen Pressearbeit und gelegentlich schreib ich mal einen Artikel.
Erleichternd bei all diesen Dingen ist, dass ich mich mit dem Vater meiner Kinder und auch mit seiner Freundin gut verstehe. Manchmal kommt er dann auch mal rüber, wenn ich früh los muss und kocht den Kindern Abendessen. Er wohnt ganz nah, das ist sehr praktisch.
Wo siehst du die größten politischen Baustellen in Berlin und in unserem Bezirk?
Die größten Baustellen sind für mich einerseits eine gelingende Integration der vielen geflüchteten Menschen, die zu uns kommen – wir müssen ihnen eine Perspektive bieten, anderseits müssen wir die steigenden Mieten in den Griff bekommen und zum 3. müssen sehr schnell Schulen sehr vernünftig, d.h. umsichtig, gebaut werden. Allerdings sehe ich auch noch andere Baustellen.
Z.B. müssen wir den Veränderungen in der Mobilität Rechnung tragen. 82 Prozent der Menschen im Innenstadtbereich nutzen den ÖPNV, das Rad oder gehen zu Fuß, überhaupt hat nur noch jeder 2. Haushalt in Berlin ein Auto. Deshalb glaube ich auch, dass es eine verkehrspolitische Absurdität ist, die Autobahn von der Elsenbrücke zum Ringcenter zu verlängern. Mehr Straße = mehr Verkehr! Dazu ist die Frankfurter Allee, auf der sich dann die Autobahn ergießen würde, bereits jetzt eine der am meisten mit CO2 belasteten Straßen.
Wir müssen die Aufenthaltsqualität auf Plätzen, Parks und Fußwegen verbessern. Wir brauchen öffentliche Räume für Begegnungen aller Altersklassen, nicht nur Spielplätze für Kinder bis 12, sondern auch für Jugendliche, Erwachsene und ältere Menschen. Das ist auch ein Baustein für eine gelingende Integration und in Zeiten der stetigen Nachverdichtung darf das nicht vergessen werden.
Du engagierst dich u.a. für die verkehrspolitische Themen wie Radverkehr. Was kann ich als konsequente Radfahrerin von der SPD auf diesem Gebiet erwarten?
Ich engagiere mich nicht nur für Radverkehr, meine oberste Priorität liegt bei der Schulwegsicherheit und dem Fußverkehr. Allerdings ist beides eng mit dem Radverkehr verknüpft. Dabei geht es auch um Aufenthaltsqualität. Sehr gefreut habe ich mich über die Umsetzung meiner Anträge im Samariterkiez, z.B. die Umwandlung von Autopark- in Radabstellplätze vor der Pettenkofer Grundschule. Auch das Aufstellen und Aufmalen von ‚Achtung Schulkinder‘-Schildern und Markierungen auf der Samariterstraße ist auf meine Anträge zurückzuführen. Zur Zeit kämpfe ich außerdem für die Einführung von Spielstraßen (z.B. in der Liebig- und Niemannstraße). Wir haben kaum noch Flächen im Bezirk, wir müssen uns den öffentlichen Raum zurückerobern.
WIR HABEN KAUM NOCH FLÄCHEN IM BEZIRK, WIR MÜSSEN DEN ÖFFENTLICHEN RAUM ZURÜCKEROBERN.
Weitere Anliegen, für die ich streite, sind die Einführung von Tempo 30-Bereichen in der Ebertystraße, auf der gesamten Boxhagener Straße, in der es zudem auch noch Verbesserungen/Erleichterungen in der Überquerung geben muss. Kinder können diese Straße ja kaum gefahrenfrei passieren.
Ein weiterer meiner Anträge befasst sich mit der Verlängerung der Ampelphasen auf der Frankfurter Allee. Ältere Menschen oder auch Kinder können die Straße ja kaum in einem Zug überqueren, stehen dann also in der Mitte, wenn alle Autos anfahren. Das geht nicht, in einer Straße, die so mit Feinstaub belastet ist.
