»Seit etwa zwei Jahren bin ich Nina«, erzählt sie. »Davor war ich in meinen Dokumenten und nach außen ein Mann.« Innen war sie seit jeher eine Frau bzw. ein Mädchen, nur verstand das niemand. Die Sprache reichte einfach nicht hin, um die Fremdheit im eigenen Körper zu beschreiben.
Transsexualität wurde gesellschaftlich lange als krankhaftes Außenseiterphänomen betrachtet, über das man lieber nicht sprach. Spätestens seit Ludwig Wittgenstein weiß man, dass die Grenzen der Sprache die Grenzen der Welt sind.
Das kleine Mädchen im Jungskörper bewegte sich mit ihren Gefühlen und Gedanken also außerhalb der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Welches Leid das bedeutet, kann ich nur erahnen. Vor sieben Jahren vertraute sich Nina ihrer Frau an und beendete das Leben im falschen Körper.
Wie der Weg zur »ganzen Frau« in einer christdemokratisch regierten Kleinstadt aussieht, was es für ihre Familie und Eltern bedeutet, dass der vermeintliche Ehemann, Vater und Sohn eine Frau {Papa} und Tochter ist, das und mehr erzählt Frau Papa im heutigen Montagsinterview, mit dem ich einen guten Start in die KW 8 wünsche.
1.000 Dank, liebe Nina, für das gute Gespräch!
Wer ist Frau Papa und was macht dich aus?
Seit etwa zwei Jahren bin ich Nina, davor war ich in meinen Dokumenten und nach außen ein Mann. Für meine Kinder war und bin ich Papa. Für mich war dieses Wort immer sehr wichtig. Es ist mit so viel Liebe verbunden, dass ich es den Kindern niemals wegnehmen könnte. Meine Kinder nennen mich mal Nina, mal Papa.
»Frau Papa« ist entstanden, als eine Mutter im Kindergarten einen Begriff suchte und die künstlichen Mama, Mami, Mampa… Begriffe mir einfach zu aufgesetzt wirkten und ich sagte: »Ich bin eine Frau und ich bin Frederics Papa.« Seitdem bin ich für die meisten der Papa, für einige sogar die Papa meiner Kinder.
»Für einige bin ich die Papa meiner Kinder.«
Was mich ausmacht: eine gewisse Dickköpfigkeit – ja, wirklich. In den letzten Jahren habe ich sehr viele Hindernisse überwunden, die teilweise schon mein ganzes Leben in meinem Weg lagen und da war es erforderlich hartnäckig, zielstrebig und ein wenig dickköpfig zu sein. Ich habe geschafft, die Frau zu werden, die immer in mir steckte und nicht die Vorstellung anderer zu erfüllen.
Du lebst mit deiner Frau und euren vier Kindern in einer CDU-regierten Kleinstadt in NRW – nicht eben das Umfeld, das ich mir gegenüber einer Trans-Frau ganz offen und unvoreingenommen vorstelle. Aber vielleicht irre mich. Welche Erfahrungen machen du und deine Familie?
Ja, die Menschen hier in Ostwestfalen sind nicht gerade für ihre Weltoffenheit bekannt, aber die meisten sind besser als ihr Ruf. Als ich am Anfang meines Weges war und noch etwas unsicher, stieß ich auf mehr Ablehnung. Inzwischen bin ich ziemlich selbstbewusst und vor allem selbstsicher und trete entsprechend auf. Ich bin in der Elternpflegschaft der Schule und Mitglied im Schulelternrat der Stadt und dort spielt mein Transsein keine spürbare Rolle.
Die Kleinstadt hat den großen Vorteil, dass sich die Menschen in meinem Umfeld einfach auch an mein Anderssein gewöhnt haben, weil man sich jeden Tag über den Weg läuft.
Natürlich begegnen mir jeden Tag auch Leute, die mich schräg ansehen. Aber da ich inzwischen optisch kaum mehr als trans erkennbar bin, wird das immer weniger. Gelegentlich erschrecken die Menschen im Supermarkt, wenn meine Kinder mich Papa nennen und ich mit meiner tiefen Stimme antworte. Plötzlich zerbricht mein optisches Passing und die Menschen erkennen mich als Transfrau – ich lächle dann einfach und das entspannt die ganze Situation. Wirkliche Ablehnung erleben wir nur selten.
