M i MAs Kladden: Vom Wort zum Bild. Oder eine Morphologin auf der Suche nach der Schönheit.

19. Dezember 2013
M i MAs Kladden: Vom Wort zum Bild. Oder eine Morphologin auf der Suche nach der Schönheit. Du bist schön!

Nach einem arbeitsintensiven Vormittag raste ich zum Zug, und kam immer noch ein wenig außer Atem am Leipziger Hauptbahnhof an.  ‚Ist es nicht ein bisschen verrückt, für ein Fotoshooting nach Leipzig zu fahren?‘, schoss es mir durch den Kopf, ‚wo Berlin doch voll ist von Fotografen.‘ Doch die Frage erübrigte sich spätestens als ich über den Dächern von Leipzig in der Abendsonne stand und die Kamera jeden Schrecken verloren hatte. Selten habe ich mich so wohl mit und vor einem Objektiv gefühlt wie bei Antje Kröger, die ich euch heute – nach einigen Anlaufschwierigkeiten – vorstellen möchte.

An dieser zweiten Kladde wäre ich beinah gescheitert. Ich weiß nicht, wie viele Anläufe ich genommen und wie viele Anfänge ich wieder gelöscht habe. Aber sicher waren es an die 20 Versuche. Sollte ich mit ihrer Entscheidung für Künstlerleben beginnen oder mit ihrer Wasserliebe? Wäre ihre Perspektive auf die Schönheit oder das Thema Körperlichkeit vielleicht der passende Anfang? Oder vielleicht – ganz chronologisch – ihre Kindheit in Mecklenburg? Am Ende habe ich mich für die Traurigkeit entschieden.
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M i MAs Kladden: Vom Wort zum Bild. Oder eine Morphologin auf der Suche nach der Schönheit. Dächer Leipzig Sonnenuntergang

Wir saßen am Küchentisch in ihrer Wohnung im obersten Stockwerk eines nicht renovierten Altbaus im Leipziger Osten und redeten über die letzten warmen Herbsttage. An einem dieser Tage hatte sie ihren Geburtstag gefeiert, draußen auf Land, mit Familie und Freunden. Da tauchte das Wort Traurigkeit das erste Mal auf verbunden mit dem Ende einer guten gemeinsamen Zeit. Im Laufe unserer Gespräche fiel es noch viele weitere Male, so dass ich es irgendwann aufgriff und nachfragte, was es auf sich hätte mit dieser Traurigkeit. Sie sei, antwortete Antje, ganz einfach immer da, nicht immer präsent, aber stets in ihrer Nähe. Manchmal käme sie mit Ankündigung und manchmal als Überraschungsgast, und oftmals sei sie gar nicht so schlimm wie es scheine. ‚Traurig zu sein, ist etwas sehr Tiefes, sehr Emotionales, sehr Inspirierendes. Ich glaube, viele Künstler könnten ihre Kreativität ohne Traurigkeit gar nicht freisetzen.‘ Für Antje ist sie Freundin, Beraterin und Muse; nur manchmal wird sie ihr zur Last. ‚Wenn sie bockt, dann verdunkelt sie sich und verbündet sich mit dem Tod. Das Duo ist nicht immer leicht auszuhalten. Aber ohne meine Traurigkeit möchte ich nicht leben. Ich möchte mich manchmal nur besser über sie hinwegsetzen können.‘
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M i MAs Kladden: Vom Wort zum Bild. Oder eine Morphologin auf der Suche nach der Schönheit.

Antje Kröger wurde in den späten 1970er Jahren in Mecklenburg nahe der Müritz geboren, und obwohl sie mittlerweile mehr Lebenszeit in Leipzig verbracht hat, ist der dünn besiedelte norddeutsche Landstrich der Ort, den sie Heimat nennt. Ein Grund dafür ist die Nähe zum Wasser: Es ist Antjes Kraftgeber und Trostspender. Nach Leipzig ging sie um studieren, unter anderem Theaterwissenschaft und Journalistik. Warum sie dort geblieben ist? Das fragt sie sich selbst immer wieder. ‚Es gibt einfach keine Notwendigkeit, ihn zu verlassen. Leipzig bietet mir den Freiraum, mich meiner Kunst zu widmen und die Sicherheit, die brauche. Ich bin viel unterwegs und Leipzig ist meine Basis. Ich gehe weg und komme zurück in ‚meine‘ Stadt, in ‚mein‘ Haus, in meine Wohnung. Das fühlt sich gut an.‘