Es wird wohl auf der Frankfurter Allee zwischen Pettenkofer und Proskauer Straße in Zukunft einen Radstreifen auf der Straße geben – das ist eine tolle Idee! Einerseits schützt es FußgängerInnen auf dem Gehweg, anderseits bekommen RadfahrerInnen so mehr Raum, denn eine ganze Autospur soll ihnen auf jeder Seite zur Verfügung stehen. Ich möchte, dass diese Spur dann gänzlich für Autos gesperrt wird, damit sich RadfahrerInnen dann auch sicher fühlen.
Wir brauchen insgesamt mehr sichere Fahrwege, Schäden müssen schnell beseitigt werden, Laub und Schnee müssen immer geräumt werden und es sollte auch mehr sogenannte ‚grüne Pfeile‘ beim Linksabbbiegen geben. Ganz sicher brauchen wir zudem viel mehr Fahrradparkplätze und -parkhäuser, z.B. am Ostkreuz, an der Warschauer Brücke. Ok, ist eins meiner Lieblingsthemen, ich könnte noch ewig weiter schreiben….
Wie sieht es im Jahr 2018 auf dem RAW-Gelände aus, wenn die SPD sich hier mit ihren Vorstellungen durchsetzt?
Vorab muss ich sagen, dass ich gegen eine Wohnbebauung auf einem Teil des Geländes bin. Da bin ich anderer Auffassung als ein großer Teil meiner Partei. Über kurz oder lang wird es bei Wohnbebauung zu Nutzerkonflikten kommen, die den Fortbestand des sogenannten ‚soziokulturellen L‚ gefährden werden – und das will ich nicht. Wir haben nicht mehr viel Potential, diese Gelände ist etwas ganz besonderes. Besonders die Akteure rund um ’soziokulturelle L‘ unterstütze ich!
Stell dir vor, du wachst am 19. September auf und dein (politisches) Leben ist genau so, wie du es dir wünscht. Was genau ist anders als jetzt?
Ich hoffe sehr, dass sich dann meine Einflussmöglichkeiten etwas vergrößern. Ich möchte gern mitgestalten – wenn ich mehr Möglichkeiten hätte, wäre das klasse.
ICH MISCHE MICH AUCH EIN, WENN’S WIDERSTÄNDE GIBT, TRAUE MICH AUCH INNERHALB DER PARTEI MAL UNBEQUEM ZU SEIN.
Ich ärgere mich sehr häufig über die Verkehrslenkung Berlin (VLB). In ihrer Zuständigkeit liegen viele Straßen des Bezirks, der Bezirk hat da keinen Einfluss. Für meine Begriffe ist die VLB noch viel zu träge, zig unserer Anträge liegen seit Jahren dort und werden nicht bearbeitet – da würde ich gern drängeln, wie bei den andern oben erwähnten Themen auch.
Außerdem bin ich wirklich mit Friedrichshain vertraut und verbunden, treibe mich viel rum, kenne viele Leute und Initiativen. Ich bin niemand, der sich ständig auf Parteiveranstaltungen rumtreibt oder nur zum Schlafen nach Hause kommt.
Was sind deine drei Wünsche für die kommenden Wahl?
- Die AfD liegt im Bezirk unter drei Prozent und im Land unter fünf Prozent. Damit wäre sie weder im Abgeordnetenhaus, noch in den Bezirksparlamenten vertreten {das gilt natürlich für alle rechten Parteien}.
- Es gibt eine rot-grün-rote Koalition auf Landesebene, um endlich linke Politik zu machen.
- Ich komme als gewählte Direktkandidatin ins Abgeordnetenhaus.
Was wäre für dich die größte Wahlkatastrophe?
Jede Stimme für rechtspopulistische oder rechtsextreme Parteien finde ich katastrophal, aber zur Zeit geht es ja leider stark über den üblichen Bodensatz hinaus.