Ein Blick hinters Plakat: Canan Bayram

13. September 2016

Canan Bayrams Plakat sticht hervor: ein buntes Comic, auf dem sich neben dem Konterfei der Grünen-Direktkandidatin zwei Wahrzeichen des Nordkiezes finden: der Drachenspielplatz mit viel Grün und das regenbogenumspannte Frankfurter Tor. Vielfalt, Familienfreundlichkeit und Stadtnatur – darum scheint es auf den ersten Blick zu gehen. Wofür die Rechtsanwältin und Mutter noch steht, was ihr lieb und teuer ist, das und mehr erzählt sie im heutigen Blick hinters Plakat.

Vielen Dank, liebe Frau Bayram, für die interessanten Einblicke.

Wahlplakat von Canan Bayram die Grünen

Wer und was ist Canan Bayram?

50 Jahre, Rechtsanwältin, seit 10 Jahren Mitglied des Abgeordnetenhauses, lebe mit meiner Tochter im Friedrichshainer Nordkiez.

Sie sind in der Türkei geboren und am Niederrhein aufgewachsen. Welche Bedeutung haben diese Orte für Sie und welche Rolle spielen sie in Ihrem Leben?

Die Türkei ist das Land, in dem ich geboren wurde, aber nicht lange gelebt habe, sondern eher aus dem Urlaub kenne. Ich spreche die Sprache, mag die orientalische Gelassenheit: „Kismet“ meint, dass Dinge sich anders entwickeln können als geplant und dass dies einen Sinn haben kann, der sich jedoch erst später verstehen lässt. Es ist ein gewisses Vertrauen in die Menschen und das Leben, dass wir nicht alles bestimmen müssen, sondern auch geschehen lassen können. Ich höre gerne türkische Musik und mag den orientalischen Tanz. Aktuell sehe ich die Entwicklungen in der Türkei kritisch, da Menschen- und Bürgerrechte sowie Minderheitenrechte in Frage gestellt werden.


ICH MAG DIE ORIENTALISCHE GELASSENHEIT: „KISMET“ MEINT, DASS DIE DINGE SICH ANDERS ENTWICKELN KÖNNEN ALS GEPLANT UND DASS DAS SINN HABEN KANN, DER SICH JEDOCH ERST SPÄTER ERSCHLIESSEN LÄSST.


Der Niederrhein ist ein Ort, der mich geprägt hat: ländlich, katholisch und bodenständig. Ich bin noch regelmäßig am Niederrhein und mag die Natur sowie die Menschen dort. Dauerhaft dort zu leben,
könnte ich mir nicht vorstellen. Zum Studium zog ich aus Nettetal nach Bonn, bin ich also auch mit dem Rheinland sehr verbunden. Ich mag den Karneval und habe noch Freund*innen in Bonn.

Foto (c) Peter Burow
Foto (c) Peter Burow

Ihnen ist der soziale Aufstieg gelungen: Sie haben haben auf dem 2. Bildungsweg das Abitur gemacht und anschließend ein Jurastudium absolviert. Viele, die diesen Weg gegangen sind (mir inklusive) sagen:
„Mein Aufstieg war möglich, aber er war zu schwer.“ Trifft das auch auf Sie zu? Und was wollen Sie tun, um den sozialen Aufstieg durch Bildung leichter zu machen?

Ja, ich würde der Aussage zustimmen. Ich hätte mir mehr Unterstützung von staatlichen Stellen gewünscht. Es ist ein Kampf und hat auch viel mit Glück zu tun, dass einem Menschen begegnen, die man um Rat fragen kann oder die helfen, wenn Hindernisse auftauchen. Ich habe elternunabhängiges BAFöG erhalten. Der Sachbearbeiter war rassistisch, was mich einerseits verletzt, aber auch angespornt hat. Ich wollte beweisen, dass ich es schaffen kann.

Neben Coachings für Schüler*innen und Student*innen sollte es m.E. mehr interkulturelle Kompetenz bei Verwaltungsmitarbeiter*innen geben. Außerdem sollte das BAFöG auch unabhängig vom Einkommen der Eltern gewährt werden können.