Diese Sicherheit ist vielleicht umso wichtiger je ungewisser das Leben ist. Vor rund drei hängte Antje ihren festen Job an den Nagel und machte sich als Fotokünstlerin selbstständig. Seitdem hat sie sich nach und nach einen Namen gemacht. Die Leichtigkeit im Umgang mit der Ungewissheit, wie die Aufträge sie über die nächsten Monate tragen werden, fehlt ihr (noch). Doch an der Richtigkeit ihrer Entscheidung zweifelt sie nicht. Die Fotografie ist – darin ist sie sich gewiss – ihr Medium und ihr Weg. Das war nicht immer so. Antje  Kröger fand über Umwege zu ihrer Berufung. ‚Die Fotografie hatte ich so gar nicht auf dem Plan. Ich wollte schreiben. Fotos zu machen zu den eigenen Artikeln gehörte einfach dazu, genauso wie die Arbeit in der Dunkelkammer. Doch auf einmal wurde das Foto wichtiger als der Text und meine Liebe zu dem neu entdeckten Medium wuchs.‘ Dank der Digitalfotografie entwickelte sie nach und nach ihre eigene Ausdrucksform und Bildsprache. ‚Ich traute mich mehr. Konnte üben, wegschmeißen, Kritik einfordern.‘ Das Fotografieren blieb jedoch zunächst ein Hobby. Antje Kröger machte ein Volontariat, arbeitete in verschiedenen Firmen und Medien als Redakteurin. Irgendwann fiel ihr das Schreiben immer schwerer, wurde es zunehmend mühsamer, die richtigen Worte zu finden. Parallel wuchs ihre Leidenschaft für die Fotografie, bis sie eines schönes Tages im Jahr 2010 den Entschluss fasste, sich ganz dem Bild zu verschreiben.
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M i MAs Kladden: Vom Wort zum Bild. Oder eine Morphologin auf der Suche nach der Schönheit. Kinder Foto: Antje Kröger

Antje Kröger arbeitet als Auftragsfotografin und realisiert eigene künstlerische Projekte. Im Mittelpunkt steht dabei immer der Mensch. ‚Menschen berühren mich‘, sagt Antje, ‚ebenso wie Wasser, Räume, wie das Marode und Deviante.‘ Sie arbeitet gern mit Grenzgängern und legt das Besondere, das Einzigartige und Abweichende in jeder Person frei – ganz gleich ob Exot oder ‚Normalo‘. Auf ihrem neuen Flyer steht: DU BIST SCHÖN. Der Satz ist Leitmaxime und Herausforderung zugleich für sie. Ein Schönheitsideal gibt es für mich nicht. Jeder Mensch ist auf seine Weise ’schön‘ und das möchte ich zeigen.Dabei spielen Körper und Körperlichkeit, Leib und Leiblichkeit eine wichtige Rolle. ‚Ich mag den Körper als Hülle‘, sagt Antje, die sich selbst viel mit ihrem eigenen Körper auseinandersetzt, der sich in kein gängiges Schönheitsraster fügen will. Was ist unser Körper? Wie lässt er sich jenseits der bekannten Kategorien beschreiben? Antjes künstlerischer Ansatz könnte als morphologisch bezeichnet werden. Sie untersucht den menschlichen Körper in seiner Form und seinem Aussehen sowie in seiner Struktur und als Resultat von (sozialen) Prozessen. Dabei hat sich eine fast kindlich-naive Perspektive bewahrt: Nacktheit ist für sie etwas ganz Natürliches; Erotik oder Sexualität spielen in ihrer Arbeit eine untergeordnete Rolle. Vielleicht ist genau dieser ‚unschuldige‘, wertfreie Blick der Grund dafür, dass sich viele Menschen vor ihrer Kamera ausziehen. 

Ich bin gespannt, welche Wege Antje mit ihrer Fotografie noch gehen, welche neuen Schichten und Erkenntnisse ihre ‚Morphologie der menschlichen Körper‘ noch freilegen wird. Mich hat sie mit den Bildern einer Frau überrascht, von der ich – würde ich es nicht besser wissen – geglaubt hätte, sie sei alleinstehend und kinderlos.
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M i MAs Kladden: Vom Wort zum Bild. Oder eine Morphologin auf der Suche nach der Schönheit. Frau 20er Jahre Foto: Antje Kröger

7 Comments

  • 10 Jahren ago

    großartig in jedem sinne. ein so schöner post. beeindruckend.

  • Anonym
    10 Jahren ago

    Liebe Indre,
    das Bild von dir ist superschön!!!
    Liebe Grüße
    Christine

  • 10 Jahren ago

    wie schön! vielen dank für diese wunderbare vorstellung! und ein wunderschönes bild von dir! liebe grüße! lisa

  • Anonym
    10 Jahren ago

    Liebe Inder,
    vielen Dank für diese Kladde. Es ist ein Genuss, Deinen Blog zu lesen.

    Jetzt quakt das Baby wieder – Tschüss
    S.

    • 10 Jahren ago

      Oh, danke! 3>

  • 10 Jahren ago

    Liebste Indre,
    danke für so besondere Worte über mich und mein Schaffen.
    Das besondere an solch Begegnungen ohne Kenntnis des gesellschaftlich belegten Raumes eines Menschen ist ihn zu erkennen, sehen, blicken und erspüren, da, wo er gerade steht mit all seinem gelebten Leben, völlig egal, was ihn abends wieder erwartet, wenn dieser Mensch wieder seine eigne Wohnungstüre schließt. Danke für Deine Aufmerksamkeit.
    Antje

  • 10 Jahren ago

    Wow, eine sehr beeindruckene Vorstellung. Vielen Dank!
    Die Traurigkeit schwingt bei allen Bildern mit. Als Melancholie, als Tiefe. Sie gefallen mir seh, ihre Arbeiten.