Als Jugendliche lehnte meinen vermeintlich unförmig-dicken Körper ab und versuchte ihn zurechtzuhungern. Welche Gefühle hast gegenüber deinem Körper? Und welches Körpergefühl wünscht du dir?
An guten Tagen bemerke ich meinen Körper nicht. Dann denke ich nicht darüber nach und lebe recht unbeschwert. An guten Tagen sehe ich, wenn ich das Bad verlasse, keinen Mann mehr im Spiegel.
»An guten Tagen bin ich einfach eine Frau.«
Aber an den anderen Tagen spüre ich jedes Haar meiner Körperbehaarung, da kratzt mein Bart bei jeder Bewegung und mein Make-up schafft nicht, den Kerl im Spiegel zu einer Frau zu verwandeln. An den nicht so guten Tagen, meide ich Spiegel und schaue nicht in Schaufenster. Dann steckt die Frau in einem Männerkörper fest, sie ist darin gefangen.
Das Verhältnis zu meinem Körper hat sich durch die Hormonbehandlung gebessert. Meine Körperbehaarung wächst dadurch etwas langsamer und vor allem habe ich andere Rundungen bekommen {nicht nur Brüste}. Es gibt immer noch einiges, das mich belastet… Einfach gesagt: Ich sehe nackt definitiv nicht wie eine Frau aus und mein Bartschatten belastet mich bei jedem Blick in den Spiegel… aber das sind Dinge, die ich ändern kann und daran arbeite ich gerade zielstrebig.
Der Vergleich mit der Magersucht ist sehr passend, denn ich weiß, dass ich meinen Körper nur zu einem gewissen Maß formen kann. Der Rest muss im Kopf stattfinden und dabei habe ich schon einige sehr große Schritte erreicht, wie mir die guten Tage zeigen. Ich bin auf dem besten Weg, meinen Körper nicht mehr zu hassen.
Du schreibst, dass du schon als Kind wusstest, dass du im falschen Körper steckst. Doch es hat viele Jahre gedauert, bis du dich entschieden hast, deinem Körper deinem Gefühl anzupassen. Wie waren diese Jahre, vor allem auch in der Pubertät, in der man ja ohnehin oftmals mit seinem Körper kollidiert?
Die Pubertät war für mich sehr schwer. Mein Körper entfernte sich immer weiter von dem, was ich als passend empfand. Allerdings fehlte mir die Möglichkeit, das zum Ausdruck zu bringen. Mein Umfeld kannte nur zwei Geschlechter und Transsexualität gab es nicht. Bereits mit 16 habe ich einer meiner engsten Freundinnen anvertraut, dass ich »eine Frau sein will«. Leider verstand mich niemand und ich fand keine Sprache, um es verständlich zu machen.
»Ich war für alle einfach ein sensibler Frauenversteher.«
Der Nebeneffekt war, dass ich mich für meine Gedanken und Wünsche zu hassen begann. Mehrere Male versuchte ich, mir das Leben zu nehmen. Wenn ich heute auf die tiefen Narben in meiner Psyche zurück blicke, die ich durch das Unterdrücken und Verdrängen meiner Weiblichkeit geschaffen habe, dann bereue ich, dass ich mich nicht früher geoutet habe. Aber ich weiß, dass es einfach nicht möglich war. Und vor allem, gäbe es dann meine Kinder nicht.
Deine Frau hat dich als »Mann« kennengelernt und geheiratet. Deine Kinder kannten dich als »Mann«. Und alle scheinen deine »äußerliche Verwandlung« – was ich nicht selbstverständlich finde – ganz selbstverständlich zu finden. Wie ist euch das gelungen?
Meine Veränderung passierte nicht von einen Tag auf den anderen. Ganz im Gegenteil. Im ersten Jahr, nachdem ich meiner Frau gestanden habe, dass ich nicht mehr so tun kann, als wäre ich ein Mann, gab es nach außen keine sichtbaren Anzeichen. Irgendwann hörte ich auf Herrenschuhe zu kaufen und trug die Schuhe, die mir bequemer waren und besser gefielen. Irgendwann hatte ich ein pinkes Halstuch und statt einem Sweater einen Strickpulli an. Und später auch mal ein Armband und Nagellack.