DER SACHBEARBEITER WAR RASSISTISCH. DAS HAT MICH VERLETZT, ABER AUCH ANGESPORNT.


2009 sind Sie von der SPD zu den Grünen gewechselt. Warum?

Als frauenpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion bin ich mit Klaus Wowereit und Thilo Sarrazin bei den Themen Frauen- und Integrationsp0litik in Konflikt geraten. Speziell die Anwendung des Landesgleichstellungsgesetzes und dabei die Besetzung von Führungspositionen durch Frauen waren ein Streitthema. Auch bei der Integrationspolitik habe ich mich mit der Position der SPD-Fraktion nicht identifizieren können.

Trotz vieler interner Kämpfe habe ich die Politik nicht so gestalten können, wie ich es für richtig und wichtig hielt. Stattdessen sollte ich meinen Kopf für Positionen hinhalten, die ich ablehne. Unter solchen Umständen konnte und wollte ich kein Politik machen. Der Wechsel zu Bündnis 90/Die Grünen hat mir ermöglicht, die Politik zu machen, für die ich stehe und es macht mir seit 7 Jahren großen Spaß, Ideen und Konzepte zu entwickeln, die von meiner Partei und Fraktion wertgeschätzt werden.

Buntes Leben in Friedrichshain, Street Art, Graffiti, Samariterkiez

Sie leben und arbeiten im Samariterkiez. Was lieben Sie hier am meisten? Was stört Sie am meisten?

Ich liebe den sozialen Zusammenhalt und das Lebensgefühl im Kiez. Die Menschen sind familienfreundlich, vielfältig und offen. Ich mag die kleinen Läden, die alternativen Lebensentwürfe und die vielen unterschiedlichen Sprachen auf den Spielplätzen. Und mir gefällt die Kiezversammlung, die es sich zum Ziel gesetzt hat, das Zusammenleben im Kiez miteinander zu gestalten.

Mich stört die Einstufung des Nordkiezes als Gefahrengebiet durch den Innensenator Henkel, der den gesamten Kiez unter Generalverdacht stellt. Meine Wohnung und mein Wahlkreisbüro liegen im Gefahrengebiet, d.h. jeder der sich hier bewegt, läuft Gefahr anlasslos von der Polizei kontrolliert und durchsucht zu werden.


ICH LIEBE DEN SOZIALEN ZUSAMMENHALT UND DAS LEBENSGEFÜHL IM KIEZ.


Wo sind aus Ihrer Sicht die größten politischen Baustellen in Berlin und in unserem Bezirk? Und was wollen Sie daran ändern?

Die größte Herausforderung sehe ich bei den steigenden Mieten und der damit verbundenen Sorge vor weiteren Mieterhöhungen sowie die fehlenden Wohnungen für junge Leute, die aus der elterlichen Wohnung ausziehen, aber im Kiez bleiben wollen. Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg setzt sich seit langem dafür ein, dass die Menschen im Mittelpunkt stehen und der Staat sie gegen die Renditeabsichten schützt durch Ausweisung von Milieuschutzgebieten, Umwandlungsverordnung, Mietpreisbremse und Zweckentfremdungsverbotsverordnung.

Die Situation für Fußgänger*innen und Fahrradfahrer*innen im Kiez ist schwierig. Die Verkehrspolitik muss zugunsten von ÖPNV, Fahrrad und Fußgänger entwickelt werden. Der Bezirk setzt sich für mehr und bessere Fahrradwege ein; auf Landesebene unterstützen wir die Forderung des Radentscheides. Der ÖPNV muss weiter ausgebaut werden. Ich lehne die A100 ab, denn dieses Autobahnprojekt steht für ein veraltetes Modell von Mobilität.

Die Verwaltung des Landes Berlin muss neu aufgestellt werden. Wir brauchen eine moderne Verwaltung  – sowohl technisch als auch „kulturell“: Berlin ist eine Einwanderungsstadt – Mehrsprachigkeit und Offenheit müssen auch in der Verwaltung selbstverständlich sein.

Buntes Leben in Friedrichshain, Street Art, Graffiti, Samariterkiez

Stellen Sie sich vor, Sie wachen am 19. September auf und die Wahl ist genau so ausgegangen, wie Sie es sich wünschen. Wie sähe das Wahlergebnis aus?