Vor etwa 7 Jahren hab ich mich bei meiner Frau geoutet. Die ersten drei Jahre lang sah man nach außen kaum ein Veränderung. Zuhause trug ich schon mal einen Rock aber auf der Straße sah man davon nichts. Die Kinder konnten die Veränderung zuhause sehen und die ersten Schritte in die Öffentlichkeit waren auch nicht so extrem. Ich kleidete mich femininer. Ich trug keine Perücke, keine auffälligen Kleider, war nicht all zu schrill… Und vor allem galt bei uns die Regel: die Kinder konnten immer sagen, wenn mein Outfit zu »gewagt« war. Ich glaube das lag einfach daran, dass wir uns für diesen Weg sehr viel Zeit ließen.
»Es gab nicht »den Tag«, ab dem ich als Frau auf die Straße ging – es war vielmehr ein fließender Übergang.«
Die deutlichste Veränderung passierte, als ich mir einen Teil meiner Haare schnitt, um daraus mein erstes Haarteil zu basteln. {Mir widerstrebte der Gedanke eine Perücke zu tragen immer und meine Perücken-Experimente waren echte Katastrophen.} Ich hatte mich entschieden einen Pony zu machen, den ich mit einem Haarband tragen konnte. Und das Erstaunliche: Ich fiel dadurch in der Öffentlichkeit weniger auf. Während ich ein paar Tage davor immer als »Mann« erkannt wurde, merkte ich, dass viele Menschen an mir einfach vorbei gingen, ohne dass ich ihnen auffiel. Diese kleine Veränderung machte Wege in der Öffentlichkeit für uns alle deutlich einfacher.
Ganz anders haben deine Eltern auf deine Entscheidung reagiert, dass du das Leben im falschen Körper beenden willst. Auf Tollabea berichtest du, dass deine Mutter und du euch langsam wieder annähert. Wie hat sich eure Beziehung und ihre Einstellung seither entwickelt?
Meine Mutter macht langsame Schritte. Ich erkenne, dass sie sich große Mühe gibt. In ihrer Vorstellung hat sie aber das Bild ihres Sohnes und es gelingt ihr nicht, mich mit anderen Augen zu sehen. Zumindest noch nicht. Es wird wahrscheinlich noch ein langer Weg, bis meine Mutter mich nicht mehr bei meinem alten Namen anspricht und ein noch längerer, bis sie mich als das sehen kann, was ich bin: ihre Tochter.
Leider bemerke ich, dass der Großteil der Verantwortung für die Annäherung bei mir liegen bleibt. Meine Mutter verlangt Geduld, wenn sie mich mit »du bist einfach immer noch mein Bua« {Junge} anspricht. Sie ist verletzt, wenn ich ihr sage, dass mich solche Bemerkungen sehr treffen. Ja, ich weiß, dass sie keine böse Absicht hat. Ich glaube sogar, dass sie sich sehr große Mühe gibt, mich zu akzeptieren, dass ihre Vorstellung von mir, aber sehr fest sitzt. Das wird also noch eine ziemliche Reise, bis wir uns wirklich annähern.
Auf deinem Blog »Frau Papa« schreibst du sehr offen und direkt über die Herausforderungen und Themen, die dich als Trans-Frau beschäftigen. Wie wird darauf in der Netzwelt reagiert?
Die Netzwelt… Das klingt, als wäre das eine homogene Masse, aber das ist es leider nicht. Ich habe in sozialen Netzwerken extrem viel Verständnis erlebt. Was mich aber noch viel mehr fasziniert: sehr viele Menschen im Netz trauen sich Fragen zu stellen und suchen nach Antworten, um mehr Verständnis entwickeln zu können. Ja, wirklich.
Die meisten Menschen, die mir begegnen, wissen nur wenig über Transsexualität. Da ich nicht nur über diesen einen Aspekt meines Lebens schreibe, merken viele auch erst nach einiger Zeit, dass ich trans bin. Ich erlebe selten, dass sich jemand deswegen abwendet. Viel öfter erfahre ich, dass im Menschen im Netz ihren Horizont erweitern wollen. Viele Menschen, die irgendeine Form von Diskriminierung erfahren haben {sei es wegen der Figur, einer Erkrankung oder Behinderung…} verstehen meine Erfahrungsberichte sehr gut. Ich erfahre Rat und Hilfe, bekomme Zuspruch und oft einfach auch Trost, von Menschen, die mit Transsexualität eigentlich gar nichts zu tun haben.