Die rechtspopulistischen und rassistischen Parteien wären keine relevanten Wahlgewinner und das Wahlergebnis reichte für eine rot-grüne Mehrheit, so dass wir unsere Ideen und Konzepte umzusetzen können.

Samariterkiez 2025 – welche Überschrift möchten Sie in der Zeitung Ihres Vertrauens an einem Montagmorgen im Jahr 2025 über den Samariterkiez lesen?

Drei Überschriften:

  1. Zahl der verletzten bzw. getöteten Fußgänger und Fahrradfahrer auf Frankfurter Allee auf Null seit Umbau zur Spielstraße
  2. Dank dem grünen Dächer-Programm hat jetzt jede/r Bewohner*in im Samariterkiez  Zugang zu einem begrünten Dach
  3. Samariterkiez gewinnt bundesweiten Stadtteilwettbewerb „Wie wollen wir zusammen leben?“: Ihre Erklärung „Einheit in Vielfalt“ überzeugte die Jury mit guten Beispielen für sozialen Zusammenhalt.

Buntes Leben in Friedrichshain, Street Art, Graffiti, Samariterkiez, Familie, Spielplatz

4 Comments

  • Weg mit der Inkompetenz
    8 Jahren ago

    Schön wie Frau Bayram sich das Leben im Samariterkiez rosarot ausmalt. Irgendwas scheint die Frau aber grundsätzlich falsch zu verstehen, denn auf ihrer geliebten „Kiezversammlung“ ist die Dame gar nicht mehr erwünscht.

    Zitat indymedia: „Wenigstens ist jetzt klar, wie der rebellische Kiez zu den Grünen stehen muss, wenn er sich gegen die Gentrifizierung zur Wehr setzen will. Canan Bayran, welche sich immer wieder auf der Kiezversammlung als einfache Anwohnerin tarnt, wird leider beim nächsten mal nicht mehr anwesend sein. Sie wird eine spannende Diskussion über einen generellen Ausschluss von Politiker_innen verpassen.“

    Vielleicht merkt Frau Bayram jetzt, dass die Kiezversammlung lediglich ein Anbiederungsversuch der Radikalen (Linkradikal wäre angesichts des xenophen Verahaltens der Leute nicht gerechtfertigt) an die Anwohner ist, um diese als menschlichen Schutzschild zu mißbrauhen. Im Gegensatz zu den Radikalen schätze ich meine Nachbarn aber als Intelligent genug ein, nicht auf diese plumpen Annäherungsversuche reinzufallen. Wenn von 8.500 Einwohnern 50 zur Kiezversammlung gehen und von den 50 ein Großteil aus dem Freundeskreis der Radikalen kommt, dann bin ich schon mal sehr beruhigt was die Intelligenz meiner Nachbarn angeht.

    Bei Frau Bayram bin ich mir da nicht sicher:
    Familienfreundlich – wenn Kinderzimmer mit Stahlkugeln beschossen werden?
    Offen – wenn Polizisten oder Elektriker vom Dach aus mit Pflastersteinen beworfen werden?
    Vielfältig – wenn Touristen und Leute, die neu in die Straße ziehen, angegriffen werden?
    … ist wohl alles eine Frage der Definition – die von Frau Bayram mache ich mir jedenfalls nicht zu eigen

    Genau diese Einstellung und die Ignoranz der Realität veranlassen mich zum ersten mal in meinem Leben, nicht die Grünen zu wählen. Wäre sie doch bei der SPD geblieben dann würden die Grünen demnächst eine Stimme mehr bekommen. Ok ich gebs zu – auch die völlig ungeeignete und inkompetente Frau Herrmann trägt ihren Anteil dazu bei, die Grünen nicht mehr zu wählen.

  • 8 Jahren ago

    Liebe Indre,
    vielen Dank für diese tolle Interview-Reihe, viel besser als Wahlprogramme lesen!
    Schöne Grüße, Wiebke

    • M i MA
      8 Jahren ago

      Danke für das schöne Feedback. Das freut mich.

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