Natürlich gibt es die Kehrseite des Netzes. Meine Blockliste ist sehr lang und ich gehe davon aus, dass sie beständig länger wird. Menschen, die mich beleidigen, indem sie ihr Unverständnis über Transsexualität lauthals in die Welt schreiben, versuche ich nicht zu bekehren. Mir fehlt die Kraft, um ignoranten Leuten zu erklären, dass ich eine Frau im Männerkörper bin und kein Mann in Frauenkleidern.
»Aber die meisten Feinde mache ich mir, weil ich mich für Gleichberechtigung, Inklusion und Toleranz in der Gesellschaft einsetze.«
Das »Du-bist-hässlich-‚Argument’«, das viele Feministinnen kennenlernen, klingt halt bei mir »Du bist ja nur ne Transe«.
Im Netz habe ich Menschen kennengelernt, die mir selbst, als ich von Trollen attackiert wurde, den Rücken stärkten. Menschen, die meine Familie und mich mit so viel liebe beschenkten, dass ich oft sprachlos war und bin. Ich habe Menschen kennen gelernt, für die mein Körper, meine Stimme, mein Geschlecht absolut keine Rolle spielt, die in mir einfach nur Nina oder Frau Papa sehen. Diese Menschen bestärken mich über alle Themen zu schreiben, die meine Familie und mich betreffen. Ja, ich würde viele dieser Menschen, die ich noch nie getroffen habe, als meine engsten Freunde bezeichnen.
Als jemand, der Nina bereits mehrfach im Alltag auf der Straße begegnet ist, irritiert mich der mehrmalige Verweis auf die „CDU-regierte Kleinstadt“.
Es ist keine Kleinstadt, es ist eine Mittelstadt mit einer echten, brauchbaren Hochschule.
Auch die Partei des momentanen Bürgermeisters beeinflusst den Alltag nicht.
Soll das Gefühl eines bayrischen Bergdorfes mit 95% CSU vermittelt werden, wo jeder schief angeschaut wird, der Sonntags nicht in die Messe geht?
Davon ist Ninas Wohnort weit entfernt.
Liebe/r Leser/in,
im Gegenteil! Der 2malige Verweis auf die „CDU-regierte Kleinstadt“ soll zeigen, dass eben auch jenseits von Berlin und anderen Großstädten Offenheit und Toleranz herrschen — und ICH an dieser Stelle meinen Vorurteilen unterlag, die ich damit aber längst revidiert habe (samt des Irrtums, es handle sich hier um eine Kleinstadt).
Sonnige Grüße,
I.
Was für eine wundervolle, Lebens-bejahende Geschichte! Wundervoll, dass Du solch offene liebevolle Menschen an Deiner Seite hast.
Für mein Text- und Foto- Projekt „Max ist Marie – mein Sohn ist meine Tochter ist mein Kind“ durfte ich viele transidente Menschen treffen. Leider haben einige von ihnen wenig Positives erleben müssen. Es gibt noch viel zu tun in unserer Gesellschaft. Immer wieder über „Andersartigkeit“ zu reden und das Normal im Anderssein zu betonen, so wie Du in Deinem Blog, ist ein so wichtiger Schritt. Danke von ganzem Herzen.
Was für ein wunderbares Interview. Vielen Dank dafür. Ich bin über Frau Jule darauf gestoßen und hatte das eine oder andere Mal ein paar Tränchen in den Augen.
Liebe Grüße,
Sabrina
<3 <3 <3
Ich glaube übrigens, dass ich auch oft sehr komisch gucke, wenn etwas "nicht ins Bild passt". Das hat aber gar nichts mit Ablehnung zu tun. Zu traurig, dass Kommunikation so gerne schief läuft.
Was mich immer interessiert (liebe Nina, falls du meinen Kommentar liest): Wie erging es deiner Frau dabei, von einer "normalen 08/15-Beziehung" in eine der öffentlichen Wahrnehmung nach homosexuellen zu "wechseln"?
oh ich dankedankedanke für dieses unfassbar großartige interview! und für die erinnerung an wittgenstein.
mima, frau papa, weiter so! machenmachenmachen, reden, sprechen, schreiben. danke!
liebst,
jule*